Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

Читать онлайн.
Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



Скачать книгу

Meter auseinanderstanden. Wenn einer von ihnen abgeschnitten wurde, war er immerhin groß genug, um allein weiterkämpfen zu können, bis Verstärkung eintraf.

      Die Tendenz, das Verhältnis von Musketieren zu Pikenieren zugunsten der Ersteren zu verschieben und überdies lang gezogenen, dünneren Gefechtsordnungen den Vorzug zu geben, trat spätestens in den 1630er-Jahren deutlich hervor, wie wir später noch sehen werden. Diese Entwicklung hing zumindest teilweise mit kleinen technischen Verbesserungen zusammen, die leichtere Musketen hervorbrachten, und womöglich auch mit einem gewissen Druck vonseiten der Soldaten selbst: Neue Rekruten wollten in der Regel lieber Musketiere als Pikeniere werden, denn Letztere standen nicht selten im Kugelhagel, ohne sich selbst wehren zu können. Dabei hatten die Pikeniere ursprünglich einen höheren Sold erhalten und galten auch den Offizieren als „ehrbarer“ als die Musketiere. Wer eine ordentliche Militärkarriere machte, der tat dies „von der Pike auf“ – und nicht von der Muskete. Pikeniere kämpften und töteten mit dem blanken Stahl, ganz wie die Ritter früherer Zeiten, während die Musketiere vom Schießpulver abhängig waren, einer geradezu teuflischen Erfindung, die dichte Schwaden beißenden Pulverdampfs hervorrief. Sie blickten ihren Feinden noch nicht einmal in die Augen, sondern töteten von fern. Die Pikeniere warfen ihren leichter gerüsteten Kameraden außerdem vor, diese seien die ärgeren Plünderer – schließlich könnten sie selbst mit ihren langen Spießen nicht einfach in ein fremdes Haus hineinmarschieren. (Bei diesem letzten Punkt scheint eine gewisse Portion Neid im Spiel gewesen zu sein.) Ganz gewiss jedoch waren es die Pikeniere, die bei einem feindlichen Durchbruch ihre Spieße von sich warfen und davonrannten, sich also auf dem Rückzug noch nicht einmal verteidigen konnten, während die Musketiere stets in voller Bewaffnung flohen.

      Die um 1590 einsetzende Tendenz zu einem immer höheren Anteil von Musketieren hing auch damit zusammen, dass man diese in kleineren, flexibleren Formationen einsetzen konnte, entweder als Manöver zur Eröffnung der Schlacht oder zur Verlangsamung des feindlichen Vormarsches, bis die eigenen Truppen ihre Positionen eingenommen hatten. Man platzierte noch vor der eigenen Hauptlinie Abteilungen aus 50 oder mehr Musketieren, die von kleineren Pikenierhaufen von je 250 Soldaten gedeckt wurden, bei denen die Schützen im Bedarfsfall auch Zuflucht suchen konnten. Solche Methoden scheinen ihrer Zeit 200 Jahre voraus, verschwanden aber im Allgemeinen um 1630 wieder, als zuerst die Niederländer eine neue, diszipliniertere Schusswaffentaktik entwickelten, deren massiertes Feuer dann von den Schweden nachgeahmt wurde. Angesichts der mangelnden Treffsicherzeit einzelner Schüsse setzten die Kommandeure auf eine Maximierung der Gesamtfeuerkraft (und später auch der Schussfrequenz), was um 1700 in der routinierten Abgabe von Salven durch ganze Schützenzüge gipfelte.

      Die Kavallerie Die Kavallerie hatte sich um 1590 in fünf Typen aufgespalten, die bestimmte taktische Aufgaben zu erfüllen hatten wie Überraschungs- beziehungsweise Schockangriffe, zusätzliche Feuerkraft oder Erkundung. Die Schocktaktik der Reiterei setzte auf die physische und psychologische Schlagkraft, die von einem Ansturm schwer bewaffneter und gepanzerter Reiter, ja allein von deren Pferden ausging. Ein solches Schlachtross war gut zwei Meter groß, wog 500 Kilogramm und konnte im Galopp auf über 40 Kilometer pro Stunde beschleunigen (wenngleich das Gewicht des Reiters diesen Wert in der Praxis meist erheblich reduzierte). Die Pferde wurden auf Feldern voller lodernder Strohfeuer und Haufen von Tierkadavern ausgebildet, um sie an den Anblick und die Gerüche eines Schlachtfelds zu gewöhnen. Außerdem trainierte man ihnen an, nach dem Feind zu treten und sich – in verschiedenen Gangarten – in der Formation zu bewegen.

      Zur Umsetzung solcher Taktiken bildeten sich mit der Zeit zwei Arten von schwerer Kavallerie heraus. Die eine, „Lanzierer“ oder „Gens d’armes“ genannt, wurde von Spaniern und Franzosen bevorzugt. Die Reiter trugen einen geschlossenen Helm mit Visier sowie einen vollständigen Reiterharnisch aus Metall an Oberkörper, -armen und -schenkeln. Die Füße und die Unterschenkel schützten hohe, feste Lederstiefel, während Hände und Unterarme von Leder- oder Stahlpanzerhandschuhen geschirmt waren. Als Waffe diente ihnen eine etwa drei Meter lange, mit einer Stahlspitze versehene Holzlanze, mit der sie selbst kauernde feindliche Fußsoldaten aufspießen oder gegnerische Reiter aus dem Sattel heben konnten. Die rasante Ausbreitung von Feuerwaffen führte dazu, dass der Anteil schwerer Lanzenreiter in den Heeren West- und Mitteleuropas bis 1610 stark zurückging, aber in Ungarn und Polen kämpften die Adligen als Husaren noch immer in vergleichbaren Ketten- oder Plattenpanzern. Diese Panzerreiter aus dem Osten befestigten bunte Fähnchen an ihren Lanzen und trugen oft „Flügel“ aus Vogelfedern, die auf einem hölzernen Rahmen an ihrem Rücken befestigt waren und bei ihrem Sturmritt ein brausendes Geräusch verursachten, das zu ihrem ohnehin Furcht einflößenden Erscheinungsbild noch einiges beitrug.64 Anderswo schlossen sich die vormaligen Lanzierer der zweiten Abteilung der schweren Reiterei an, den Kürassieren nämlich, die einen ähnlichen Harnisch trugen, aber mit langen, zum Zustechen gedachten Schwertern ausgerüstet waren. Ein Schwert ließ sich im Nahkampf wesentlich besser einsetzen als eine Lanze, die nutzlos wurde, sobald der erste Ansturm nicht „gesessen“ hatte.

      Beide Arten von schwer Berittenen trugen außerdem ein Paar Pistolen bei sich, die sowohl zum Beschuss stehender Ziele als auch im Nahkampf eingesetzt wurden. Diese steckten in Holstern beiderseits des Sattels, und zwar so, dass der Abzug nach außen zeigte (das lag daran, dass sie wegen ihrer langen Läufe gleichsam aus der Rückhand gezogen werden mussten). Es konnte immer nur eine Pistole auf einmal abgefeuert werden, da der Reiter mit der anderen Hand die Zügel festhalten musste. Idealerweise schoss man, indem man sein Pferd „linksum“ kehren ließ und dann mit ausgestrecktem Arm im rechten Winkel zum Pferdekörper zielte. Auf diese Weise verhinderte man, dass das Tier scheute oder man ihm die Ohren verbrannte (was passieren konnte, wenn man eine Pistole direkt über seinem Kopf abfeuerte). Da die meisten Reiter Rechtshänder waren, mussten sie mit ihrer Linken die Zügel festhalten, um mit der rechten Hand ihre (linke) Pistole oder ihr Schwert zu ziehen. Letzteres war gar nicht so einfach, wenn man im Sattel saß, weil man ja keine Hand frei hatte, um die Scheide festzuhalten. Einen Karabiner – ein kurzes Reitergewehr – abzufeuern, war noch schwieriger, denn dazu brauchte man beide Hände. All diese Schwierigkeiten blieben bis zum Verschwinden der Kavallerie zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Grunde stets die gleichen, denn wenngleich Fortschritte in der Technik die Handhabung von Schusswaffen im Sattel erleichterten, trugen sie doch wenig dazu bei, grundsätzliche Probleme des Kampfes zu Pferde zu lösen.

      Auf gut ausgebildete, disziplinierte Fußtruppen konnte die Schocktaktik der schweren Reiterei freilich nur wenig Eindruck machen. Erfahrene Kavallerieoffiziere erkannten schon an der Art, wie die feindlichen Pikeniere ihre Spieße hielten – schwankten sie? zitterten sie? –, ob diese vor dem Ansturm der Berittenen davonlaufen würden. Blieb das Fußvolk standhaft, dann konnte durchaus auch die Reiterattacke in sich zusammenbrechen, denn auf die Spieße stürzen mochten die Pferde sich nicht. Und wenn es einem Reiter doch gelang, die feindlichen Linien zu durchbrechen, dann ging sein Pferd nicht selten mit ihm durch und brach ohne Besinnung durch jede Lücke, die sich auftat, ohne anzuhalten und geradewegs durch die feindliche Schlachtordnung hindurch. Außerdem waren die Schwerter der Kavalleristen oft stumpf und vermochten nicht viel – nicht einmal gegen die wollenen Umhänge der Musketiere.

      Die genannten Probleme trieben die Verbreitung von Feuerwaffen auch bei der Kavallerie voran. Dabei kam die Caracolla zum Einsatz, ein taktisches Manöver, das dem Contremarsch ähnelte und in den 1530er-Jahren von deutschen Pistolenreitern erfunden worden war. Die Reiterei trabte in mehreren Linien hintereinander bis in Schussweite, feuerte – nach der beschriebenen Halbdrehung des Pferdes – ihre Pistolen auf den Feind ab und zog sich dann zum Nachladen wieder zurück. Es wurde also die psychologische Wirkung der alten Schocktaktik dem kumulativen Effekt erhöhter Feuerkraft geopfert. Die Caracolla bedeutete weniger Stress für die Pferde als ein Sturmangrifff und erforderte auch weniger Mut seitens ihrer Reiter, denn diese mussten sich nicht mehr in den gefährlichen Nahkampf begeben. Selbst erfahrene Kavalleristen, die es gewohnt waren, mit gezogenem Schwert auf den Feind loszureiten, drehten nicht selten etwa zehn Meter vor dem Ziel ab und prallten gleichsam zurück auf ihre Startpositionen. Das erklärt auch, warum zeitgenössische Quellen von mehreren Angriffen ein und derselben Einheit während einer einzigen Schlacht berichten.

      Der Wunsch, die Feuerkraft berittener Truppen weiter zu verbessern, führte zur Entwicklung einer dritten, „mittelschweren“ Reiterei,