Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

Читать онлайн.
Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



Скачать книгу

im Westen war bereits in eine habsburgische und eine osmanische Einflusssphäre aufgeteilt worden: Der römisch-deutsche Kaiser kontrollierte den Norden und den Südwesten des Landes sowie Kroatien, während der Sultan über Mittelungarn und den Südosten des Landes herrschte. In der Region weiter im Osten hatte keine der beiden Großmächte eine feste Machtbasis. Hier sind vier Herrschaftsbereiche zu nennen, die nominell alle der türkischen Oberherrschaft unterstanden, de facto jedoch, mit unterschiedlichen Graden von Autonomie, ihre eigenen Ziele verfolgten. Die Gegend entlang der Nordküste des Schwarzen Meeres besaßen die Krimtataren, jene Nachfahren Dschingis Khans, die dem Sultan seit dem späten 15. Jahrhundert Tribut gezahlt hatten. Sie lieferten der osmanischen Armee im Bedarfsfall wertvolle Hilfstruppen; ansonsten ließ man sie weitgehend unbehelligt, da sie in ihrem Heimatgebiet einen „Puffer“ zwischen dem Osmanenreich und jenem der russischen Zaren bildeten, das weiter im Nordosten gelegen war. Nördlich und westlich der Tatarengebiete lagen die drei christlichen Fürstentümer Moldau, Walachei und Siebenbürgen. Auch sie waren dem Sultan tributpflichtig, zeigten sich aber offener gegenüber polnischer und österreichischer Einflussnahme. Die Polen wiederum suchten Zugang zum Schwarzen Meer zu erlangen, indem sie durch das zwischen Moldau und Krim gelegene Podolien nach Süden vorstießen. Der polnische Einfluss im Fürstentum Moldau wurde während der 1590er-Jahre deutlich sichtbar, und auch in der Innenpolitik Siebenbürgens und der Walachei spielten polnische Intrigen eine gewisse Rolle.

      Siebenbürgen Von den drei genannten Fürstentümern ist Siebenbürgen das für unsere Geschichte wichtigste, und eine Betrachtung seiner innenpolitischen Verhältnisse lässt vieles erkennen, was auch für Moldau und Walachei typisch war. Das Fürstentum Siebenbürgen war in den 1540er-Jahren aus den Trümmern des alten Königreichs Ungarn hervorgegangen und stellte einen Flickenteppich aus vier größeren und mehreren kleineren Teilgebieten dar. Neben Bevölkerungsinseln von türkischen Bauern und Ostslawen gab es orthodoxe Rumänen, calvinistische Magyaren (ethnische Ungarn), lutherische deutsche Einwanderer (die Siebenbürger Sachsen) und schließlich noch die Bevölkerungsgruppe der Szekler, die im waldreichen Osten des Fürstentums siedelten, sich selbst regierten und auch nach der Reformation katholisch geblieben waren.56 Der Fürst hielt sich an der Macht, indem er Übereinkünfte zwischen diesen Gruppen aushandeln half, insbesondere zwischen den drei ständischen „Nationen“ Siebenbürgens, die auf den Landtagen des Fürstentums vertreten waren: dem magyarischen Adel, den siebenbürgisch-sächsischen Städten und den Szeklerdörfern. Das Gleichgewicht zwischen den dreien war 1568 im Toleranzedikt von Thorenburg (Torda) festgeschrieben worden, das neben Katholiken, Lutheranern und Calvinisten auch den radikalen Unitariern gleiche Rechte einräumte (Letztere lehnten die Dreifaltigkeitslehre ab und bestritten deshalb auch, dass Christus göttlicher Natur gewesen sei). Eigene Toleranzdekrete des Fürsten galten der jüdischen und der beträchtlichen rumänischen Bevölkerung des Fürstentums.

      In einer Zeit, in der sich die Menschen anderswo in Europa im Namen Gottes gegenseitig abschlachteten, war dies ein Arrangement, das überraschend gut funktionierte. Alle beteiligten Parteien erkannten, wie schutzlos und schwach das Fürstentum war, und wollten auswärtigen Räubern und Abenteurern deshalb keine Gelegenheit zur Einmischung bieten. Mit der Zeit wurde die Toleranz ein integraler Bestandteil der politischen Kultur und Gesellschaft Siebenbürgens, was die Machtposition des Fürsten stärkte, denn dieser konnte als der Verteidiger aller Glaubensrichtungen auftreten, der noch dazu die Freiheiten der unterschiedlichen Gruppen gegen den Absolutismus und Konfessionalismus der Habsburger beschützte. Für die auswärtigen Beziehungen des Fürstentums konnte die konfessionelle Vielfalt Siebenbürgens jedoch auch hinderlich sein, insbesondere nachdem der Fürst 1604 zum Calvinismus konvertiert war. Während damit 90 Prozent des siebenbürgischen Adels nun die Konfession ihres Fürsten teilten, waren die meisten Bauern doch katholisch oder orthodox, die meisten Stadtbürger Lutheraner. Andere christliche Fürsten, die nach Siebenbürgen blickten, sahen dort nur den Landesherrn und hielten das Fürstentum dementsprechend (und fälschlicherweise) für ein Bollwerk des reinen Protestantismus, eine calvinistische Macht, die ihnen selbst womöglich in einer Notsituation beistehen würde. Zwar mochte es bisweilen im Interesse des Fürsten sein, diesem Außenbild entsprechend aufzutreten; er vergaß jedoch nie, dass seine Herrschaft ganz davon abhing, die Balance zwischen den verschiedenen ethnischen und konfessionellen Gruppierungen Siebenbürgens zu sichern.

      Zudem bestanden ganz beträchtliche materielle Hindernisse, die Siebenbürgen davon abhielten, auf der europäischen Bühne eine größere Rolle zu spielen. Mehr als die Hälfte des Fürstentums war dicht bewaldet; nur auf etwa einem Fünftel seiner Fläche wurde Ackerbau betrieben. Die Bevölkerung konzentrierte sich in vereinzelten Ballungsräumen, die durch Urwälder und Bergketten weitgehend voneinander getrennt waren. Ein stehendes Heer nach westlichem Vorbild zu unterhalten, war unter diesen Bedingungen unmöglich – und was hätte man mit ihm auch anfangen sollen, wo doch überall Bäume und Berge im Weg waren? Wie auch die unmittelbaren Nachbarterritorien verließ sich das Fürstentum Siebenbürgen auf seine leichte Kavallerie, die bis zu 35 Kilometer am Tag zurücklegen konnte, unterstützt von kleineren Trupps mit Musketen bewaffneter Freischärler, die weit verstreute Grenzposten besetzten. In einer offenen Feldschlacht hatten Truppen wie diese kaum eine Chance, weil es ihnen an Durchhaltevermögen mangelte. Sie vermieden deshalb die direkte Konfrontation mit dem Feind und brachen dessen Willen zum Widerstand, indem sie im Hinterland Zivilisten und Nutzvieh zusammentrieben und verschleppten. Diese Taktik wurde jedoch ausgebremst, wenn der Feind in befestigten Städten oder Burgen Zuflucht suchte, denn den Siebenbürgern fehlten die Artillerie und die disziplinierte Infanterie, die eine erfolgreiche Belagerung erst möglich machen. Auch war es ihnen unmöglich, ihre Kampagnen über mehr als ein paar Monate am Stück zu führen, denn bevor sie im Frühjahr losziehen konnten, musste genug Gras für ihre Pferde gewachsen sein – und bevor die sengende Sommerhitze alles wieder ausgedörrt hatte, mussten sie mit ihrer Beute heimkehren.

      Strategie und Logistik Dieselben logistischen Probleme, denen letztlich alle Konfliktparteien unterworfen waren, fanden sich auch anderswo im Donauraum und insbesondere auf den weiten Ebenen der ungarischen Puszta, wo die Sommer glühend heiß und die Winter bitterkalt waren. Die umliegenden Gebirge versanken vom Herbst bis zum Frühling unter dichten Schneedecken. Wenn dann endlich die Schneeschmelze einsetzte, schwollen selbst kleinste Bergbäche rasch zu reißenden Strömen an, in der Ebene traten die Flüsse über ihre Ufer und überschwemmten für den Großteil des verbleibenden Jahres ein Drittel der Landfläche – Mückenplagen und Malaria waren die Folge. Ungarn lag am nordwestlichen Rand des osmanischen Weltreichs, gut 1100 Kilometer vom europäischen Verwaltungszentrum der Osmanen in Adrianopel (Edirne) entfernt. Ein Heer von 40 000 Fußsoldaten und 20 000 Berittenen benötigte am Tag 300 Tonnen Brot und Futter.57 Dabei waren die Ernteerträge im östlichen Europa nur etwa halb so hoch wie in Flandern oder anderen Ackerbauregionen des Westens, die zehnmal mehr „Nicht-Produzenten“ im Sinne der Landwirtschaft ernähren konnten. Selbst Polen, das rasch zur Kornkammer der Städte Westeuropas wurde, exportierte im späten 16. Jahrhundert gerade einmal zehn Prozent seines landwirtschaftlichen Nettoertrags. Im unteren Donaubecken aber war es oft geradezu unmöglich, Proviant und Futter vor Ort zu requirieren, vor allem weil die Bevölkerung sich, wie in Siebenbürgen, meist in einzelnen, voneinander getrennten Siedlungsräumen ballte. Im Konfliktfall waren die Türken gezwungen, dem Verlauf des Flusses zu folgen, was ihren Vormarsch auf 15 Kilometer am Tag verlangsamte. Wenn sie im April loszogen, konnten sie Wien nicht vor Juli erreichen. Es überrascht daher kaum, dass die osmanischen Heerführer sich nach Ausbruch des Krieges vor allem auf Belgrad verließen, das – als erste größere Stadt an der Donau westlich des Eisernen Tores – schon auf zwei Dritteln des Weges zur Front gelegen war: Das Eiserne Tor bei Orschowa (Orșova) markiert den Durchbruch der Donau zwischen den Gebirgszügen der Südkarpaten und der Serbischen Karpaten sowie den nördlichen Ausläufern des Balkangebirges im heutigen Bulgarien.

      Diese strategischen und logistischen Faktoren zwangen dem türkischen Vorgehen eine gewisse Routine auf. Die Kampagne begann gemächlich, mit dem Zusammenziehen von Truppen aus allen Teilen des Osmanischen Reiches in Adrianopel oder Belgrad. Der Hauptteil des Heeres erreichte die Front im Juli, sodass zum Erringen tatsächlicher militärischer Erfolge nur wenige Monate verblieben, bevor ab September der Herbstregen einsetzte; traditionell beendete der Sultan die Kampagne am 30. November, pünktlich zum Winterbeginn.

      Groß