Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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– wie sie es sahen – spanischen Griffs nach der Weltherrschaft führten. Ganz gewiss war Spanien, war auch das spanische Überseereich dafür verantwortlich, dass die Auswirkungen des mitteleuropäischen Krieges in den Jahren nach 1618 auf der ganzen Welt zu spüren waren. Die Anwesenheit der Spanier auf dem europäischen Schauplatz prägte den gesamten Kriegsverlauf, selbst wenn, wie wir noch sehen werden, die spanischen Habsburger durchaus ihre eigenen Probleme hatten, die von denen der österreichischen Habsburger deutlich verschieden waren.

      In einer entscheidenden Hinsicht glichen sich jedoch die Probleme der beiden Familienzweige. Wie ihre österreichischen Vettern herrschten die spanischen Habsburger über ein riesiges Reich, das sich nur mit Mühe zusammenhalten und regieren ließ. Das Reich der Spanier war in der letzten Zeit noch beträchtlich gewachsen, nachdem Philipp II. 1580 die Portugiesen zu einer gesamtiberischen Kronunion gezwungen hatte, die Portugal – und damit auch dessen Kolonialreich – unter spanische Kontrolle brachte. Zwei Jahre zuvor war der junge portugiesische König Sebastian I. – Dom Sebastião o Desejado, „der Ersehnte“ – zusammen mit der ganzen Blüte des portugiesischen Adels in der verhängnisvollen Schlacht von Alcácer-Quibir (al-Qaṣr al-Kabīr) in Marokko gefallen, was das Ende des Hauses Avis bedeutete, das Portugal seit 1385 beherrscht hatte. Die Kronunion war eine Zwangsheirat, an deren Zustandekommen ein spanisches Invasionsheer maßgeblich beteiligt war. Dennoch lernten viele Portugiesen die Vereinigung ihres Königreiches mit dem spanischen bald zu schätzen, da sie ihnen den Zugang zu spanischen Handels- und Verdienstmöglichkeiten eröffnete. Portugal brachte zwar nur 1,1 Millionen neue Untertanen in die Union ein, konnte aber Gebietsansprüche in Brasilien, Afrika und Asien vorweisen. Die portugiesische Herrschaft über diese Besitzungen war allerdings denkbar schwach ausgeprägt: Um 1600 hielten sich in ganz Brasilien vielleicht gerade einmal 30 000 Europäer und 15 000 aus Afrika verschleppte Sklaven auf, denen immerhin 2,4 Millionen Ureinwohner gegenüberstanden, die sich über das unermessliche, größtenteils noch unerforschte Landesinnere verteilten. Ein paar Tausend Portugiesen waren in den Küstenfestungen von Angola und Mosambik stationiert, rund 10 000 weitere auf Posten in ganz Portugiesisch-Indien (Estado da Índia) verstreut; Letzteres umfasste die Besitzungen östlich des Kaps der Guten Hoffnung, die von Goa im Westen Indiens aus verwaltet wurden.81

      Spanien hatte rund 8,75 Millionen Einwohner in Kastilien und den damit verbundenen Regionen Katalonien, Aragón, Valencia und dem Baskenland. Im Gegensatz zur Entwicklung im restlichen Europa kam das Bevölkerungswachstum Kastiliens um 1580 völlig zum Erliegen, was durch Missernten, Seuchen, Auswanderung in die Kolonien und – das vor allem – die doppelte Belastung von Krieg und hohen Steuern bedingt war. Bis 1631 waren nur noch 4 Millionen Kastilier übrig, rund eine Million weniger als 40 Jahre zuvor. Die spanischen Überseegebiete waren ebenfalls von Bevölkerungsschwund betroffen – doch in diesem Fall lag die Ursache in der europäischen Eroberung, die Krankheiten und brutale Ausbeutung über die indigene Bevölkerung brachte. In der Folge sank deren Zahl von über 34 Millionen zu Beginn der Kolonialzeit auf nur etwa 1,5 Millionen um 1620. Zu diesem Zeitpunkt lebten bereits 175 000 Kolonisten und rund noch einmal so viele afrikanische Sklaven und Mestizen verstreut über Mexiko, die Karibik, die West- und Nordküsten Südamerikas sowie in und um Manila auf den Philippinen.82 Diese statistischen Daten helfen, das spanische Überseereich in die rechte Relation zu den europäischen Machtbereichen der Spanier zu setzen, wo etwa in den südlichen Niederlanden 1,5 Millionen Untertanen lebten, im Herzogtum Mailand und dem Königreich Sizilien jeweils rund eine Million und im Königreich Neapel 3 Millionen.

      Die Bedeutung der spanischen Herrschaftsgebiete und Kolonien wurde durch die Stagnation der Wirtschaft im Mutterland noch vergrößert. Von der Wiederausfuhr lateinamerikanischen Silbers einmal abgesehen, bestand der hauptsächliche Beitrag Spaniens zum europäischen Binnenhandel in Rohstoffen und einigen Nahrungsmitteln. Das spanische Wirtschaftswachstum wurde durch ein System von Kartellen und Monopolen ausgebremst, durch das der Handel mit bestimmten Waren streng reglementiert wurde – eine Praxis, die sich auch auf die Kolonien erstreckte. Zugleich sorgte die Privilegierung des Hafens Sevilla seitens der spanischen Krone dafür, dass dieser auf lange Zeit das einzige Tor zur Neuen Welt blieb. Ernteausfälle und eine schwer drückende Steuerlast lösten Landflucht aus: Die Menschen zogen entweder in die Städte – oder gleich in die Kolonien. Das wiederum schwächte die Position der Überlebenden beziehungsweise Daheimgebliebenen, die sich umso schlechter gegen adlige und klerikale Übergriffe auf das verbliebene Gemeindeland zur Wehr setzen konnten. Private Investoren und Kaufleute waren auf die Silberlieferungen aus der Neuen Welt angewiesen, um den allgemeinen Konsum anzukurbeln, da Spanien allein nicht einmal seine Bevölkerung ernähren konnte und einen Großteil des Nahrungsbedarfs durch Importe aus anderen Ländern decken musste. Ihre Unfähigkeit, ausreichende Mengen gefragter Waren für den Export zu produzieren, schloss die Spanier vom Kolonialhandel, der proportional zum Wachstum der europäischen Kolonialbevölkerung in Nord- und Südamerika expandierte, in weiten Teilen aus. Stattdessen drängten niederländische und andere Kaufleute auf den Markt und sicherten sich um 1600 besondere Konzessionen, um die spanischen Atlantikhäfen nutzen zu dürfen. Fünfzig Jahre später lebten in Spanien 120 000 Ausländer, die meisten davon in Sevilla, wo sie ein Zehntel der Einwohnerschaft ausmachten.

      Silber: der Lebenssaft des Riesenreiches Obwohl die Kolonialwirtschaft sich mit der Zeit durchaus diversifizierte, blieb der Silberhandel das wirtschaftliche Hauptinteresse der Spanier. Zwischen 1540 und 1700 produzierte die Neue Welt 50 000 Tonnen Silber, wodurch sich der europäische Silberbestand binnen vergleichsweise kurzer Zeit verdoppelte. Der Export des wertvollen Metalls kam richtig ins Rollen, nachdem zuerst reichhaltige Vorkommen im bolivianischen Potosí (1545) sowie im mexikanischen Zacatecas (1548) entdeckt worden waren und die Einführung deutscher Abbaumethoden im Jahr 1555 – man benutzte nun Quecksilber, um das Edelmetall aus dem Erz zu lösen – die Effizienz des Silberbergbaus erhöht hatte. Zacatecas bezog sein Quecksilber aus Almadén in Spanien, aber in Potosí schnellte die Förderrate geradezu in die Höhe, nachdem in Huancavelia in Peru Quecksilberminen eröffnet worden waren.83 Der Bergbau von Potosí beruhte auf Zwangsarbeit nach dem System der mita, nach welchem die Ureinwohner genötigt wurden, alle sieben Jahre vier Monate lang in den Minen zu arbeiten. Die Todesraten waren immens; jeden Tag starben 40 Arbeiter an Krankheiten, giftigen Dämpfen und Überarbeitung. Die Arbeitseinsätze auf 6000 Metern Höhe dauerten jeweils sechs Tage am Stück. Immer mehr indigene Dorfgemeinschaften kauften sich von der Dienstpflicht frei, indem sie einen Tribut zur Anwerbung von Lohnarbeitern entrichteten, die um 1600 schon mehr als die Hälfte der Bergleute ausmachten. Aber das System wurde noch immer von einer korrupten einheimischen Elite kontrolliert, die auch nicht davor zurückschreckte, einen königlichen Berginspektor mit einer Tasse vergifteter Trinkschokolade zu ermorden. Das Silber wurde auf den Rücken Tausender Lamas und Maultiere von den Bergen hinunter nach Arica an der Pazifikküste transportiert, wo es abgeladen wurde und im Gegenzug Quecksilber sowie Vorräte für den Rücktransport aufgeladen wurden. Während die Karawane sich wieder die steilen Andenpfade hinaufquälte, wurde das kostbare Silber nach Panama im Norden verschifft, um dort über die Landenge transportiert zu werden, damit man es schließlich mit dem Schiff nach Sevilla bringen konnte. Versuche des spanischen Vizekönigs vor Ort, die entsetzlichen Arbeitsbedingungen in der Quecksilbermine von Huancavelia zu verbessern, trugen in Potosí ab 1591 zu verstärkten Produktionsschwankungen bei; ab 1605 ist ein stetiger Rückgang der Fördermenge zu verzeichnen. Der Spitzenwert von 7,7 Millionen Pesos im Jahr war 1592 erreicht gewesen; 1650 waren es nur noch 2,95 Millionen. Dieser Einbruch wurde jedoch durch Zacatecas ausgeglichen, wo die Fördermenge sich ab 1615 durch einen Zuwachs an Arbeitskräften deutlich erhöhte. Allerdings blieb die mexikanische Silberproduktion stets von spanischem Quecksilber abhängig, was sie anfällig machte, sobald der Seeweg nach Europa aus irgendeinem Grund versperrt war.

      Die Lebensader der spanischen Kolonien war ein 1564 eingeführtes Konvoisystem, das in den meisten Jahren zwei Flotten über den Atlantik führte. Die eine Flotte, galeones genannt, verließ Sevilla im August, segelte auf Kurs Südwest der afrikanischen Küste zu und passierte die Kanarischen Inseln, um den günstigen Passatwind auszunutzen, der sie – mit Kurs genau nach Westen – direkt zu den Islas de Sotavento, den karibischen „Inseln unter dem Winde“, brachte. Von dort steuerten sie in Richtung Südwesten entweder Cartagena im heutigen Kolumbien oder Portobello in Panama an. Insgesamt dauerte die Reise von umgerechnet 6880 Kilometern