Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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Protestanten von der Regierung auszuschließen. Der päpstliche Nuntius in Prag überzeugte den labilen Kaiser Rudolf, ausgerechnet am 24. August 1599 – dem 27. Jahrestag der blutigen Bartholomäusnacht – den Katholiken Zdenko von Lobkowitz zum Oberstkanzler von Böhmen zu ernennen. Der wiederum drängte, inspiriert von seiner Lektüre spanisch-katholischer Staatsdenker der Spätscholastik, den Kaiser dazu, seine protestantischen Berater zu entlassen, was Rudolf dann 1600 auch tat, und das kaiserliche Verbot der Böhmischen Brüder zu erneuern. Freie Kirchenämter besetzte man mit neuen Männern voller Elan und Tatendrang. Das Amt des Fürstbischofs von Olmütz (Olomouc) und Metropoliten von Mähren ging 1598 an Franz Seraph von Dietrichstein, einen Absolventen des jesuitischen Collegium Germanicum in Rom, dem schon als junger Mann ein Dreizehntel der Gesamtfläche Mährens gehörte. Der streitbare Wolfgang Selender von Prossowitz wurde zum Abt des Benediktinerklosters Braunau (Broumov) in Böhmen ernannt, während Klostergrab (Hrob) mit den dazugehörigen Prämonstratenserstiften Tepl und Strahov dem Erzbischof Jan Lohelius anvertraut wurde, der in Prag eine Synode zur Förderung der tridentinischen Reformen einberief. Hatten sich noch 1594 sämtliche wichtigen Regierungsämter Mährens in den Händen von Protestanten befunden, war die Verwaltung des Landes nun – kaum zehn Jahre später – durch und durch katholisch.

      Auf den ersten Blick schien die Lage für den militanten Katholizismus zu Beginn des neuen Jahrhunderts vielversprechend. Das „Münchner Programm“ war in Innerösterreich durchaus mit Erfolg umgesetzt worden, in Ober- und Niederösterreich mit etwas geringerem Erfolg, in Böhmen und Mähren begann es gerade erst, Frucht zu tragen. Jedoch stießen seine Richtlinien zahlreiche Protestanten vor den Kopf, die zuvor dem habsburgischen Herrscherhaus gegenüber noch loyal gewesen waren – und das zu einer Zeit, in der die Katholiken noch mit mindestens drei zu eins in der Unterzahl waren (zumindest außerhalb von Kroatien und Tirol). Ob sich der gegenreformatorische Vorstoß auch weiterhin würde aufrechterhalten lassen, hing vor allem von der inneren Einigkeit des Hauses Habsburg ab, dessen baldiges Auseinanderbrechen sich allerdings schon deutlich abzeichnete. Rudolf II. jedenfalls war vollkommen unfähig, seine Führungsrolle als Familienoberhaupt angemessen auszufüllen. Grundsätzlich befürwortete er zwar eine Stärkung des Katholizismus, gehörte seiner ganzen Vorstellungswelt nach jedoch eher dem moderaten Milieu der 1570er-Jahre an als der polarisierten, von konfessionellen Gegensätzen geprägten Gegenwart um 1600. Kaum hatte man den Kaiser mit Schmeicheleien dazu gebracht, radikale Maßnahmen zu autorisieren, da hieß er an seinem Hof auch schon den Astronomen Johannes Kepler willkommen, einen Lutheraner, den Erzherzog Ferdinand gerade erst aus dem steirischen Graz hatte ausweisen lassen. Während der politische Druck von allen Seiten zunahm, verzettelte Rudolf sich in Nichtigkeiten, brachte etwa Monate damit zu, eine neue Kaiserkrone zu entwerfen, obwohl die bestehende Krone, die in Nürnberg sicher verwahrt wurde, eigentlich keine Wünsche offenließ.52 Inzwischen kühlten die Beziehungen unter Rudolfs jüngeren Brüdern und sonstigen Verwandten rapide ab, während das Habsburgerreich in einen langen Krieg gegen die Türken hineingezogen wurde, der nach 1606 schließlich eine tiefe Staatskrise auslöste.

      4. Der Türkenkrieg und seine Folgen

      Die Türkengefahr

      Rudolf II. trat der Herausforderung durch das Osmanische Reich, der sich seine Länder ab 1593 gegenübersahen, mit Selbstbewusstsein entgegen, und zog sehenden Auges in den Konflikt, der als „Langer Türkenkrieg“ der Jahre 1593–1606 für beide Seiten zum Fiasko werden sollte. Dieser 13-jährige Krieg leistete seinen Beitrag zu einer ganzen Kette von Problemen, die das Osmanische Reich aus dem Dreißigjährigen Krieg heraushielten, und bescherte Ungarn auf diese Weise eine Phase relativer Ruhe. In der Rückschau war dies für die Habsburger zweifellos von Vorteil, denn so konnten sie sich ganz auf die inneren Probleme des Heiligen Römischen Reiches sowie auf den Kampf gegen ihre Feinde im Westen und Norden konzentrieren. Zur damaligen Zeit konnte das jedoch noch nicht klar sein, und so blieben Türkenfurcht und Türkengefahr eine beständige Quelle der Sorge für eine ganze Generation. Und was noch schlimmer war: Der Türkenkrieg bewirkte schließlich den finanziellen wie politischen Bankrott der Habsburger und trug so schließlich doch zum erneuten Ausbruch eines großen Krieges im Jahr 1618 bei.

      Die Geißel Gottes Der Türkenkrieg und seine Folgen haben in der Geschichtswissenschaft bislang nicht die Beachtung gefunden, die ihnen eigentlich zukäme. Folglich bleibt das Osmanische Reich in den meisten Darstellungen des Dreißigjährigen Krieges nichts als ein Schatten, eine schemenhafte Gestalt im Hintergrund des Geschehens. Dabei war das Reich der Osmanen die Weltmacht der Frühen Neuzeit und erstreckte sich auf 2,3 Millionen Quadratkilometern über drei Kontinente. Die osmanischen Sultane geboten über mindestens 22 Millionen Untertanen; das waren mehr als dreimal so viele Menschen, wie im Habsburgerreich lebten.53 Gewiss, die ursprüngliche Dynamik der osmanischen Expansion hatte nach dem Tod Sultan Süleymans des Prächtigen im Jahr 1566 merklich nachgelassen, aber es wäre doch falsch, schon die Zeit unmittelbar danach als Anfang vom Ende des Osmanischen Reiches zu beschreiben. Die Türken blieben der Schrecken Europas, und Protestanten wie Katholiken erblickten in ihnen eine „Geißel Gottes“, mit der die sündige Menschheit gestraft werden sollte, weshalb man mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Abscheu auf sie schaute.54 Das Osmanische Reich expandierte durchaus noch, vor allem im Osten, wo die (sunnitischen) Osmanen zwischen 1576 und 1590 Georgien und Aserbaidschan eroberten, die vorher beide zum Reich der persischen (und schiitischen) Safawiden-Dynastie gehört hatten. Das beunruhigte die Habsburger immerhin so sehr, dass sie im November 1590 geradezu entwürdigende Bedingungen akzeptierten, um eine achtjährige Verlängerung des Waffenstillstandes zu erreichen, der am Ende des letzten Türkenkrieges 1568 geschlossen worden war. Trotz der damit verbundenen hohen Kosten unterhielt der Kaiser eine ständige Gesandtschaft in Konstantinopel, während der Sultan es verschmähte, sich mit den Ungläubigen überhaupt zu beschäftigen, und nur selten Gesandte an christliche Höfe schickte. Die österreichischen Diplomaten in Konstantinopel hatten ihre liebe Not, zuverlässige Informationen über den osmanischen Hof zu sammeln, der sich in jeder Hinsicht als würdiger Nachfolger der Kaiserhöfe des mittelalterlichen Byzanz erwies, an denen ja sprichwörtlich „byzantinisch-verworrene“ Zustände geherrscht hatten. Wochenlang ließ man sie warten, und wenn es dann einmal zu einer Audienz mit den Beamten der Hohen Pforte kam, gaben diese ihnen nur ausweichende oder gar widersprüchliche Antworten auf ihre Fragen. Die gleichzeitige Anwesenheit niederländischer, englischer, französischer, venezianischer und anderer christlicher Gesandtschaften in der Stadt bot weiteren Grund zur Sorge, denn alle diese Mächte galten als Feinde des römisch-deutschen Kaisers.

      Die beschriebene Schwierigkeit, sich ein klares Bild vom Stand der osmanischen Politik und Regierung zu machen, verhinderte, dass den Außenstehenden die wachsenden inneren Probleme des Osmanischen Reiches bewusst wurden. Das Fehlen einer allgemein anerkannten Thronfolgeregelung sorgte immer wieder für blutige Familienfehden und brachte jeden neuen Sultan dazu, taubstummen – und also diskreten – Schergen die Erdrosselung seiner Brüder und Schwestern zu befehlen. Interne Intrigen schwächten das zunehmend orientierungslose Sultanat ausgerechnet zu einer Zeit, in der sein ärgster Feind im Osten, Persien, unter der Dynastie der Safawiden einer neuen Machtblüte entgegenschritt. Selbst die Eroberungen im Kaukasus brachten nicht die erforderliche Beute ein, um diejenigen Gruppen zufriedenzustellen, von denen das Schicksal des Osmanischen Reiches abhing. Das war zunächst die Armee, die einst der mächtigste Pfeiler der Sultansherrschaft gewesen war – und die sich jetzt, mit desaströsen Folgen, in die Politik einzumischen begann. Vor allem die Janitscharen, die Elitetruppe der osmanischen Infanterie, waren es gewohnt, von jedem neuen Sultan mit üppigen Sonderzahlungen entlohnt zu werden. Nun aber fingen sie an, die Sultane zu erpressen: Flossen keine Gelder, so drohten sie, dem Herrscher ihre Gefolgschaft aufzukündigen. Das ging so weit, dass 1622 der junge Sultan Osman II. von seinen eigenen Soldaten ermordet wurde, was einen Präzedenzfall schuf, dem 1648 sowie im späteren 17. Jahrhundert weitere Attentate folgten.55

      Die inneren Probleme ihres Reiches machten die Osmanen immer unberechenbarer, was ihr außenpolitisches Handeln betraf. Die ohnehin schon labile Situation im Südosten Europas, wo das Osmanische Reich mit dem Habsburgerreich im Westen sowie dem polnisch-litauischen Wahlkönigreich im Osten zusammentraf, wurde so noch gefährlicher. Der Krieg, der 1593 ausbrach, war