Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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abriegelte sowie die Kommunikation zwischen Österreich und Siebenbürgen sicherte. Auch hier deckten die zentral bewilligten Mittel gerade einmal die Kosten der wichtigsten Garnisonen; die Grenzabschnitte dazwischen wurden von ungarischen Magnaten verteidigt, die auf eigene Kosten große Kontingente irregulärer Fußsoldaten unterhielten, die „Heiducken“ genannt wurden. Die Heiducken waren ursprünglich nomadische Viehhirten in den weiten Räumen der ungarischen Tiefebene gewesen, hatten sich nach der Teilung Ungarns indes gezwungen gesehen, wenigstens halbsesshaft zu werden: als Grenzwächter, die in eigenen Dörfern unter dem Kommando gewählter Anführer lebten und ihren unregelmäßigen Sold zwischen zwei Kriegszügen mit Räuberei und Viehdiebstahl aufstockten.

      Kriegsgebräuche

      Der Lange Türkenkrieg brachte nicht nur die größte Truppenmobilisierung, die das Heilige Römische Reich oder die Länder der Habsburger seit 1568 gesehen hatten, sondern für viele spätere Söldner des Dreißigjährigen Krieges auch die erste Kampferfahrung in groß angelegten Kampagnen. Die Liste der Offiziere im Heer Rudolfs II. liest sich, als wären die führenden Generäle aus den ersten Jahren nach 1618 zum Appell angetreten. Wallenstein zum Beispiel begann seine Karriere 1604 als Fähnrich in einem Regiment der böhmischen Infanterie und wurde gegen Ende des Türkenkrieges an der linken Hand verwundet. Sowohl Heinrich von Schlick als auch Rudolf von Tiefenbach machten sich im Kampf gegen die Türken früh einen Namen, während Maximilian von Trauttmansdorff, später der bedeutendste Diplomat in habsburgischen Diensten, in diesem Krieg seinen einzigen Kampfeinsatz überhaupt erlebte. Karl (Carlo) Gonzaga, der Herzog von Nevers und spätere Protagonist des Mantuanischen Erbfolgekrieges der Jahre 1628–31, rettete Wallenstein angeblich bei der Belagerung von Kaschau (Košice) das Leben, wo er selbst als einer von zahlreichen katholischen Freiwilligen aus Frankreich Dienst tat.

      Eine beträchtliche Anzahl jener Italiener, die noch zu allgemeiner Bekanntheit gelangen sollten, war ebenfalls schon im Türkenkrieg mit von der Partie, darunter Graf Collalto, der spätere Präsident des Hofkriegsrates, Rudolf von Colloredo, der zum Feldmarschall aufstieg, sowie Graf Ernesto Montecuccoli, später kaiserlicher Heerführer im Elsass. Manche Italiener traten in österreichische Dienste, weil dies unter den (Ober-)Italienern einer bestimmten Schicht eben Tradition war: Man diente dem Kaiser. Andere trafen mit den Truppen ein, die der Papst und die Spanier zur Unterstützung der kaiserlichen Seite entsandt hatten, darunter Balthasar de Marradas und Henri Duval, Graf von Dampierre, sowie aus den spanischen Niederlanden der Graf Johann t’Serclaes von Tilly.

      Auch Franz von Mercy, in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges Oberbefehlshaber der kaiserlich-bayerischen Armee, begann seine Militärkarriere im Krieg gegen das Osmanische Reich. Dasselbe gilt übrigens für viele derer, die sich später gegen den Kaiser auflehnen sollten, darunter die drei maßgeblichen Anführer des Böhmischen Aufstands: die Grafen Thurn, Hohenlohe und Mansfeld.61

      Die große Bedeutung dieser Veteranen des Langen Türkenkrieges ist in der Militärgeschichtsschreibung oft übersehen worden. Man konzentrierte sich lieber auf den Krieg in Westeuropa und unterschätzte deshalb, welch starken Einfluss die Türkenfeldzüge der Jahre vor 1618 auf die weitere Entwicklung hatten. Dieser Fokus auf den Westen hängt eng mit der Vorstellung einer „militärischen Revolution“ zusammen, die mittlerweile zu einer ganz bestimmten, vorherrschenden Sichtweise auf das Kriegswesen der Frühen Neuzeit geführt hat.62 Die Anhänger dieser Idee behaupten, es hätten wahlweise Spanien, die Niederlande oder Schweden eine Vorreiterrolle bei der Herausbildung neuer Kampfweisen im 16. Jahrhundert gespielt – Kampfweisen, die sich erstmals auf Pulverwaffen verließen und von großen, disziplinierten Truppenverbänden umgesetzt wurden. Auch hätten Innovationen im taktischen und strategischen Bereich die Kriegführung (angeblich) entscheidungsorientierter werden lassen; größer und von stärkerer Wirkung auf Staat und Gesellschaft seien die Feldzüge nun allemal gewesen. Wer so denkt, der ordnet die Geschehnisse vielleicht auch hübsch eines nach dem anderen, sodass im ständigen Wettstreit um die effizienteste Kriegführung stets eine Großmacht die andere ablöst. Die anfängliche spanische Überlegenheit, heißt es dann etwa, sei durch die Niederländer gehörig erschüttert worden, und zwar dank eines flexibleren Militärwesens, das zuerst die Schweden verbessert und die Franzosen schließlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts perfektioniert hätten. Weniger Aufmerksamkeit hat man dagegen dem kaiserlichen Heer im Dreißigjährigen Krieg geschenkt, gilt dieses doch weithin als Relikt eines immer deutlicher veralteten spanischen Systems, das mit dem kleinlich-pedantischen Stellungskrieg im Niederländischen Aufstand in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich ist es jedoch so, dass das Vorgehen der Spanier auf dem Schlachtfeld erstens oft erfolgreich war und zweitens ständigen Anpassungen und Verbesserungen unterworfen. Methoden, die ab den 1570er-Jahren zum Kampf gegen die aufständischen Niederländer entwickelt worden waren, erwiesen sich im Kampf gegen die Türken durchaus als wirksam, denn diese wie jene vermieden oftmals die direkte Konfrontation und zogen sich stattdessen hinter ihre Befestigungen zurück. Freilich brachte der ungarische Kriegsschauplatz auch seine eigenen Taktiken hervor, die später das Vorgehen der Söldnerheere in Deutschland ebenfalls beeinflussen sollten. Es wäre also insgesamt zutreffender, die kaiserliche Kriegführung als eine Art Amalgam der unterschiedlichsten Erfahrungen und Ideen zu betrachten.

      Militär und Kriegstechnik Das spanische System entwickelte sich im Gefolge einer wirklichen militärischen Revolution im Sinne jenes größtenteils durch technologische Innovationen vorangetriebenen Wandels in der Kriegführung, der zwischen 1470 und 1520 erfolgte und durch die flächendeckende Einführung von Handfeuerwaffen bei Fußtruppen wie Reiterei gekennzeichnet war. Dazu kamen verschiedene Spielarten einer neuen, ganz auf die psychische Überwältigung des Gegners ausgerichteten Schocktaktik, die von großen, diszipliniert agierenden Truppenkörpern ausgeführt wurde.63 Diese Entwicklungen gingen ihrerseits auf Fortschritte in der Metallverarbeitung und Schießpulverproduktion zurück, die zum ersten Mal in der europäischen Geschichte zuverlässige und effektive Feuerwaffen hervorgebracht hatten. In relativ schneller Folge kam es sowohl bei den Handfeuerwaffen als auch bei den Artilleriegeschützen zu technischen Neuerungen, was die Heerführer dazu zwang, sich über den Einsatz jener Waffen im Feld einige neue Gedanken zu machen. Beide Arten von Feuerwaffen wurden nun in wesentlich größerem Umfang eingesetzt, als dies zuvor der Fall gewesen war, nicht selten in Kombination mit etablierten Waffentypen und sowohl in offensiver wie auch in defensiver taktischer Absicht. Von der Mitte des 16. Jahrhunderts an nahm das Tempo des technologischen Wandels merklich ab: Alle grundlegend neuen Typen von Waffen waren bis dahin entwickelt worden, aber die Weiterentwicklung des Erreichten wurde durch Herstellungsprobleme behindert. So hinkte beispielsweise die Geschützproduktion der theoretischen Ballistik weit hinterher, weil es den Stückgießern in ihren Gießereien schlicht nicht gelingen wollte, Kanonen herzustellen, die dem vollen Potenzial dieser Waffen, wie es die Mathematiker kalkuliert hatten, auch nur annähernd nahekamen. Vor der Mitte des 17. Jahrhunderts war es kaum möglich, in ein massiv gegossenes Rohr einen geraden Lauf hineinzubohren (und wirklich brauchbar wurde dieses Verfahren sogar erst Anfang des 18. Jahrhunderts). Stattdessen goss man die Kanonen um einen in Lehm, Rosshaar und Dung eingepackten Eisenstab, den sogenannten Kern, herum, der nach dem Abkühlen entfernt wurde und damit die „Seele“ hinterließ: den langgezogenen Hohlraum im Inneren des Geschützrohres, durch den die Kugel abgeschossen werden sollte. Der Guss erfolgte in einer festen Form, die der späteren Kanone ihre Gestalt gab; als Gussmaterial kam eine Schmelze aus Kupfer, Zinn, Blei und Messing zum Einsatz – eine sogenannte Kanonenbronze, die auch als Rotguss bezeichnet wird. Nachdem der Kern entfernt worden war, setzte man ein Bohrgerät ein, um die noch recht grobe, unebene Seele auf das gewünschte Kaliber aufzubohren und zu glätten. Vor allem dieser letzte Arbeitsschritt war zeitaufwendig, führte aber beileibe nicht immer zum gewünschten Erfolg.

      Die geradezu schwindelerregende Vielfalt unterschiedlicher Kanonentypen lässt sich ganz grundsätzlich in zwei große Gruppen unterteilen. Auf der einen Seite standen die Kanonen im eigentlichen Sinn, zeitgenössisch „Kartaunen“ genannt. Sie hatten einen kurzen Lauf mit geringer Wandstärke und verschossen massive Rundkugeln mit einem Gewicht von 24 bis 75 Pfund (also etwa 13,5 bis 42 Kilogramm). Sie waren Belagerungsgeschütze, die hauptsächlich zum Bombardement von Befestigungsanlagen eingesetzt wurden, und sehr schwer: Man brauchte