Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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sodass dem Feind ein wahrer Wald von Spießen entgegenstarrte.

      Aufgrund ihrer eher defensiven Rolle trugen die Pikeniere anfangs zumindest einen nach vorn offenen, stählernen Helm, die „Sturmhaube“, deren Form ein wenig an die Helme heutiger Feuerwehrleute erinnert, sowie einen Brustpanzer. Manche trugen auch einen vollen Körperpanzer, zu dem dann noch ein Rückenschutz und Beinschienen gehörten. Derartige Rüstungen blieben in Gebrauch, weil die Entwicklung hin zu leichteren, besser handhabbaren Musketen zugleich eine Reduzierung von deren Durchschlagskraft bedeutete. Gegen Musketenkugeln bot ein solcher Harnisch also noch immer einen adäquaten Schutz. Dicker, als sie waren, hätte man die Rüstungen auch schwerlich machen können, denn ein Fußknecht konnte insgesamt nicht mehr als 18 Kilogramm an Ausrüstung mit sich herumtragen, sollte er noch einigermaßen leistungsfähig bleiben. Aus diesem Grund wie auch aus Kostengründen trug um 1600 höchstens die Hälfte der Pikeniere einen vollständigen Harnisch mit Rückenplatte und Beinzeug; die Mehrzahl beließ es bei einem ledernen Koller, und immer mehr Fußsoldaten trugen noch nicht einmal einen Helm. Musketiere trugen höchstens einen Helm und ansonsten keinerlei Rüstung, weil sie, um ihre Waffen zu gebrauchen und um in freierer Formation vorzugehen, auf eine größere Bewegungsfreiheit angewiesen waren als die Pikeniere. Sie trugen oft einen Umhang, unter dem sie ihr Pulverhorn trocken halten konnten. Tatsächlich brauchten sie zwei Pulverhörner: eines für das gröbere Laufpulver der Hauptladung, eines für das feinere Zündpulver, das in die Zündpfanne gegeben wurde. Beide hingen an Schnüren, die über die rechte Schulter geworfen wurden, und wurden an der linken Hüfte des Schützen mit Eisenhaken am Gürtel befestigt, damit sie nicht umherschlenkerten. In meist zwölf kleinen Holzbüchsen (wegen der Anzahl „Apostel“ genannt) trugen die Musketiere bereits abgemessene Pulverladungen für jeweils einen Schuss mit sich; diese waren an einem ledernen Gurt, dem Bandelier, befestigt, der meist nach Art einer Schärpe schräg um den Oberkörper geschlungen wurde. Wo dieser Gurt auf ihrer Hüfte auflag, trugen sie auch einen Lederbeutel mit Kugeln sowie weiteres Zubehör für die Pflege, Verwendung und Reparatur ihrer Muskete. Die „zwölf Apostel“ wurden um 1630 von vorgefertigten Papierpatronen abgelöst, die Kugel und Pulver jeweils schon enthielten und in einer eigenen Gürteltasche, der Kartusche, aufbewahrt wurden. Schließlich musste jeder Musketier noch einen Vorrat von vier bis sechs Metern Luntenstrick mit sich herumtragen, der entweder in großen Schlingen um Schultern und Nacken gelegt oder – auf dem Marsch – am Bandelier festgemacht wurde. Da die Lunte relativ schnell abbrannte (mit etwa 10 bis 15 Zentimetern pro Stunde), ließ unterwegs nur einer von zehn Soldaten seine Lunte weiterschwelen; kündigte sich ein Gefecht an, gab er auch den nächsten Kameraden Feuer. Als Musketier lebte es sich gefährlich, denn die glimmende Lunte konnte, passte man nicht auf, die Apostel zur Explosion bringen oder verschüttetes Schießpulver in Brand setzen, das sich in den Kleidern verfangen hatte. Auch aus diesem Grund marschierten Musketiere stets mit zwei bis vier großen Schritten Abstand zueinander auf; erst unmittelbar vor dem Kampf schlossen sie die Reihen.

      Für die ersten Uniformen haben sich die Militärhistoriker schon lange interessiert. Oft heißt es, die Schweden hätten sie zuerst eingeführt, aber es steht außer Frage, dass bereits vor 1618 viele deutsche Militäreinheiten farblich einheitlich gehaltene Waffenröcke trugen: Wurden Heere innerhalb einzelner Territorien ausgehoben, war es für den jeweiligen Landesherren oft ratsam, die Bekleidung seiner Mannschaften en gros anfertigen und ausgeben zu lassen. Rot und Blau scheinen hierbei die eigentlich bevorzugten Tuchfarben gewesen zu sein, erforderten zu ihrer Herstellung aber teure Färbemittel, weshalb weiße (beziehungsweise ungefärbte) Stoffe in der Praxis häufiger vorkamen. Leibwachen trugen oft aufwendiger gearbeitete Kleidung, manchmal auch fein geschmückte Zierpanzer. Auch die unter Bauern und Handwerkern ohnehin weite Verbreitung lederner Kniebundhosen dürfte ihren Teil zur Uniformisierung der Militärkleidung beigetragen haben. Das Ausmaß und die Dauer des Krieges nach 1618 sowie die damit verbundene Kostenexplosion unterbrachen diese frühen Tendenzen in Richtung „echter“ und zweckmäßiger Uniformen und führten stattdessen zu einem improvisierteren (bisweilen auch zerlumpteren), jedenfalls aber tristeren Erscheinungsbild der Kombattanten: Grau- und Brauntöne mischten sich auf allen Seiten mit dunklem Grün und anderen eher düsteren Farben. Allerdings sorgte die verbreitete Praxis, die Truppen zumindest teilweise in Tuch zu entlohnen, noch immer für ein gewisses Maß an Einheitlichkeit, zumindest im kaiserlichen Heer, dessen Fußvolk ab den 1640er-Jahren überwiegend in perlgraue Röcke gekleidet war.

      Die optimale Kombination von Pikenieren und Musketieren blieb in den militärtheoretischen Abhandlungen der Zeit Gegenstand heftiger Debatten – sowohl, was das „Mischungsverhältnis“ der beiden Waffengattungen, als auch, was deren Aufstellung im Feld betraf. Wenn man die zahlreichen rein theoretischen Modelle einmal außer Acht lässt, gab es eigentlich nur zwei Formationen, die auch tatsächlich zur Anwendung kamen. Wer den Contremarsch nach niederländischem Vorbild praktizierte, brauchte nur dünne Linien, dafür aber mehr Musketiere als Pikeniere. Ab den 1590er-Jahren kamen zwei Musketiere auf einen Pikenier, insgesamt zehn Mann tief aufgestellt, wobei die Pikeniere im Zentrum platziert waren und links und rechts von Musketieren flankiert wurden. Die Spanier und die Kaiserlichen hingegen bevorzugten größere, tiefere Truppenformationen, wie sie in den früheren Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts die Norm gewesen waren. Ihre Pikeniere standen als ein massiver Block in der Mitte, der immer doppelt so tief wie breit war, weil jeder Kämpfer zum Gebrauch seiner Waffe doppelt so viel Platz nach hinten als zur Seite hin benötigte. Im Ergebnis bildete sich eine rechteckige Formation („Gevierthaufen“), der an den Seiten durch „Schützenflügel“ oder „Ärmel“ von Musketieren ergänzt wurde. Für gewöhnlich zog sich entlang der gesamten Vorderseite des Haufens – um die Feuerkraft der Gesamtformation zu maximieren – eine Reihe von Schützen mit leichteren Arkebusen. Wenn sie von einer Kavallerieattacke überrascht wurden, konnten die Schützen unter den weit vorgestreckten Spießen der hinter ihnen postierten Pikeniere Zuflucht suchen. Beim Angriff auf feindliches Fußvolk zogen sich die Arkebusenschützen, nachdem sie gefeuert hatten, um die Flanke des Haufens herum zurück, um den Pikenieren den Weg zum Angriff freizugeben. Die Kommandeure der spanischen und kaiserlichen Heere platzierten an den vier Ecken ihrer Haufen bisweilen noch zusätzliche Vierecksformationen von Musketieren, die auf zahlreichen Schlachten-Kupferstichen des frühen 17. Jahrhunderts zu sehen sind. Das war jedoch nur die Gefechtsordnung für Auf- und Vormarsch; im Kampf schwärmten die zusätzlichen Schützen in Richtung des Feindes aus und zogen sich an eine weniger exponierte Flanke des eigenen Haufens zurück, wenn die Situation für sie zu gefährlich wurde.

      Die großen Gevierte aus Pikenieren und Musketieren, wie sie von den Spaniern bevorzugt wurden, sind unter der Bezeichnung „Terzio“ bekannt geworden (nach dem spanischen tercio für eine Infanterieeinheit von bis zu 3000 Mann). Die schmale, längliche Gefechtsordnung, bei der die Musketiere die Pikeniere flankierten, bezeichnete man als „niederländische Ordonnanz“. Es ist zu einem geschichtswissenschaftlichen Gemeinplatz geworden, dass die letztere der ersteren Taktik himmelhoch überlegen gewesen sei – wohl nicht zuletzt, weil nachfolgenden Generationen ihr Fokus auf Schusswaffen schon von vornherein „moderner“ erschien als die Verwendung von Spießen, wie sie im Grunde bereits die alten Griechen gekannt hatten. Diese Bewertung ist jedoch nicht nur ungenau, sie verfehlt auch die militärisch-taktische Vorstellungswelt des 16. Jahrhunderts, die zutiefst von antiken Vorbildern geprägt war. Die tiefer gestaffelten Gevierthaufen boten eine größere Schlagkraft nach allen Seiten als die dünnen „niederländischen“ Linien, bei denen man immer hoffen musste, dass die angrenzenden Truppenteile die Stellung hielten, weil bei einem feindlichen Durchbruch die eigene Flanke schutzlos daliegen würde. Obwohl nur die vordersten fünf Glieder eines Terzios zugleich feuern konnten, wirkte sich die Anwesenheit von zehn oder mehr weiteren Gliedern in ihrem Rücken positiv auf die Kampfmoral aus – oder erschwerte doch zumindest den vorn Stehenden die Flucht. Ein solcher Terzio wirkte auf dem Schlachtfeld auch ganz anders – nämlich wesentlich imposanter – als dünner gestaffelte Formationen; das konnte gleichfalls von großem Vorteil sein, wenn man auf einen bereits schwankenden Feind vorrückte.

      Im Zeitalter der Musketen und Kartaunen füllte sich das Schlachtfeld zudem bald mit Pulverdampf, der es den Kommandeuren beinah unmöglich machte, die Situation zu überblicken. Eine lange, dünne Reihe aus zahlreichen kleinen Abteilungen geriet leichter aus dem Blick (und damit außer Kontrolle) als eine kleinere Anzahl mächtiger Terzios. Diese