Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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der Zeit rechneten mit zwei bis vier Stück Artillerie je 1000 Soldaten, doch in der Regel zogen nur die leichteren Feldschlangen und Falkonetts mit Infanterie und Kavallerie ins Feld. Die größeren Geschütze waren teuer in der Herstellung und schwer zu bewegen, was sie für die siegreiche Seite zur wertvollen (und oft eben doch „leichten“) Beute machte.

      Die Gefechtstaktik In der Schlacht war man bemüht, Infanterie, Kavallerie und Artillerie optimal miteinander zu kombinieren. Der Kampf wurde in der Regel mit einer Kanonade eröffnet, sobald die verfeindeten Parteien sich auf unter 1000 Schritt angenähert hatten. Währenddessen rückten Plänkler vor, um die gegnerische Verteidigung zu sondieren und Aufklärung zu betreiben. Diese einleitenden Schritte verschafften dem Rest der Truppe die nötige Zeit, um sich auf seine Positionen zu begeben, konnten aber – ganz im Gegenteil – auch eingesetzt werden, um einen Feind so lange aufzuhalten, bis die eigene Seite den Rückzug angetreten hatte. Die zeitgenössische Vorliebe für große Infanterieformationen sorgte dafür, dass die Aufstellung zum Gefecht eine abwechslungsreiche Angelegenheit blieb – schließlich konnte man zwischen den großen Terzios etwa Artillerie und Kavallerie in den verschiedensten Mustern positionieren, je nach der Beschaffenheit des Geländes und den Absichten des kommandierenden Feldherrn. In dem Maß jedoch, in dem die niederländische Ordonnanz an Beliebtheit gewann, wurde die Infanterie auf eine oder mehr Linien im Zentrum zusammengezogen, wobei die einzelnen Bataillone nur schmale Lücken zwischen einander ließen, um der feindlichen Kavallerie nicht den Stoß in ihre ungeschützten Flanken zu ermöglichen. Die zweite und alle weiteren Linien lagen zwischen 100 und 300 Metern hinter der ersten. Wer dichter aufrückte, riskierte es, den eigenen Kameraden in den Rücken zu schießen; wer weiter weg blieb, konnte jenen im Notfall nicht beistehen. Die so entstehende „Lineartaktik“ ermunterte die Kommandeure, ihre Kavallerie zu beiden Seiten der Infanterielinien zu platzieren – eine Vorgehensweise, die im späteren 17. und im 18. Jahrhundert zur Norm werden sollte. Einer ausschließlichen Verwendung der Lineartaktik standen allerdings Zweifel entgegen, ob der damit einhergehende Verlust an Schockwirkung durch den Gewinn an Feuerkraft tatsächlich gerechtfertigt werde. Auch im Osten Europas, wo die Türken und andere Kriegsparteien flexiblere Eröffnungstaktiken und einen größeren Anteil leichter Truppen einsetzten, zögerte man, sich ganz auf die Lineartaktik zu verlassen. Die kaiserlichen Feldherren in Ungarn setzten zum Schutz ihrer Fußtruppen auch Erdwerke oder Planwagen und andere bewegliche Hindernisse ein.

      Im Allgemeinen trat jede der drei Haupttruppengattungen gegen ihr feindliches Pendant an. Die Artillerie versuchte, die Geschütze des Gegners auszuschalten, bevor die eigenen Fuß- und Reitertruppen vorrückten und das Schussfeld versperrten. Die Reiterei wiederum stürzte sich auf die gegnerische Reiterei, um sie vom Feld zu drängen und so die Flanken der feindlichen Infanterie zu entblößen. Beide Seiten konnten nur hoffen, zur Entscheidung der Schlacht noch genügend Artillerie und Kavallerie übrigzuhaben, wenn die langsamere Infanterie endlich in Schussweite gekommen sein würde; schließlich war die Kombination verschiedener Waffengattungen für gewöhnlich besonders effektiv. So konnte die feindliche Infanterie durch eine scharfe Attacke der Kavallerie am Vorrücken gehindert und in die Defensive gedrängt werden, während Kavallerie und eigene Musketenschützen sie mit Feuer belegten. Die eigene Feuerkraft konnte auch eingesetzt werden, um gegnerische Formationen aufzubrechen und so aus dem Konzept zu bringen, dass sie vor der Zeit zum Angriff übergingen oder sich gar völlig auflösten und einem feindlichen Vorstoß schutzlos ausgeliefert waren. Alle Feldherrnkunst und taktische Innovation beruhte auf Variationen dieses Grundmusters, um früh in der Schlacht eine möglichst effektive Verbindung der drei Komponenten Infanterie, Kavallerie und Artillerie zu erzielen und damit einen leichteren und weniger verlustreichen Sieg zu erringen.

      Der Lange Türkenkrieg (1593–1606)

      Während des Türkenkrieges der Jahre 1593–1606, der sich größtenteils in Belagerungen und Scharmützeln vollzog (vergleichbar dem spanischen Vorgehen gegen die Niederländer in Flandern), gab es nur wenig Gelegenheit, die beschriebenen Taktiken in großen Feldschlachten zu erproben. Auslöser der Feindseligkeiten waren die systemischen Probleme eines grassierenden (See-) Räuberwesens und instabiler Grenzen. Die Habsburger konnten nur wenig für die Uskoken tun, die mit Übervölkerung zu kämpfen hatten und sich deshalb gezwungen sahen, ihre piratischen Aktivitäten auf der Adria zu verstärken. Die Venezianer, selbst die Hauptleidtragenden der uskokischen Seeräuberei, ermunterten die Piraten von 1591 an, statt ihrer doch lieber das osmanische Bosnien und Ungarn ins Visier zu nehmen. Der Pascha (osmanische Statthalter) von Bosnien übte Vergeltung, indem er einen kroatischen Grenzposten belagerte; dann wurde er selbst jedoch gefangen genommen und von den Verteidigern des Forts hingerichtet. Sinan Pascha, der energische Großwesir des Osmanischen Reiches, überredete 1593 den zaudernden Sultan Murad III. zum Krieg. Als Eröffnungszug und Kriegserklärung ließ Sinan die habsburgischen Gesandtschaftsangehörigen in Konstantinopel ergreifen und in die Sklaverei geben – Teil des Berufsrisikos, wenn man als Diplomat am Sultanshof Dienst tat.

      Die Berater Rudolfs von Habsburg glaubten, der Krieg werde ihnen eine goldene Gelegenheit zur Ausweitung des habsburgischen Einflusses in der Region bieten, und die Herrschaft über Siebenbürgen noch dazu. Der eigentlich unbedeutende Sieg der Kroaten gegen den Pascha von Bosnien brachte sie gar zu der Überzeugung, das Osmanische Reich als Ganzes befinde sich bereits in der Phase des Niedergangs. Ein großer Krieg gegen die Türken, so ihre weitere Überlegung, würde die Christen des gesamten Reiches um die Fahne ihres Kaisers scharen und die Konflikte der Reichsstände untereinander in den Hintergrund treten lassen. Ganz gewiss wurde Rudolf II. aus seiner Depression gerissen; seine traditionelle Rolle als oberster Feldherr und Verteidiger des wahren Glaubens (wie er sie sah) nahm er gern an. Der Reichstag trat 1594 erneut zusammen und bewilligte ein umfangreiches Steuerpaket, dessen Geltung vier Jahre später und noch einmal 1603 erneuert wurde. Mindestens vier Fünftel der ursprünglich versprochenen 20 Millionen Gulden gelangten auch tatsächlich in die Reichskasse, dazu noch 7 bis 8 Millionen, die Rudolf sich von den Kreistagen erbeten hatte. Die habsburgischen Länder trugen 20 Millionen Gulden bei, der Heilige Stuhl, Spanien und Italien noch einmal 7,1 Millionen. Selbst der eigensinnige König Heinrich IV. von Frankreich versprach seine Unterstützung, und die französischen Katholiken, die in den Hugenottenkriegen zuletzt noch auf der Verliererseite gestanden hatten, strömten in Scharen dem kaiserlichen Lager zu. Andere kamen sogar von noch weiter her, wie etwa der Engländer John Smith, der spätere Mitbegründer der Kolonie Virginia und angebliche Geliebte der Häuptlingstochter Pocahontas. Auch die eigentlich den Osmanen unterstellten Fürsten von Siebenbürgen, der Walachei und Moldau schlossen sich dem kaiserlichhabsburgischen Lager an. Die Polen lehnten eine unmittelbare Beteiligung zwar ab, hießen jedoch ihre ukrainischen Kosaken die Krimtataren angreifen, wodurch diese von der Unterstützung des Sultans abgehalten wurden. Die Stärke der kaiserlichen Feldarmee verdoppelte sich auf rund 20 000 Mann, zu denen noch 10 000 ungarische und etwa 20 000 weitere Soldaten aus Siebenbürgen und anderen Gebieten kamen.66

      Nach all dem Aufwand war das Ergebnis eine tiefe Enttäuschung. Manche versprochene Hilfe erwies sich in der Praxis als wenig förderlich, so im Fall des russischen Zaren, der eine riesige Ladung von Pelzen schickte, die den Markt überschwemmten und letztlich kaum Gewinn einbrachten. Schlimmer noch: Die kaiserliche Planung war unrealistisch. Gespräche mit dem Sultan von Marokko und dem Schah von Persien sollten die Eröffnung weiterer Fronten gegen das Osmanische Reich bewirken, aber eine Gesandtschaft von Schah Abbas I. traf erst 1600 ein, als ein Sieg des Kaisers über die Türken schon unwahrscheinlich geworden war. Der osmanische Sultan hielt stets 60 000 bis 100 000 Mann im Feld und sicherte sich so meist die Initiative.

      Der Krieg wurde auf dem südlichen Schauplatz eröffnet, wo der osmanischen Hauptoffensive 1593 einige Erfolge auf Kosten der Kroaten gelangen, bevor der Wintereinbruch Sinan Pascha zum Einhalten zwang. Danach hielten die kroatischen, slowenischen und uskokischen Grenztruppen in ihren jeweiligen Abschnitten wacker stand. Osmanische Vorstöße gegen beide Enden des Plattensees konnten abgewehrt werden, und ab November 1593 unternahmen die Habsburger in diesem Bereich sogar hin und wieder Gegenangriffe, wobei sie die türkische Festung Stuhlweißenburg einzunehmen suchten, die den südwestlichen Zugang nach Buda bewachte. Die nächste osmanische Offensive traf das strategisch so überaus wichtige Mittelungarn, wo ihnen mit der Einnahme