Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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unter der Führung Bayerns und Kurkölns zu etablieren, die mobilisiert werden konnte, um kaiserliche Initiativen zu blockieren, wenn diese den spanischen Interessen zuwiderliefen. Auch bei der Platzierung oder Anwerbung von Fürsprechern an Rudolfs Prager Hof hatte Philipp einigen Erfolg. Der böhmische Oberstkanzler Fürst Lobkowitz war mit Hurtado de Mendoza verschwägert, dem vormaligen spanischen Botschafter am Kaiserhof, während der Kardinal Franz Seraph von Dietrichstein nicht nur in Spanien geboren, sondern auch mit der einflussreichen katalanischen Adelsfamilie Cardona verwandt war. Wie wir gesehen haben (in Kapitel 3), waren solche Verbindungen von höchstem Nutzen, als es darum ging, von 1598 an Rudolf zu einer Unterstützung der militanten Katholiken in Böhmen und Ungarn zu bewegen.

      Die Protestanten argwöhnten damals, eine finstere Intrige unter spanischpäpstlicher Federführung sei im Gang, aber die meisten derer, die damals als Angehörige der „spanischen Partei“ gebrandmarkt wurden, wollten in Wirklichkeit nur die Machtposition Österreichs stärken und kooperierten mit Madrid daher auch nur so weit, wie es ihren eigenen Interessen entsprach. Als der Kaiserhof nach Rudolfs Tod 1612 wieder von Prag nach Wien zog, nahm auch der spanische Einfluss ab. Der neue spanische Botschafter Zúñiga knüpfte zwar Beziehungen zu dem steirischen Erzherzog Ferdinand, doch die innerösterreichische Linie der Habsburger blieb München enger verbunden als Madrid. Sowohl Ferdinands Mutter als auch seine erste Frau waren bayerische Prinzessinnen gewesen, während in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht das nahe gelegene Italien einen stärkeren Einfluss auf den Grazer Hof ausübte, als Spanien es gekonnt hätte. Dies änderte sich auch nicht, als 1619 der Kaisertitel auf die innerösterreichischen Habsburger überging, und obwohl die spanische Ehefrau Ferdinands III. ein gewisses Interesse an der iberischen Kultur wach werden ließ, blieb Italien das ganze 17. Jahrhundert hindurch in Wien tonangebend.93 Dazu passte, dass auch die österreichische Präsenz in Spanien immer weiter abnahm. Noch Maximilian II. hatte gleich drei seiner Söhne nach Madrid geschickt, damit sie dort eine spanische Erziehung genössen; und ausgerechnet Albrecht, der als Einziger zu Hause geblieben war, wurde im Urteil seiner Zeitgenossen „mehr Spanier als Österreicher“. Weder Rudolf noch Matthias hatten Kinder, die sie ihrerseits nach Spanien hätten schicken können, und beiden war die spanische Einflussnahme im Reich ein Dorn im Auge. Die Österreicher unterhielten zwar eine Vertretung in Madrid, aber im Gegensatz zu ihrer Gesandtschaft bei der Hohen Pforte in Konstantinopel war jene nicht ständig besetzt. Margarete von Österreich, eine Schwester Ferdinands von Steiermark, heiratete 1599 Philipp III. von Spanien. Durch acht Schwangerschaften hindurch wusste sie sich die Aufmerksamkeit ihres Gatten zu sichern, aber nach ihrem frühen Tod 1611 reduzierte sich die österreichische Präsenz in Spanien auf eine weitere Habsburgerin namens Margarete, genannt „Margarete vom Kreuz“, die jüngste Tochter Maximilians II. und damit jüngste Schwester Matthias’ von Habsburg, die als Nonne im Kloster Descalzas Reales in Madrid lebte und den Kindern der ersten Margarete zur Ersatzmutter wurde.

      Ironischerweise nahm das spanische Interesse am Heiligen Römischen Reich ab, weil Philipp II. glaubte, Rudolf sei ein verlässlicher Katholik, der seine Sache besser machen werde als sein Vater Maximilian II. vor ihm. Bayern und Steiermark schienen ebenso zuverlässige Verbündete, während ein 1587 mit den katholischen Schweizer Kantonen geschlossenes Abkommen die strategische Bedeutung Tirols reduzierte, da den Spaniern nun eine Alternativroute über die Alpen zur Verfügung stand; eine mögliche Bedrohung der Kommunikationswege zwischen den verschiedenen spanischen Einflussbereichen gab immer Anlass zur Sorge. In den Ratschlägen, die für Philipp III. zu seiner Thronbesteigung 1598 vorbereitet worden waren, nahm Deutschland nur eine marginale Rolle ein und wurde außerdem auf eine Weise dargestellt, die den Analysen späterer Historiker radikal widerspricht.

      Die protestantischen Reichsfürsten, hieß es etwa in dem Dokument, seien viel zu uneins, um gefährlich zu werden, während die Österreicher unfähig seien, auf eigene Faust zu handeln. Sie mochten zwar den Kaisertitel führen, seien aber inzwischen doch zu „Juniorpartnern“ innerhalb der Casa de Austria geworden. Vorausgesetzt, der spanische König lasse sie in Frieden, würden die Deutschen keinen Ärger machen. Nationale Vorurteile verstärkten die spanische Tendenz, sich lieber nicht in die inneren Angelegenheiten des Reiches einzumischen. Die Berichte der spanischen Botschafter zeichneten das Bild eines Landes, das im moralischen Verfall begriffen war. Die katholischen Fürsten des Reiches, hieß es, liebäugelten bereits mit der Heterodoxie und hätten es überdies versäumt, ihren vollen Anteil der Kosten des Türkenkrieges zu bezahlen. Die Deutschen überhaupt seien rückständig und bäurisch, könnten nichts, als fettes Essen in sich hineinzustopfen und Bier gleich fassweise zu saufen; die lichten Höhen der kastilischen Zivilisation würden sie niemals erreichen. Aber sie lebten ja auch in einem verregneten Land voller düsterer Wälder, schlammiger Straßen und völlig überteuerter, dabei aber ungastlicher Wirtshäuser.

      Anders als sein Vater besaß Philipp III. keinerlei persönliche Kenntnis des Heiligen Römischen Reiches, und entsprechend noch weniger Raum nahm das Reich im politischen Kalkül des Sohnes ein. Man hat den jungen Monarchen den faulsten Herrscher, den Spanien jemals hatte, genannt, worin wohl der Stoßseufzer Philipps II. nachklingt: „Gott, der mir so viele Königreiche gegeben hat, hat mir keinen Sohn gegeben, der fähig wäre, sie zu regieren.“94 Nach anfänglichem Interesse, das jedoch nur von kurzer Dauer war, legte Philipp die Regierungsverantwortung – so die vorherrschende Meinung – in die Hände seines Favoriten, des Grafen (und späteren Herzogs) von Lerma, und zog sich in eine Privatwelt aus Selbstverherrlichung und Narzissmus zurück. Dies führte in den Worten eines neueren Historikers dazu, dass „in Madrid überhaupt niemand regierte; ein ganzes Weltreich lief auf Autopilot“.95 Eine solche Kritik ist nicht nur ungerecht, sie unterstellt auch einen Unterschied – den es so aber nicht gegeben hat – zwischen einem angeblich tatkräftigen und durchsetzungsstarken Spanien unter Philipp II. und einem verfallenden Königreich mit dessen Sohn an der Spitze. Dabei nahm Philipp III., seit er 15 war, fast täglich an den Sitzungen des Staatsrats teil und zeichnete für seinen immer kränklicheren Vater schon seit 1597 wichtige Dokumente. Von seinem Vater geerbt hatte er dessen ausgeprägtes Majestätsgefühl und wollte deshalb bei allen Entscheidungen von Gewicht das letzte Wort behalten. Der wahre Unterschied zwischen Vater und Sohn lag jedoch in der realistischeren Herangehensweise Philipps III., als es darum ging, diesen absolutistischen Anspruch auch in die Tat umzusetzen. Als König konzentrierte er sich ganz auf die symbolische Repräsentation von Macht, indem er die ohnehin schon strengen Vorstellungen seines Vaters von Unnahbarkeit, Erhabenheit und Stolz eines Monarchen noch einmal steigerte – und zwar dadurch, dass er den leibhaften König einfach aus der Regierungsgleichung strich. Alle tagespolitischen Aufgaben wurden dem Herzog von Lerma übertragen, der sich nun mit den verschiedenen Ministern und juntas auseinanderzusetzen hatte.

      Lerma war auf einem klassischen Weg an die Macht gelangt, indem er sich dem Gefolge des Thronerben angeschlossen und dann alles darauf angelegt hatte, sich unverzichtbar zu machen. Seine Karriere veranschaulicht all die typischen Schwachstellen eines Favoriten am Königshof, mithin eines Mannes, der viele Klienten, aber kaum Freunde hat. Lerma betonte seine eigene Größe, um sich von seinen Rivalen abzusetzen und die angeblich einzigartige Befähigung hervorzustreichen, die ihn zur rechten Hand Philipps III. hatte werden lassen. Das war jedoch ein schmaler Grat, denn sein arrogantes Auftreten ließ Lermas Feinde schnell behaupten, dieser wolle wohl dem König selbst den Rang ablaufen. Sein Einfluss wurde bereits zwischen 1606 und 1608 geschwächt, als sukzessive seine wichtigsten Verbündeten starben, sich aufs Altenteil zurückzogen oder arretiert wurden wie der Graf von Villalonga, der als Sündenbock für den Staatsbankrott von 1607 herhalten musste. Sogar der Dominikanermönch Luis de Aliaga, der Lermas Beichtvater gewesen war, wandte sich gegen ihn, als er 1608 Beichtvater des Königs wurde. Die Kritik wurde stärker, als Lerma 1609 den Zwölfjährigen Waffenstillstand mit den Niederländern schloss, wodurch auf absehbare Zeit alle Versuche, deren Aufstand niederzuschlagen, eingestellt waren.

      Der Aufstand der Niederlande (1568–1609)

      Der Aufstand in den Niederlanden wurde im späteren 16. Jahrhundert zum vordringlichen Problem der spanischen Krone und bestimmte deren Politik auch noch in der ersten Hälfte des folgenden Jahrhunderts. Der Aufstand gab vor,