Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

Читать онлайн.
Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



Скачать книгу

zum Unterhalt ihrer Flandernarmee auf; insgesamt verschlang der Krieg in den Niederlanden zwischen dem Tod Philipps II. 1598 und dem Waffenstillstand von 1609 satte 40 Millionen Dukaten. Im Jahr 1600 zählten die auf der ganzen Welt verteilten spanischen Truppen rund 100 000 Mann, davon allein 60 000 in der Flandernarmee, der größten aktiven Streitmacht Europas. Während der letzten beiden Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts stieg Spanien zudem zur weltweit führenden Seemacht auf. Spanische Schiffe spielten eine entscheidende Rolle beim Sieg der Heiligen Liga über die Osmanen in der Seeschlacht von Lepanto 1571. Nachdem die osmanische Mittelmeerflotte vor Lepanto zerschlagen worden war, konnten die Spanier ihre ständige Präsenz im Mittelmeer auf etwa 20 Galeeren zurückfahren, die durch kleinere Geschwader mit Heimathäfen in Sizilien, Neapel und Genua verstärkt wurden. Nachdem der gescheiterte Invasionsversuch der Spanischen Armada in England 1588 das Fehlen moderner Kriegsschiffe offenbart hatte, flossen zusätzliche Ressourcen in den Aufbau einer neuen Hochseeflotte, der Armada del Mar Océano. Die neue Millones-Steuer ermöglichte die Kiellegung von Schiffen mit einer Gesamttonnage von 56 000 Tonnen, wovon die meisten zwischen 1588 und 1609 in La Coruña an der spanischen Nordküste gebaut wurden; schon 1600 stand eine Flotte von 60 großen Kriegsschiffen bereit.85 Diese wurde in drei ungefähr gleich große Geschwader aufgeteilt, deren eines von Lissabon aus auf dem Atlantik patrouillierte, als zusätzlicher Schutz für die beiden wertvollen Silberkonvois. Ein zweites Geschwader schützte die Straße von Gibraltar und sicherte so die Zufahrt zum Mittelmeer, während das dritte in La Coruña stationiert war und von dort aus gegen Frankreich und die protestantischen Seemächte eingesetzt werden konnte. Ein kleines Pazifikgeschwader von sechs Schiffen wurde 1580 aufgestellt, um die Silbertransporte zwischen Arica und Panama zu schützen. Bemühungen um ein ähnliches Geschwader in der Karibik zerschlugen sich, da die hierfür vorgesehenen Schiffe immer wieder zu Geleitschutzaufgaben in den Atlantik abkommandiert wurden.

      Der rapide Ausbau der spanischen Marine ließ deren Personalbedarf bis 1590 auf 27 000 Mann anwachsen – zu einer Zeit, in der auch die spanische Landarmee händeringend Rekruten suchte und das Bevölkerungswachstum in Kastilien stagnierte. Der frühere Strom von Freiwilligen drohte zu versiegen, was das traditionelle Rekrutierungssystem infrage stellte: Bisher hatte man einzelne Offiziere per Kommission beauftragt, sich ihre Einheiten selbst zu rekrutieren. Nun modifizierte die Krone ihr Vorgehen, indem sie zwar die Lenkung von Armee und Kriegsmarine in der eigenen Hand behielt, bei zentralen Aspekten der Rekrutierung, Logistik und Rüstungsbeschaffung jedoch Outsourcing betrieb. Philipp II. engagierte den ortsansässigen Adel und die Magistrate zur Rekrutierung von Soldaten und bemühte sich außerdem um eine Reaktivierung der zwischenzeitlich aufgelösten Milizen, um im Hinterland entlegenerer Provinzen wie Katalonien, der iberischen Levante, Andalusien oder Galicien ein gewisses Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Unterdessen wurde ab 1598 nach und nach das staatliche Monopol in der Rüstungsproduktion aufgeweicht, das immerhin seit 1562 bestanden hatte. Bis 1632 waren – mit Ausnahme der Pulvermühle von Cartagena – alle Rüstungsbetriebe in private Hände übergegangen.86 Die Privatisierung bedeutete nicht unbedingt eine Schwächung. Zum Beispiel waren private Werften um 1630 in der Lage, ein Kriegsschiff für 31 Dukaten pro Tonne zu bauen und damit vier Dukaten günstiger, als es die königlichen Werften konnten. Auf ein ganzes Schiff gerechnet, bedeutete das eine Ersparnis von 2000 Dukaten. Allerdings waren derartige Effekte offenbar eher günstiger Zufall als das Ergebnis wirtschaftspolitischer Planung. Die spanische Krone sah sich schlicht zum Handeln gezwungen, weil sie ihre wachsenden Schulden nicht mehr in den Griff bekam.

      Von den spanischen Staatseinkünften des Jahres 1598 konnte die Krone nur über 5,1 Millionen Dukaten direkt verfügen, weil die restlichen 4,1 Millionen bereits durch Zahlungsverpflichtungen an Gläubiger gebunden waren oder benötigt wurden, um fällige Staatsanleihen (juros) zu bedienen. In den Folgejahren wurde ein immer größerer Anteil des Steueraufkommens ausgegeben, bevor es überhaupt eingenommen war, was den „freien“ Budgetanteil bis 1618 auf gerade einmal 1,6 Millionen Dukaten zusammenschrumpfen ließ. Zugleich stiegen die Jahresausgaben auf 12 Millionen Dukaten an. Dem standen Gesamteinnahmen gegenüber, die beim Tod Philipps II. noch 12,9 Millionen Dukaten betragen hatten, bis 1621 aber auf 10 Millionen oder weniger abfielen. Philipp III. brach mit einer langen Tradition spanischer Solidität in der Währungspolitik, indem er im Jahr nach seiner Thronbesteigung 1598 minderwertigeres Geld schlagen ließ. Obwohl der König 1608 im Austausch gegen höhere Steuerbewilligungen zusagte, die vellón genannten Münzen, die aus einer Kupfer-Silber-Legierung bestanden, nicht mehr auszugeben, tat er es 1617 und 1621 erneut, wodurch „gute“ Münzen aus dem Verkehr gedrängt wurden: Die Leute wollten sie lieber nicht mehr hergeben. Auf lange Sicht machte die Krone so ein Verlustgeschäft, denn die Spanier zahlten ihre Steuern in vellón, während die Soldaten als Bezahlung nur gutes Silber akzeptierten. Die fundierten Schulden aus juros stiegen im Verlauf der Regierungszeit Philipps III. von 92 auf 112 Millionen Dukaten an, was jährliche Zinsschulden von 5,6 Millionen oder der Hälfte der ordentlichen Einnahmen bedeutete.

      All diese Probleme ließen viele Spanier zu der Ansicht gelangen, dass – in den Worten des greisen Grafen von Gondomar – „das Schiff nun sank“ („se va todo a fondo“), und spätere Historiker haben diese latente Untergangsstimmung in ihren Darstellungen aufgegriffen. Wer in den 1590er-Jahren so etwas sagte oder schrieb, der bezog sich auf die antike Vorstellung eines gewissermaßen natürlichen Lebenszyklus der Staaten, in dem Aufstieg, Reife und schließlich der Niedergang aufeinander folgten. In Spanien fürchteten nun viele, ihrem Land stehe der Eintritt in die letzte Phase dieses Zyklus unmittelbar bevor. Zwar war man sich einig, dass grundsätzlich nur Gott den besagten Prozess umkehren könne; in der Frage jedoch, ob und wie weit menschliches Eingreifen imstande sei, ihn zu verlangsamen, gingen die Meinungen weit auseinander. Der königlichen Regierung fehlte es gewiss nicht an Ideen, denn beinah täglich gingen neue Vorschläge aus der Bevölkerung ein, wie man mögliche Schwächen vermeiden und bestehende Mängel beheben könne.87 Allen lag die reputación der spanischen Krone am Herzen, nicht zuletzt, weil der gute Ruf – nicht zu Unrecht – als Grundlage der spanischen Kreditwürdigkeit angesehen wurde. Weniger besorgt zeigte man sich mit Blick auf die noch fundamentaleren Probleme von Bevölkerungsschwund, wirtschaftlichem Verfall, Agrarkrise und Handelsflaute, die erst in der späteren historischen Forschung in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt sind. Während jedoch im geschichtswissenschaftlichen Denkmodell eines „spanischen Niedergangs“ der politische Einflussverlust schnell zur notwendigen Folge wirtschaftlicher Rückschläge erklärt wird, waren die spanischen Zeitgenossen des frühen 17. Jahrhunderts nicht über Gebühr pessimistisch. Sie erkannten zwar, dass die regelmäßige Zahlungsunfähigkeit ihres Königs zu solchen „Demütigungen“ wie dem 1609 geschlossenen Waffenstillstand mit den Niederländern führte; aber einen plötzlich bevorstehenden Zusammenbruch ihre Staates scheinen sie nicht erwartet zu haben. Spanien war noch immer ein vergleichsweise reiches Land, in dem es sich sehr gut leben ließ – zumindest galt das für die wenigen Glücklichen an der Spitze der spanischen Gesellschaft: Die 115 Granden des Königreiches verfügten zusammen über ein Jahreseinkommen von fünf Millionen Dukaten, was der Hälfte des Staatshaushalts entsprach. Auch besaß Spanien noch immer zahlreiche erfahrene Soldaten, Seeleute, Beamte und Diplomaten mit weitreichenden Kontakten in ganz Europa. Es blieb stark im Verhältnis zu seinem Hauptrivalen Frankreich, das bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts von schweren Krisen erschüttert wurde. Aber vor allem hatte Spanien bis 1621 offenkundig genug politischen und militärischen Schwung aufgenommen, dass sein „Weltreichskoloss“ sich sogar noch voranschob, als der Tank schon seit zwei Jahrzehnten leer war.

      Die Sorge um die reputación bedeutet, dass jede Analyse der spanischen Weltmacht bei deren Monarchie ansetzen muss. Das spanische Majestätskonzept betonte die erhabene Natur eines Königtums, dessen Monarch von Gott eigens erwählt worden war, um zu herrschen, in der Verantwortlichkeit für sein eigenes Schicksal und das seiner Untertanen. Die Stände, Ratsversammlungen und anderen Instanzen, die in älteren Vorstellungen einer monarchia mixta noch eine so große Rolle gespielt hatten, waren zwar nicht verschwunden – aber sie unterstanden nun klar der Autorität des Königs, der wichtige Entscheidungen allein treffen sollte.88 Wie so oft hinkte die Praxis der Theorie weit hinterher. Philipp II. hatte versucht, seine Berater zur Zusammenarbeit zu zwingen, indem er absichtlich keinem einzelnen von ihnen besondere Gunst erwies, doch das drängte die persönlichen Rivalitäten lediglich in den Untergrund. Die Situation wurde