Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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der Militärgrenze an Personalmangel litten: 1641 dienten dort gerade einmal 15 000 kampfbereite Soldaten, rund 7000 unter Soll.71 Das war freilich noch immer eine ansehnliche Truppe, nämlich etwa so viele Soldaten, wie in der Spätphase des Krieges in einer großen Feldschlacht aufgeboten wurden. Sie band enorme Ressourcen an Männern, Geld und Material, und das zu einer Zeit, in der dem Kaiser das sprichwörtliche Wasser schon bis zum Hals stand – ein Faktor, der bei der Bewertung der kaiserlichen Kriegführung bisher oft übersehen worden ist.

      Ihre fortgesetzte Militärpräsenz entlang der Grenze ließ erkennen, wie groß die Türkenfurcht der Habsburger noch immer war. Die Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten, als die Osmanen ihrem Friedensschluss mit den Persern 1639 eine Reihe groß angelegter Raubzüge folgen ließen, die wohl ihre Herrschaft über Kanischa festigen sollten. Die Lage hätte sich – aus Sicht der Habsburger – noch wesentlich verschlechtern können, wenn nun nicht der Krieg mit den Safawiden wiederaufgeflammt wäre, was den Sultan 1642 dazu bewog, den Frieden von Zsitvatorok noch einmal zu erneuern, diesmal gleich auf 20 Jahre. Die allseitigen Probleme des Sultans ließen Siebenbürgen, das seit 1606 zumindest nominell unter osmanischer Oberherrschaft gestanden hatte, langsam seiner Kontrolle entgleiten. Dass Siebenbürgen inzwischen an Unabhängigkeit gewonnen hatte, ermutigte seinen Fürsten, sich 1644/45 erneut in den Dreißigjährigen Krieg einzumischen (siehe Kapitel 19). So hatte, während die osmanische Schwäche den Sultan gerade aus dem europäischen Krieg heraushielt, dieselbe Schwäche den umgekehrten Effekt auf das Fürstentum Siebenbürgen: Ihm machte sie den Kriegseintritt überhaupt erst möglich. Aus habsburgischer Perspektive war freilich die Auseinandersetzung mit dem Fürsten von Siebenbürgen einem Krieg mit dem – wesentlich mächtigeren – osmanischen Sultan allemal vorzuziehen. Befürchtungen, der Pascha von Buda könnte die Siebenbürger mit Fußtruppen und Artillerie unterstützen, erfüllten sich nicht, weshalb die siebenbürgische Intervention im Dreißigjährigen Krieg auch weitgehend folgenlos blieb. Gerade als das Fürstentum wieder Frieden schloss, sah sich der Sultan in einen neuen Konflikt mit den Venezianern verwickelt, der sich bis 1669 hinziehen sollte. Die allgemeine Demobilisierung im Anschluss an den Westfälischen Frieden verpflichtete den Kaiser, seine Truppen aus dem Reich abzuziehen, weshalb er sie nach Ungarn verlegte, wo sie neuerliche osmanische Einfälle bis 1655 abhielten. Erst Ende der 1650er-Jahre waren die Osmanen wieder so stark geworden, dass sie für Habsburg zur ernsthaften Bedrohung wurden. Ihre erneuten Versuche, Einfluss über Siebenbürgen zu gewinnen, lösten von 1662 an einen weiteren Krieg mit dem Kaiser aus, der zwei Jahre darauf durch die Erneuerung des (nun allerdings modifizierten) Friedens von Zsitvatorok beendet wurde. Die Pattsituation wurde erst durch die gescheiterte osmanische Belagerung Wiens aufgebrochen, die den Großen Türkenkrieg der Jahre 1683–99 eröffnete. Mit internationaler Hilfe gelang es den Habsburgern, die Türken aus Ungarn zu vertreiben, das 1687 von einem Wahl- in ein Erbkönigtum umgewandelt wurde, worauf vier Jahre später die Annexion Siebenbürgens folgte. Der Sieg im Großen Türkenkrieg ließ Österreich zur Großmacht aus eigenem Recht aufsteigen, während zugleich die Bedeutung des römisch-deutschen Kaisertitels abnahm.72

      Von solchen Ruhmeshöhen konnten die Habsburger des frühen 17. Jahrhunderts, die in den Jahren nach 1606 vor dem Trümmerhaufen der rudolfinischen Politik standen, nur sehnsuchtsvoll träumen. Zu ihrer Zeit nämlich war die Militärgrenze durch den Verlust von zweien ihrer mächtigsten Festungen geschwächt, die Dynastie hatte in der ungarischen Innenpolitik wertvollen Boden verloren, ihr Einfluss in Siebenbürgen war völlig erloschen. Die Konsequenzen dieser Rückschläge beschränkten sich jedoch keineswegs auf den Südosten des Habsburgerreiches, sondern erschütterten die Monarchie in ihren Grundfesten. Obwohl er im Verlauf des Langen Türkenkrieges mehr als 55 Millionen Gulden an Subsidien und Steuern erhalten hatte, stiegen die Schulden Rudolfs II. mit der Zeit auf stolze zwölf Millionen Gulden. Frühere Haupteinkommensquellen der Habsburger, wie etwa die ungarischen Kupferminen, waren verpfändet worden, um weitere Darlehen aufnehmen zu können. Die Soldrückstände der Grenztruppen betrugen schon 1601 eine Million Gulden, während sich die entsprechenden Summen für das Feldheer bei Kriegsende auf das Doppelte beliefen. 6000 habsburgische Soldaten lungerten in Wien herum und verlangten, dass man ihnen ihr Geld austeile – insgesamt mindestens eine Million Gulden. Die Unfähigkeit der Habsburger, selbst in ihrer eigenen Hauptstadt für Ordnung zu sorgen, ließ ihr sonstiges Versagen mehr als deutlich werden. Enttäuschung und Ernüchterung breiteten sich auch im Heiligen Römischen Reich aus, wo die Fürsten es kaum glauben konnten, dass all ihr Geld nicht ausgereicht haben sollte, den Sieg zu erringen. Der Reichspfennigmeister Geizkofler wurde wegen Veruntreuung vor Gericht gestellt – die Anklage lautete auf die Hinterziehung einer halben Million Gulden –, und obwohl er 1617 freigesprochen wurde, unterließen es viele Fürsten, ihren Anteil an der letzten, 1613 bewilligten Reichshilfe für die Militärgrenze zu zahlen; noch 1619 fehlten an der versprochenen Summe 5,28 Millionen Gulden.

      Bruderzwist im Hause Habsburg

      Die Suche nach Sündenböcken machte selbst vor den Angehörigen des Herrscherhauses nicht halt. Nachdem der Feldmarschall Hermann Christoph von Rußwurm – ein Calvinist wie Bocskai – für den Verlust der Festung Gran aufs Schafott geschickt worden war, gingen die Erzherzöge aufeinander los, kaum dass Frieden herrschte. Der nun folgende Bruderzwist verschärfte den Schaden, den der Krieg angerichtet hatte. Die ohnehin angeschlagene Dynastie wurde weiter geschwächt; radikale Kräfte in den Ständeversammlungen sahen sich bestärkt und hielten die Zeit für gekommen, durch gewaltsame Konfrontation ihre konfessionellen und politischen Ziele zu erreichen. Entscheidend war dabei, dass durch besagte Familienfehde die Aufmerksamkeit des Kaisers zu einer denkbar ungünstigen Zeit vom Reich abgelenkt wurde, wodurch auch noch der letzte Rest an Wohlwollen seitens der Reichsstände aufgezehrt wurde und die Bemühungen aller Friedwilligen um eine verträgliche Lösung des Konflikts zunichtegemacht wurden. Die Interpretation dieses sprichwörtlich gewordenen „Bruderzwists im Hause Habsburg“ ist maßgeblich durch Franz Grillparzers Drama Ein Bruderzwist in Habsburg beeinflusst worden. In diesem Meisterwerk der österreichischen Literatur des 19. Jahrhunderts tritt Erzherzog Matthias in der Rolle des rücksichtslosen, machthungrigen Usurpators auf, während Rudolf trotz all seiner Fehler als gütiger, friedliebender Monarch dargestellt wird. Tatsächlich war Matthias’ Haltung wesentlich komplexer, und auch die anderen Erzherzöge spielten in dem Drama, das die Wirklichkeit entfaltete, mehr als nur eine Nebenrolle.

      Die von allen Seiten erhobenen Vorwürfe wegen des Krieges zwangen die Herrscherfamilie dazu, sich gründlich mit der ansonsten gern ignorierten – und durchaus problematischen – Frage der österreichischen Erbfolge auseinanderzusetzen. Rudolf kam im April 1578 mit seinen fünf Brüdern überein, es auf keinen Fall wie ihr Großvater Ferdinand zu machen, der bei seinem Tod 1564 die österreichischen Erblande aufgeteilt und sie damit – wie es nun erschien – zersplittert hatte. Als ältester Vertreter der habsburgischen Hauptlinie würde Rudolf Österreich, Böhmen und Ungarn erhalten, während seinen Brüdern standesgemäße Apanagen sowie Posten als Provinzstatthalter zustehen sollten – solange sie nicht anderswo etwas Besseres fanden. Misslicherweise hatte die Ausbreitung der Reformation im Heiligen Römischen Reich dafür gesorgt, dass die Anzahl geeigneter Posten in der Reichskirche drastisch geschrumpft war; schon in den 1580er-Jahren waren zahlreiche Bistümer lutherisch geworden. Nach dem frühen Tod des Erzherzogs Wenzel im September 1578 waren immerhin noch vier Brüder zu versorgen. Ernst, der nächstälteste, schien mit seinem Posten als Statthalter in Österreich und Befehlshaber an der ungarischen Militärgrenze ab 1577 durchaus zufrieden; durch seinen Tod 1595 trat aber auch er von der Bühne des Bruderzwistes ab. Albrecht, der jüngste überlebende Bruder, blieb nach 1571 in Spanien, wo ihn schließlich Philipp II. zum Gatten seiner Tochter Isabella erkor (die zu heiraten sich Albrechts Bruder Rudolf ja zuvor geweigert hatte). Obwohl sein Name von verschiedenen Seiten ins Spiel gebracht wurde, verhinderte Albrechts enge Bindung an die spanische Krone doch von vornherein, dass er einen ernst zu nehmenden Anspruch auf Österreich und das Reich erhob.

      Eine Erkrankung im Kindesalter hatte Erzherzog Maximilian, den mittleren der Brüder, davon abgehalten, die bei den österreichischen Habsburgern traditionelle Bildungsreise nach Spanien anzutreten. Stattdessen war er von seiner Mutter auf eine Karriere in der Reichskirche