Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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waren als die Kartaunen – bei zugleich höherer Reichweite und Treffsicherheit. Jedoch bedeuteten ihre dickeren Rohre natürlich entsprechend mehr Metall, weshalb sie in der Regel doppelt so schwer waren wie Kartaunen von vergleichbarem Kaliber. In der Regel verschossen sie Kugeln von 6 oder 12 Pfund Gewicht (das entspricht 3,5 oder 7 Kilogramm). Es gab aber auch Zwei- und Vierpfünderversionen, die sogenannten Falkonetts, die im Feld von zwei bis acht Pferden gezogen werden konnten. Bei einer Belagerung kamen außerdem Mörser zum Einsatz, kurze, gedrungene Geschütze, die Rundkugeln oder primitive Granaten im hohen Bogen über Mauern und andere Hindernisse schossen. Bis zu den 1590er-Jahren war die ganze Bandbreite an Geschützen und Geschossen im Wesentlichen entfaltet, einschließlich Giftgasgranaten, die in den Niederlanden zum Einsatz kamen und diverse schädliche Substanzen enthielten, die ihre Opfer ersticken oder erblinden lassen sollten. Auch Brandbomben in Form von bis zum Glühen erhitzter Rundkugeln waren bekannt. Mit ihnen konnte man ganze Städte in ein flammendes Inferno verwandeln, indem man die dicht an dicht stehenden, hochentzündlichen Fachwerkbauten in Brand schoss. Es gab als „Bomben“ bezeichnete Sprenggranaten mit Zündern aus Stahl und Feuerstein, aber auch solche, die mit einer Zündschnur versehen waren, welche beim Abschuss von der explodierenden Treibladung gezündet wurde. Anstürmendes Fußvolk konnte mit Kartätschen und anderer Anti-Personen-Munition niedergemäht werden; wo loser Hagel aus einzelnen Stein- oder Metallkugeln zum Einsatz kam, wurden die Artilleriegeschütze gewissermaßen zu riesigen Schrotflinten. Schon im späten 16. Jahrhundert gab es also auf dem Gebiet der Artillerie, lapidar gesagt, wenig, was es (noch) nicht gab. Bei späteren Erfindungen handelte es sich meist um Weiterentwicklungen des bereits Bestehenden. So wurde etwa die Herstellung der Geschütze verbessert, um sie zuverlässiger und in der Handhabung sicherer zu machen.

      Ein ähnlicher Standardisierungsprozess lässt sich mit Blick auf die Handfeuerwaffen beobachten. Auch sie gab es in großer Vielfalt, doch bürgerten sich allmählich die Bezeichnungen „Muskete“ (für Fußsoldaten) und „Pistole“ (für die Reiterei) ein. Erstere waren zwischen 125 und 144 Zentimeter lang, wogen vier bis zehn Kilogramm und schossen eine Bleikugel von 40 Gramm Gewicht über eine Distanz von 300 Metern – gerade noch effektiv zielen ließ sich jedoch eher auf die Hälfte dieser Entfernung. Die schwereren Ausführungen mussten zum Abschießen in eine Stütze eingelegt werden, um den Lauf ruhig zu halten (Gabelmuskete). Bei leichteren Varianten sprach man weiterhin von „Arkebusen“ oder „Hakenbüchsen“; diese waren hauptsächlich bei Infanterie in Gebrauch, die in freier Formation kämpfte, oder bei Kavallerieeinheiten, denen Feuerkraft solider schien als blanker Stahl. Verbesserte Produktionsmethoden ermöglichten es bald, auch aus leichteren Musketen eine größere Ladung abzufeuern, und von etwa 1630 an verschwanden sowohl die Hakenbüchse als auch die Gabelmuskete von den Schlachtfeldern Europas. Die meisten Kavalleristen (auch solche, die für den Kampf mit Lanze und Schwert ausgebildet und gerüstet waren), führten ein Paar langläufige Pistolen mit sich, die in Holstern an den Seiten ihrer Sättel steckten. Als Schusswaffen waren Pistolen zumeist nur auf Entfernungen bis etwa 25 Meter wirklich effektiv, aber im Nahkampf gaben ihre langen, mit Metall beschlagenen und im Inneren beschwerten Kolben hervorragende Schlagwaffen ab. Viele technische Neuerungen im Schusswaffenbereich, die man gemeinhin erst mit späteren Jahrhunderten in Verbindung bringt, gab es tatsächlich schon früher: so etwa den gezogenen Lauf, Hinterladergewehre und diverse Methoden, die Treibladung des Projektils zu zünden. Auch die Radschlossmechanik für Pistolen sowie die Schnappschloss- oder Steinschlossmechanik für Musketen waren schon bekannt; bei Letzterer diente ein Stück Flint (Feuerstein) dazu, die Treibladung des Geschosses zu zünden. Steinschlossgewehre und schließlich auch -pistolen wurden zwischen 1680 und 1840 zu den Hauptwaffen der Infanterie, denn sie waren bei feuchter Witterung zuverlässiger als Waffen mit Rad- oder gar Luntenschlössern und gingen auch nicht so leicht aus Versehen los wie diese. Beim Luntenschloss hatte man einen Hebel betätigen müssen, um einen metallenen Bügel, in dem die langsam glimmende Lunte eingeklemmt war, nach unten auf das lose in die Zündpfanne geschüttete Schießpulver zu drücken. Durch das Zündloch schlug die entstehende Flamme ins Innere des Laufs und löste dort die Hauptladung aus. Bei etwa einem von fünf Schussversuchen geschah es, dass die Flamme nicht durch das Zündloch sprang und es beim bloßen „Pfannenblitz“ blieb – daher noch heute die englische Wendung a flash in the pan für ein sprichwörtliches „Strohfeuer“. Im deutschen Sprachraum bezeichnete man ein solches Missgeschick auch als „Abblitzen“ – daher die Wendung „jemanden abblitzen lassen“, zu der noch das Wörterbuch der Brüder Grimm den Beispielsatz „Das Gewehr blitzte ab“ verzeichnet. Bei einer Steinschlosswaffe war das Risiko der Fehlzündung zwar nur noch halb so hoch, aber ebenso wie bei den Waffen mit Radschlossmechanik handelte es sich um teure, empfindliche Instrumente, die oft ausfielen. Auch wegen ihrer schwierigen und deshalb teuren Herstellung dienten die ersten Steinschlossmusketen vorwiegend als Jagdwaffen, während Musketen mit Luntenschloss wohlfeil, schlicht und unverwüstlich blieben.

      Die Infanterie Aus zeitgenössischen Exerzierbüchern gewinnt man leicht den (falschen) Eindruck, dass zum Laden und Abfeuern frühneuzeitlicher Schusswaffen ein kompliziertes Ballett verschiedener Handgriffe, Armbewegungen und Körperhaltungen ausgeführt werden musste. In Wahrheit spiegelt die penible Auflistung von motorischen Elementen wohl eher das Interesse der damaligen Wissenschaft am genauen Erfassen und Verstehen menschlicher Bewegungsabläufe wider als praktische Notwendigkeiten. Das komplizierteste Manöver war der sogenannte Contremarsch, der ein ununterbrochenes Feuer auch im Vorrücken oder auf dem Rückzug gewährleisten sollte. Dabei schossen jeweils die Soldaten im ersten Glied; dann blieben die, die ihre Waffen gerade abgefeuert hatten, stehen und luden nach, während das nächste, schon bereite Glied zwischen den Nachladenden hindurch nach vorn trat und, nun seinerseits „in erster Linie“ stehend, feuerte. Bis auch das letzte Glied geschossen hatte, waren die Ersten wieder feuerbereit und marschierten nach vorn durch – und so weiter. Um 1595 modifizierte man diese Taktik dahingehend, dass die Soldaten nun in Gruppen von je fünf Mann zusammenstanden und nach ihrem Schuss gemeinsam nach rechts oder links ausscherten, um nachzuladen; auf diese Weise reduzierte man die Anzahl der Lücken, die in der Reihe gelassen werden mussten. Zudem dauerte das Nachladen etwa der Arkebusen und leichten Musketen nur rund eine Minute, gegenüber etwa drei Minuten bei den unhandlicheren Modellen, wodurch man auch mit weniger Reihen von Männern ein Dauerfeuer unterhalten konnte. Die Niederländer praktizierten den Contremarsch auch auf dem Rückzug; so konnten sie das Feuer erwidern, ohne den direkten Kontakt mit dem heranrückenden Feind zu riskieren. Gut ausgebildete, motivierte Truppen konnten mit dieser Taktik bis zu 40 Meter in der Minute vorrücken, ohne ihr Feuer zu unterbrechen (beim Rückzug verlangsamte sich das Tempo etwa auf die Hälfte). Dasselbe System konnte auch auf der Stelle stehend zur Anwendung kommen; dann traten die Soldaten, nachdem sie gefeuert hatten, ins letzte Glied, und die jeweils nächsten rückten nach, ohne dass sich die Formation als ganze nach vorn bewegt hätte. Die Niederländer operierten gewöhnlich mit nur zehn Reihen und nahmen dafür die Beschränkung auf leichtere Schusswaffen in Kauf; entsprechend einfach waren ihre Bewegungsabläufe in der Formation. Die Spanier hingegen bevorzugten tiefer gestaffelte Verbände von 15 bis 25 Reihen; es scheint zudem, dass sie nicht alle gemeinsam feuern ließen, sondern die Soldaten im ersten Glied einfach dann schossen, wenn sie so weit waren. Man stellte lediglich die Männer mit den leichteren, schneller nachzuladenden Musketen zusammen weiter vorn auf.

      Zu ihrer Verteidigung im Nahkampf trugen die Musketiere auch eine Griffwaffe zum Hauen oder Stechen, etwa ein kurzes Schwert oder einen etwas schwereren Säbel. Diese Blankwaffen waren jedoch meist von so minderwertiger Qualität, dass sie sich schnell verbogen oder stumpf wurden. Im Handgemenge griff man deshalb eher doch zur Muskete, die man ganz einfach umdrehte, um den schweren, abgewinkelten Kolben als Knüppel einzusetzen. Gegen feindliche Kavallerie, die rasch heransprengen konnte, bevor die Musketiere Zeit hatten, nachzuladen, vermochten diese Waffen jedoch nur wenig auszurichten.

      Schon im späten 15. Jahrhundert war es üblich geworden, Schützen und Pikeniere in gemischter Formation aufzustellen. Die Pikeniere waren mit einem Spieß bewaffnet, einer etwa fünf Meter langen Stange, deren eines Ende mit einer stählernen Spitze versehen war. Im offensiven Gebrauch konnten die dicht gedrängten Pikeniere mit waagrecht vorgestreckten Spießen vorrücken wie eine Phalanx im antiken Griechenland. Wenn sie sich in der Defensive sahen, stemmten die Männer im ersten Glied das rechte Bein nach hinten, um festen Halt zu gewinnen, stellten das stumpfe Ende ihres