Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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freilich gegen den Kaiser.78 Die Familie des Grafen – ursprünglich als „della Torre“ bekannt – stammte aus Oberitalien, hatte aber, wie so viele ihrer adligen Landsleute, Grundbesitz in Österreich und Böhmen erworben. Der Graf von Thurn, um den es hier geht, Heinrich Matthias, ist in der Geschichtsschreibung fast ausnahmslos schlecht weggekommen. Ohne Frage war er ein außergewöhnlich unfähiger Politiker – und ein schlechter Stratege obendrein. Zwar war er Lutheraner, doch lässt sein Verhalten eher persönlichen Ehrgeiz denn religiösen Eifer als Hauptantrieb seines Handelns vermuten. Sein radikales Auftreten im Frühjahr 1609 rührte vornehmlich daher, dass er dem Kaiser mangelnde Erkenntlichkeit für seine Dienste im Langen Türkenkrieg vorwarf.

      Thurn sorgte dafür, dass in den kommenden Wochen ein gnadenloser Hagel immer neuer Forderungen auf den labilen Kaiser einprasselte, der schließlich am Abend des 9. Juli entnervt aufgab und jenen berühmt-berüchtigten Majestätsbrief unterzeichnete, der den böhmischen Protestanten religiöse und politische Freiheiten gewährte, die weit über die entsprechenden Privilegien ihrer österreichischen und ungarischen Glaubensbrüder hinausgingen. Von nun an sollten die Herren, Ritter und Königsstädte Böhmens frei wählen dürfen, welcher Konfession sie angehören wollten. Außerdem sollte jede Glaubensgemeinschaft zehn „Defensoren“ (Verteidiger) ernennen, die für die Wahrung aller verbrieften Rechte eintreten würden. Auf diese Weise entstand de facto eine Parallelregierung unter dem Vorsitz des Václav Budovec von Budov, die neben der offiziellen habsburgisch-böhmischen Verwaltung unter dem Oberstkanzler Lobkowitz existierte. Thurn sowie Leonhard Colonna von Fels – ein weiterer militärischer Dilettant italienischer Abstammung – wurden zu Oberbefehlshabern der protestantischen Miliz ernannt. Andere Protestanten übernahmen die Prager Universität und das utraquistische Konsistorium, wodurch der institutionelle Rahmen für die Schaffung einer eigenen protestantischen Landeskirche geschaffen wurde.79 Am 20. August 1609 erzwangen die schlesischen Stände einen ganz ähnlichen Majestätsbrief, durch den auch die Lutheraner und Katholiken Schlesiens gleichgestellt wurden.

      Seit 1599 waren die böhmischen Katholiken im Aufstieg begriffen gewesen, doch nun wurden sie von der Dynastie fallen gelassen, die ihr einziger Schutz war. Slavata verlor seinen Posten als Burggraf von Karlstein, der traditionell für den Schutz der Reichsinsignien (Kaiserkrone, Schwert und Heilige Lanze, dazu viele weitere Kostbarkeiten) des Heiligen Römischen Reiches verantwortlich gewesen war und noch immer die böhmischen Kronjuwelen bewachte. Neuer Burggraf von Karlstein wurde Heinrich Matthias von Thurn. An der Spitze einer Gruppe von Katholiken, die sich weigerten, den Majestätsbrief durch ihre Unterschrift anzuerkennen, stand Fürst Lobkowitz, der Oberstkanzler von Böhmen. Diese Weigerung isolierte den Kaiser noch weiter. Das Prestige der Habsburger stürzte auf einen neuen Tiefpunkt ab, was Tschernembl in Österreich und seine radikalen Verbündeten in Deutschland davon überzeugte, der Zusammenbruch des Herrscherhauses stehe unmittelbar bevor. Ihre Hoffnungen schienen sich zu erfüllen, als Rudolf nun auch den österreichischen Protestanten einen Majestätsbrief anbot – vorausgesetzt, sie liefen zu ihm über.

      Diese tiefe Krise fiel zusammen mit der Herausbildung untereinander verfeindeter Lager unter den protestantischen und katholischen Fürsten des Reiches. Dazu kamen internationale Spannungen rund um den Jülich-Klevischen Erbfolgestreit (dazu weiter in Kapitel 7). Der große Krieg blieb dennoch aus, und die unmittelbare Bedrohung des Hauses Habsburg ging bald zurück. Das verlangt nach einer Erklärung, bevor wir uns dem Geschehen in anderen Gegenden Europas zuwenden.

      Die Radikalen wurden Opfer ihres eigenen Erfolgs. Zwar bedeuteten die Zugeständnisse von 1608/09 auf den ersten Blick nicht weniger als die Erfüllung eines lang gehegten Traums, die eine Mehrheit der Protestanten tief befriedigen musste und ihr Verlangen, engere Verbindungen zu den Glaubensgenossen im Reich und darüber hinaus zu knüpfen, deutlich dämpfte. Weil diese Wunscherfüllung jedoch mit vorgehaltener Klinge erzwungen worden war, wollten die meisten deutschen Protestanten nichts mit jenen österreichischen und böhmischen Radikalen zu tun haben, die sie erwirkt hatten und die man landläufig als treulose Verräter am kaiserlichen Herrscherhaus betrachtete. Geblendet von ihrem vermeintlichen Erfolg, bemerkte die radikale Minderheit überhaupt nicht, wie rapide sie an Akzeptanz verlor. Eine Gesandtschaft, die bei den protestantischen Reichsständen um ein Darlehen nachsuchen sollte, kehrte gegen Ende des Jahres 1608 mit leeren Händen zurück, und bis Februar 1610 mussten die Böhmen einsehen, dass sie ihre kostspielige Miliz am besten auflösten.80 Während in Mähren das gütige Wesen Karls von Žerotin weiterhin für einen Ausgleich zwischen Protestanten und Katholiken sorgte, redeten in den restlichen habsburgischen Ländern zu diesem Zeitpunkt beide Lager schon nicht mehr miteinander. Der radikalprotestantische Boykott der offiziellen Landtage ermöglichte es der katholischen Minderheit, die Kontrolle über die Ständeversammlungen zurückzuerlangen, wogegen sich ihre Gegner in sektiererischen Privatversammlungen trafen, denen jegliche Verfassungsgrundlage fehlte.

      Der Ausbruch des Türkenkrieges hatte 1593 zahlreiche Gefahren mit sich gebracht – aber auch günstige Gelegenheiten. Rudolf II. fand zu einem neuen Lebenssinn, während die deutschen Fürsten und die habsburgischen Stände sich geschlossen hinter ihn stellten und große Geldsummen für seinen glorreichen „Kreuzzug“ bewilligten, Militante und Extremisten aller Couleur jedoch ins Abseits gedrängt wurden. Das Unvermögen, im ungarischen „Burgenkrieg“ gegen die Osmanen bleibende Fortschritte zu erzielen, führte unter Rudolfs Verwandten und Untertanen allerdings zu wachsender Frustration. Die Situation wurde immer heikler, nachdem zuerst der innerösterreichische Erzherzog Ferdinand, später dann Matthias und Rudolf selbst in ihren jeweiligen Herrschaftsbereichen die radikale Gegenreformation zur Richtschnur aller Politik gemacht hatten. Das Wiedererstarken des Katholizismus war aufs Engste mit den gleichzeitigen Bemühungen um eine Festigung der habsburgischen Herrschaftsgewalt und Autorität verknüpft. Das war ein entscheidender Umschwung, denkt man an die Zeit vor 1576 zurück, als Ferdinand I. und Maximilian II. ihren ganzen Einfluss geltend machten, um eine Versöhnung der rivalisierenden Konfessionen herbeizuführen. Durch die Verquickung konfessioneller und dynastischer Interessen wurde die habsburgische (Religions-)Politik immer rigider und doktrinärer, bis es am Ende unmöglich geworden war, der einen Gruppierung in der einen Gegend Zugeständnisse zu machen, ohne damit die Position und das Ansehen des Herrscherhauses an anderem Ort und bei anderen Frommen zu untergraben. Diese Schwierigkeiten traten klar zutage, als Rudolf um 1600 begann, seine rigorose Rekatholisierungspolitik auf Oberungarn und Siebenbürgen auszuweiten. Angesichts des noch immer tobenden Türkenkrieges war dies der Gipfel der Torheit. Rudolfs unbedachtes Handeln provozierte den Bocskai-Aufstand, der wiederum Matthias zum Eingreifen zwang und zu dem in gleich mehrerlei Hinsicht unbefriedigenden Friedensschluss mit den Osmanen führte. Vor noch Schlimmerem bewahrte die Habsburger einzig und allein die Tatsache, dass der Sultan in den Jahren nach 1606 mit anderen Problemen zu kämpfen hatte; und doch taumelten die Habsburger nun vom Regen des Türkenkrieges in die Traufe ihres Bruderzwistes, der rasch als Bürgerkrieg außer Kontrolle geriet. In der riskanten Partie, die nun folgte, setzten die rivalisierenden Erzherzöge Rudolf und Matthias auch noch den letzten Rest ihres familiären Ansehens aufs Spiel – undverloren am Ende beide. Während Matthias sich zwar spätestens 1609 ansehnlicher Gewinne in Österreich, Mähren und Ungarn brüsten konnte, hatte er dafür doch den hohen Preis einer Stärkung der protestantischen Stände in den dortigen Landtagen gezahlt. Die Zugeständnisse, die Rudolf in seinen Majestätsbriefen den Böhmen und Schlesiern machte, sollten sich sogar als noch verhängnisvoller herausstellen. Tirol kam wohl einzig und allein deshalb unbeschadet davon, weil es dort seit 1595 keinen erblichen Erzherzog mehr gegeben hatte, und der zeitweilige „Ausstieg“ des Bruders Ferdinand aus der Familienfehde hielt auch Innerösterreich aus zumindest dieser Phase der Streitigkeiten heraus. Trotz alledem sollte diese Periode von 16 Jahren ununterbrochener Kriege, im Inneren wie im Äußeren, nicht spurlos an der Donaumonarchie vorbeigehen, ja die Habsburger im Gegenteil deutlich geschwächt zurücklassen. Den Nutzen trugen ihre reichen spanischen Vettern davon.

      5. Pax Hispanica

      Die spanische Monarchie

      Die Epoche von 1516 bis 1659 gilt als das Goldene Zeitalter Spaniens und überhaupt als Ära europäischer Vormacht auf der ganzen