Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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zur Erledigung bestimmter Aufgaben Ad-hoc-Komitees (juntas) einsetzte. Das konnte durchaus zu einem Gewinn an Flexibilität führen, schuf jedoch in der Regel nur weitere bürokratische Verkrustungen – Chaos und Kompetenzstreit waren die Folge. Hauptsächliches Diskussionsforum für alle Fragen der Politik war der Staatsrat (Consejo de Estado). Aus ihm ging eine große Zahl spezialisierter juntas hervor, von denen sich viele zu einer Art ständigem Ausschuss verfestigten. So gab es juntas für Verteidigungsfragen, Finanzen, den „Kreuzzug“ (der Gegenreformation) sowie für die verschiedenen Teile der Monarchie: einen Indienrat (Consejo de Indias, für West- und Ostindien) und entsprechende Räte für Portugal, Kastilien, Aragón, die italienischen Besitzungen und Flandern. Die Existenz etwa eines Flandernrates deutet bereits darauf hin, wie sehr das spanische Weltreich Stückwerk blieb, ein bunt zusammengesetzter Flickenteppich, in dem einzelne Vizekönige oder Gouverneure in den Niederlanden, dem Herzogtum Mailand, den Königreichen Neapel, Sizilien und Sardinien oder auch den Kolonien die Macht in Händen hielten. Um dem Nationalstolz der Portugiesen Genüge zu tun, gab es auch in Lissabon weiterhin eine Lokalregierung. Die Gouverneure, denen Beratergremien aus örtlichen Notabeln gegenüberstanden, waren in der Tat gut beraten, in Ausübung ihrer Pflicht die provinzeigenen Interessen und die Anweisungen aus Madrid gleichermaßen zu berücksichtigen, insbesondere da ihr eigenes Salär wie das ihrer Berater und Soldaten ganz vom örtlichen Steueraufkommen abhing.

      Wenig überraschend kam der Verteidigung ihres Weltreichs in der Gesamtstrategie der Spanier die überragende Rolle zu.89 Die schiere Ausdehnung des spanischen Herrschaftsbereichs bedeutete eine Vielzahl potenzieller Feinde, während die Ausbreitung der protestantischen „Ketzerei“ das Gespenst innerer Unruhen heraufbeschwor – ein Gespenst, das nach dem Ausbruch des Niederländischen Aufstands schreckliche Wirklichkeit gewann. Auch der Aufwand zur Verteidigung des Handelsmonopols mit West- und Ostindien stieg nach dem Erwerb Portugals merklich an, denn nun bedurften die vormals portugiesischen Kolonien ebenfalls des spanischen Schutzes. Was den Spaniern allerdings ihr charakteristisches Sendungsbewusstsein verlieh, war das Gefühl, sie seien zur Verteidigung des Katholizismus berufen, ein Gefühl, das schon bald untrennbar mit dem spanischen Nationalbewusstsein verschmolzen war. Den Abschluss der Reconquista hatte 1492 die Zerschlagung des Emirats von Granada markiert, des letzten muslimischen Territoriums auf der Iberischen Halbinsel. Die spanischen Monarchen Isabella I. und Ferdinand II. durften sich dafür mit dem vom Papst verliehenen Titel einer „Allerkatholischsten Majestät“ schmücken. Durch ihre Eroberungen in Übersee fanden die Spanier sich unversehens in der Rolle von Missionaren wieder, die die Neue Welt christianisierten und „zivilisierten“. Der Seekrieg gegen die Osmanen auf dem Mittelmeer erhielt derweil das alte Kreuzzugsideal lebendig, das jedoch mit dem Kampf gegen die Häresie in ganz Europa eine neue Ausweitung erfuhr.

      Die Mission zur Rettung des Katholizismus umfasste schließlich sogar die Eingliederung Roms selbst in das „informelle Imperium“ der Spanier, sprich: in jenen Einflussbereich, in dem sie zwar nicht nominell herrschten, aber doch hinter den Kulissen die Fäden zogen.90 Alles begann 1492 mit der Wahl des Borgia-Papstes Alexander VI., der zwei Jahre darauf im Vertrag von Tordesillas die Neue Welt zwischen Spanien und Portugal aufteilte. Diese Zweiteilung entwickelte sich zu einer regelrechten Symbiose der beiden Kolonialmächte, aus der Spanier wie Portugiesen ihren Vorteil zogen – wenngleich Spanien stets der dominante Partner blieb. In einer Zeit, in der andere Monarchen sich von Rom abwandten, blieb der spanische katholisch: Ferdinand respektierte den Papst. Die päpstliche Lehnsherrschaft über das Königreich Neapel erkannte Spanien formal an, indem die Spanier dem Heiligen Stuhl einen jährlichen Tribut von 7000 Dukaten und einem prächtigen Schimmel zollten; auch Einkünfte aus vakanten Bistümern im ganzen spanischen Machtbereich leitete man anstandslos an die Apostolische Kammer, die Staatskasse des Papstes, weiter. Rom war in wachsendem Maße auf Getreideimporte aus Sizilien und anderen spanischen Territorien angewiesen, und die Mildtätigkeit der Spanier finanzierte Armenkassen, Hospitäler und Kirchen auch in Rom selbst. Die spanische Gemeinde in Rom wuchs im späten 16. Jahrhundert auf ein Viertel der gesamten Einwohnerschaft an und gewann bald großen Einfluss im politischen und gesellschaftlichen Leben der Ewigen Stadt. Der spanische Botschafter beim Heiligen Stuhl veranlasste, dass die jährliche Übergabe des Tributpferdes aus Neapel ab 1560 im Rahmen der Feierlichkeiten zum Hochfest der Heiligen Peter und Paul stattfand, was Spanien symbolisch im Herzen der päpstlichen Politik verankerte. Zahlungen von bis zu 70 000 Dukaten im Jahr sorgten dafür, dass der spanische Botschafter im Kardinalskollegium immer auf offene Ohren traf und, wenn nötig, mit einem Abstimmungsergebnis nach dem Interesse seines Königs rechnen durfte. Obwohl die starke spanische Präsenz in Rom bei der Bevölkerung, gelinde gesagt, nicht auf Gegenliebe stieß, wussten die Päpste die Vorteile zu schätzen, die ihnen daraus erwuchsen. Unter Spaniens Schutz und Schirm konnten sie die eigenen Verteidigungsausgaben drastisch reduzieren: von über der Hälfte des päpstlichen Jahresbudgets auf weniger als ein Fünftel. Solange ein steter Geldstrom von Spanien nach Rom floss, floss sogar noch mehr Geld geradewegs in die spanischen Schatzkammern, und das mit ausdrücklichem Einverständnis des Papstes: Die „Drei Gnaden“ und andere Kirchensteuern brachten der spanischen Krone um 1621 satte 3,68 Millionen Dukaten im Jahr ein, was einem Drittel der ordentlichen Jahreseinnahmen entsprach.

      Die engen Verbindungen zur römischen Universalkirche bekräftigten das globale Sendungsbewusstsein der spanischen Könige, das sich nicht hinter dem Herrschaftsanspruch der römisch-deutschen Kaiser zu verstecken brauchte. Obgleich der Kaisertitel Karls V. auf seinen Bruder in Österreich, nicht seinen Sohn Philipp in Spanien übergegangen war, schärfte dieses Vermächtnis doch das spanische Empfinden für (Welt-)Macht und Größe, und bis ins 17. Jahrhundert hinein wehte über spanischen Schiffen und Armeen die Fahne mit dem doppelköpfigen Reichsadler. Während der österreichische Familienzweig der Habsburger auch weiterhin den römisch-deutschen Kaiser stellte, verfolgten zeitgenössische spanische Autoren die Wurzeln ihrer eigenen Monarchie bis weit in vorrömische Zeiten zurück: Ein Sohn Noahs sei der erste König von Spanien gewesen.91 Den Kritikern erschien das spanische Machtstreben als ein Gespenst, das nicht nur in Europa umging und die Religion dabei als Deckmäntelchen zur Errichtung einer Universalmonarchie missbrauchte. Die Feinde Spaniens wussten so gut wie nichts von den zahlreichen Problemen, die das Land im Inneren plagten, und glaubten vielmehr, die Reichtümer der Neuen Welt würden den Spaniern bald eine Aufrüstung ermöglichen, vor der ihre eigenen Heere in einem großen Krieg zugrunde gehen müssten. Dies empfand man besonders stark in Frankreich, wo viele sich umzingelt fühlten: von Spanien im Süden, dem spanisch beherrschten Herzogtum Mailand und der Freigrafschaft Burgund (der Franche-Comté) im Osten, Luxemburg und Flandern im Norden, während die Spanische Armada im Westen den Atlantik abriegelte. In den Augen des protestantischen Europa symbolisierte die Fahrt der Armada gegen England 1588 die doppelte Bedrohung durch Willkürherrschaft und religiöse Verfolgung, und dieses Bild eines aggressiven Spanien hat in der späteren Geschichtsschreibung deutliche Spuren hinterlassen.

      Spanien und das Reich Tatsächlich intervenierten die Spanier erst dann in anderen Ländern, wenn ihnen ihre Kerninteressen bedroht schienen, und in der Regel tendierte die Konsensmeinung im Staatsrat eher zu Vorsicht und Zurückhaltung. Das wird auch deutlich, wenn man sich die spanische Haltung dem Heiligen Römischen Reich gegenüber einmal genauer ansieht, die sich ganz entscheidend auf das Engagement der Spanier im Dreißigjährigen Krieg auswirken sollte.92 Philipp II. hatte die Jahre 1548–51 in Deutschland verbracht und kannte viele Fürsten des Reiches persönlich, ebenso Rudolf von Habsburg und seine Brüder Ernst und Albrecht, die er bei deren Aufenthalten in Spanien kennengelernt hatte. Diese persönlichen Kontakte bildeten auch in der Zeit nach der Spaltung des Hauses Habsburg 1558, als Spanier und Österreicher je eigene Interessen entwickelten, eine solide Grundlage für die spanische Diplomatie. Selbst Philipps stark ausgeprägter Katholizismus konnte eine gute Zusammenarbeit mit konservativ-lutherischen Fürsten wie etwa Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel oder dem sächsischen Kurfürsten August nicht verhindern. Zum Herzog von Bayern und anderen führenden Katholiken des Reiches unterhielt Philipp gleichfalls gute und produktive Beziehungen. Der spanische König hatte allerdings kein Interesse daran, im Reich eine permanente Präsenz aufzubauen. Eher versuchte er – wie schon im Fall des Heiligen Stuhls –, seine Beziehungen spielen zu lassen, um ein möglichst reibungsloses „Durchregieren“ der mit ihm verbündeten Fürsten zu ermöglichen, etwa indem er durch Geldzahlungen