Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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dass eine große Krise ihm auch die böhmischen Stände zutreiben und Rudolf vollkommen isoliert zurücklassen würde. Mit Unterstützung der protestantischen Mehrheit im mährischen Landtag zog Matthias bei Znaim (Znojmo) in Südmähren, nahe der Grenze zu Niederösterreich und unweit Wiens, ein Heer von 20 000 Österreichern und Mährern zusammen. Weiter im Osten, am Ufer der March, versammelten sich 15 000 weitere Bewaffnete aus Ungarn. Matthias plante offenbar, in voller Stärke beim Generallandtag der habsburgischen Stände zu erscheinen, den er in das mittelböhmische Tschaslau (Čáslav) einberufen hatte, eine Königsstadt genau auf halbem Weg zwischen seinem Heerlager und Prag. In einem an die deutschen Fürsten gerichteten Manifest rechtfertigte er sein Vorgehen mit der Wiederherstellung der Stabilität sowohl in den habsburgischen Ländern als auch im Reich.

      Nun hielten die Böhmen den Trumpf in der Hand. Wenn sie sich Matthias ebenfalls anschlössen, dann würden Schlesien und die beiden Lausitzen nachziehen – Rudolf stünde allein da. Ermuntert durch ihre militanter auftretenden Glaubensgenossen in Deutschland, ergriffen die Anführer der böhmischen Protestanten die Gelegenheit, ihrem Glauben endlich jene offizielle Anerkennung zu verschaffen – wenn nötig mit Gewalt –, die ihm die Habsburger 1575 durch ihre Ablehnung der Confessio Bohemica verweigert hatten (siehe Kapitel 3). Dem Kaiser standen gerade einmal 5000 unbesoldete Freiwillige unter ihrem Obristen Tilly zur Verfügung, die sich allerdings bereits auf dem – schleunigen – Rückzug in Richtung Prag befanden. Das Vertrauen des spanischen Botschafters hatte er verloren; dieser riet dem Kaiser, er solle rasch eine Vereinbarung treffen, solange dies noch möglich sei. Durch sein Stillschweigen gestattete es Rudolf den böhmischen Ständen, in Prag zusammenzukommen und im Mai mit ihren eigenen militärischen Vorbereitungen zu beginnen. Als sie jedoch merkten, dass auch Matthias’ Geld zur Neige ging, legten die Böhmen ihre Karten auf den Tisch, indem sie die kaiserliche Ladung nach Tschaslau abwiesen und stattdessen offen für Rudolf Partei ergriffen.

      So wurden beide, Matthias wie Rudolf, von ihren vermeintlichen Unterstützern ausmanövriert, die mit dem am 25. Juni 1608 geschlossenen Frieden von Lieben unter dem Deckmantel innerhabsburgischer Versöhnung ihre je eigenen Ziele verfolgten. Rudolf wurde gezwungen, seine Pläne für einen erneuten Krieg gegen die Türken aufzugeben, die Stephanskrone an seinen Bruder Matthias abzutreten und ihn überdies als Herrscher über Mähren, Ober- und Niederösterreich anzuerkennen. Die Mährer erhielten größere Autonomie innerhalb des böhmischen Kronverbandes und setzten eine neue Regierung unter Karl von Žerotin ein, einem klugen, aufrichtig um Frieden bemühten Anhänger der Böhmischen Brüder.

      Die Österreicher, Mährer und Ungarn nutzten die Gelegenheit ihres Treffens in Matthias’ Lager, um am 29. des Monats ihre eigene Allianz zu schmieden; sie wollten in Zukunft zusammenarbeiten, um den Habsburgern weitere Zugeständnisse abzupressen. Matthias und Bischof Khlesl hatten so etwas schon erwartet, weshalb sie nun versuchten, durch Einzelverhandlungen mit den jeweiligen Landständen Schadensbegrenzung zu betreiben. Im August 1608 empfing Matthias die Huldigung der mährischen Stände, denen er im Gegenzug die Freiheit von religiöser Verfolgung zusagte. Das blieb zwar weit hinter der völligen rechtlichen Gleichstellung zurück, wie sie den radikalen Protestanten vorschwebte, doch Žerotin hielt sie in Schach: Er war schon froh, dass sein Land nun überhaupt zu größerer politischer Autonomie gelangt war. In Österreich stellte die Lage sich gänzlich anders dar, denn hier dominierten in den Ständevertretungen zunehmend Männer wie der Freiherr Georg Erasmus von Tschernembl, der seit 1598 auf der Herrenbank des oberösterreichischen Landtags saß. Als ehemaliger Student der radikalprotestantischen Universität Altdorf bei Nürnberg hatte Baron Tschernembl schon in den 1580er-Jahren das gesamte protestantische Europa bereist, sich mit führenden Gelehrten und Reformern getroffen und mit ihnen über den Widerstand gegen die Tyrannei der Fürsten diskutiert. Obwohl er dem Bauernaufstand von 1595–97 ablehnend gegenübergestanden hatte, war Tschernembl doch eher als viele seiner Standesgenossen bereit, auch dem „gemeinen Mann“ ein Widerstandsrecht einzuräumen. Daher erklärt sich auch das große Interesse, auf das Tschernembl in der späteren Forschung gestoßen ist (die seine Bedeutung freilich oft überschätzt hat).76 Als Calvinist gehörte er einer Minderheit unter den österreichischen Protestanten an, aber die inneren Streitigkeiten der Habsburger hatten ihm die Chance eröffnet, sich nach oben zu kämpfen und Wortführer der oberösterreichischen Stände zu werden. Allerdings sollte es ihm nie gelingen, auch die lutherischen Stände restlos auf seine Seite zu ziehen, und sein Radikalismus sorgte dafür, dass die wenigen Übereinstimmungen, die bislang zwischen gemäßigten Katholiken und Protestanten noch bestanden hatten, schon bald Geschichte waren.

      Georg Erasmus von Tschernembl war der Ansicht, Rudolfs Verzicht auf seine österreichischen Länder habe ein Interregnum geschaffen, wodurch die Macht so lange in die Hand der Stände gefallen sei, bis diese Matthias als Thronfolger akzeptiert haben würden. Mit dieser ganz auf Formalien und Verfahrensfragen abgestellten Argumentation gelang es Tschernembl, 166 protestantische Herren und Ritter aus Ober- und Niederösterreich in der niederösterreichischen Protestantenhochburg Horn zu versammeln und am 3. Oktober 1608 zum feierlichen Bundesschwur zu bewegen: Die Anhänger der Horner Bewegung sagten sich endgültig von den Katholiken und den moderaten Protestanten los und riefen eine unabhängige Regierung ihrer beiden Länder aus. Sie bewilligten Gelder (die freilich ihre Pachtbauern aufbringen sollten), um Truppen auszuheben, und schickten Gesandte nach Ungarn sowie an den Hof des calvinistischen Pfälzer Kurfürsten. Um ihnen zuvorzukommen, zog Matthias rasch nach Pressburg, um seinerseits mit den ungarischen Ständevertretern zu verhandeln. Er willigte ein, den Vereinbarungen des Wiener Friedens Taten folgen zu lassen, und musste zusehen, wie der ungarische Landtag den Protestanten Illésházy erneut zum Palatin wählte. Nachdem sie die ungarische und die siebenbürgische Autonomie bekräftigt hatten, erkannten die Ständevertreter endlich, am 19. November, Matthias als neuen König von Ungarn an.

      Angesichts der noch immer aufsässigen Österreicher auf der einen sowie seines in Prag Intrigen spinnenden Bruders auf der anderen Seite war Matthias’ Position alles andere als gesichert. In einer von vielen schlaflosen Nächten, heißt es, soll er ausgerufen haben: „Mein Gott, was soll ich tun? Halte ich nicht, was ich ihnen bewilligt, so komme ich um Land und Leute. Halte ich’s dann, so bin ich verdammt!“77 Am 19. März 1609 willigte er in die meisten von Tschernembls Forderungen ein, setzte alle gegenreformatorischen Maßnahmen aus, indem er die Assekuration von 1571 erneuerte, und fügte alldem noch das mündliche Versprechen hinzu, für die freie Religionsausübung in den Kronstädten sorgen zu wollen. Auf einen Schlag waren sie wie weggefegt, die akribischen Bemühungen der letzten 30 Jahre, habsburgische Autorität und katholische Konformität zugleich durchzusetzen. Während die österreichischen Stände ihn nun als Erzherzog anerkannten, hatte Matthias die katholische Minderheit, die sich von ihrem Herrscher im Stich gelassen fühlte, gründlich vor den Kopf gestoßen. Der listenreiche Bischof Khlesl hielt sich diskret im Hintergrund. Er war in Wien zurückgeblieben, als sein Fürst 1608 zu seinem provokanten Einmarsch nach Böhmen aufgebrochen war. Zu Ostern 1609 verweigerte er Matthias öffentlich die heilige Kommunion – und hatte doch hinter verschlossenen Türen selbst zu den Zugeständnissen geraten, die in seinen Augen nicht mehr als ein taktisches Mittel zum Zweck darstellten. Von Tschernembl gedrängt, den „Erzverschwörer“ Khlesl von seinem Hof zu verbannen, erwog Matthias, diesen zur Wahrung seines Ansehens nach Rom zu entsenden, um ihn – dazu wollte freilich der Papst überredet sein – zum Kardinal erheben zu lassen. Doch da sich die Beziehungen zwischen Matthias und seinem wichtigsten Berater eintrübten, konnte der Erzherzog gegenüber den Ständen kein Stückchen Boden gutmachen.

      Die Majestätsbriefe von 1609 Die Böhmen hatten indessen keine Zeit verloren, den Kaiser zur Einhaltung seines nachgerade faustischen Paktes zu drängen. Durch den Machtkampf mit seinem Bruder war Rudolfs verbliebenes Ansehen ruiniert worden, und er hatte niemanden mehr, der ihm gegen die unaufhaltsame Erosion seiner kaiserlichen Würde beistehen wollte. Nachdem die böhmischen Stände 1608 vertagt worden waren, traten die Protestanten unter ihnen im April 1609 auf eigene Faust wieder zusammen und erzwangen sich Zutritt zum „Allerheiligsten“ des Kaisers in der Prager Burg – gegen seinen ausdrücklichen Befehl, er wolle von niemandem gestört werden. Wie schon in Österreich waren es vor allem die radikalen Kräfte, die in der aufgeladenen Atmosphäre ihre große Chance witterten und sich entsprechend in