Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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schließlich im April 1598 die Reformkommission seines Vaters ins Leben zurück. Sorgfältige Vorbereitungen sollten eine Wiederholung der Proteste von 1580 und 1590 verhindern. Alle drei innerösterreichischen Ständekurien wurden zeitgleich, aber getrennt voneinander einberufen – so waren sie beschäftigt, konnten aber keine vereinte Opposition bilden. Die Kurien wurden gezwungen, jeweils einen katholischen Geistlichen in ihr Leitungsgremium aufzunehmen, der umgehend jegliches gegen die erzherzogliche Obrigkeit gerichtete Vorgehen unterband. Ferdinand schreckte auch vor Gewalt nicht zurück: Zwei Ständevertreter wurden festgenommen und so lange gefoltert, bis sie einwilligten, die wichtigste Schule von Graz in katholische Hand zu geben. Die Grazer Garnison kam in ihrer gesamten regulären Stärke von 800 Mann zum Einsatz, um die Reformkommission zu schützen; wenn ein Bürger protestierte, quartierte man Soldaten bei ihm ein. 1599 dann kam die Operation voll in Schwung, als Fürstbischof Brenner nacheinander sämtliche steirischen Städte besuchte, protestantische Lehrer und Pastoren ihrer Ämter enthob und katholische Priester an ihre Stelle setzte. Wenn die Gemüter sich beruhigt hatten, kehrte die Reformkommission zurück und ordnete weitere provokante Maßnahmen an: schloss die protestantische Schule, ließ den protestantischen Friedhof einebnen und die protestantische Kirche abreißen. Letzteres geschah bisweilen als spektakuläres Exempel: In dem Ort Eisenerz bei Leoben etwa wurde sie gesprengt. Brenner hatte sich auf diese Weise bald den Beinamen „der Ketzerhammer“ verdient – und er ließ wirklich keine Gelegenheit aus, seine Widersacher zu erniedrigen, zu demütigen und alles, was ihnen heilig war, in den Dreck zu treten:

      „Die Leiber der [protestantischen] Gläubigen hat man ausgegraben, hat sie den Hunden gegeben und vor die Säue geworfen, hat deren Särge auch genommen und sie am Wege hingestellt und etwelche angebrannt, dass es ein barbarisches und unmenschliches Werk war. Auch hat man auf den Grabstätten der Gläubigen Galgen und Richtplätze errichtet, dass man die Frevler dort richte. Und wo vorher die protestantischen Kirchen gestanden, wo die Kanzel gewesen oder der Taufstein, da hielt man stets die unflätigsten und die abscheulichsten Spektakula.“51

      Als Brenner 1600 im Triumph nach Graz zurückkehrte, um dort der „feierlichen“ Verbrennung von 10 000 protestantischen Büchern beizuwohnen, gingen die Ereignisse ihrem Höhepunkt entgegen. Ferdinand feierte, indem er Maria Anna von Bayern zur Frau nahm, die fromme und pflichtbewusste älteste Tochter Herzog Wilhelms V. von Bayern. Die Hochzeitsfeierlichkeiten im April zogen sich über acht Tage hin. Anschließend wurden alle verbliebenen protestantischen Pastoren und Lehrer der Stadt verwiesen, ebenso alle Grazer Bürger, die sich weigerten, zum katholischen Glauben zu konvertieren. Insgesamt verließen zwischen 1598 und 1605 rund 11 000 Glaubensflüchtlinge die innerösterreichischen Länder, entweder weil sie vertrieben wurden oder weil sie sich mehr oder minder freiwillig ins Exil begaben. Viele siedelten in protestantische Territorien des Reiches über, etwa nach Württemberg, dessen Herzog sogar das programmatisch benannte Freudenstadt gründete, um die Vertriebenen willkommen zu heißen.

      Die ganze Zeit über hatte Ferdinand sich im Rahmen seiner eigenen – zugegebenermaßen recht engen – Rechtsauffassung bewegt. Zumindest offiziell sollte die Reformkommission nicht das Luthertum bekämpfen, sondern die „Ketzerei“, und erst 1609 wurde ein katholisches Bekenntnis auch formal zur Voraussetzung bei der Ämtervergabe. Auch hatte Brenner nur solche lutherischen Einrichtungen und Strukturen angegriffen, die nicht ausdrücklich privilegiert worden waren, wodurch der private Glaube unangetastet blieb. Besondere Zugeständnisse wurden gegenüber den innerösterreichischen Bergleuten gemacht, weil man ansonsten wirtschaftliche Beeinträchtigungen und Steuerausfälle befürchtete. Bereits 1599 hatten die Landstände die gegenreformatorische Kampagne ihres Erzherzogs dadurch gekontert, dass sie ihm Steuern vorenthielten und überdies beim Kaiser Beschwerde einlegten. Als Ferdinand weitere derartige Beschwerden untersagte, unterzeichneten 238 Adlige eine Petition, in der sie ihm mit ihrer Emigration drohten, falls er nicht augenblicklich die freie Religionsausübung wiederherstelle. Ferdinand setzte darauf, dass sie nur pokerten – und gewann: Die meisten blieben, wo sie waren; ein zweiter Steuerstreik brach 1604 in sich zusammen.

      Böhmen Die Auswirkungen des innenpolitischen Bebens in den Jahren um 1600 waren sogar in Böhmen zu spüren, wo Kaiser Rudolf sich weiterhin in seiner Burg abschottete. Wie in Österreich auf die Kronstädte, so zielte die Gegenreformation auch in Böhmen auf die Königsstädte als die schwächsten Glieder des ständisch-protestantischen Netzwerks. Im utraquistischen Konsistorium erlangten katholische Sympathisanten eine Mehrheit, indem sie die radikaleren Anhänger der Brüderunität als „fünfte Kolonne“ der Calvinisten darstellten. Mit der Unterstützung der offiziellen und etablierten Kirchenhierarchien, der katholischen wie der utraquistischen, begann die habsburgische Regierung, in den Königsstädten linientreue Vögte einzusetzen. Dadurch gelang es, überall prohabsburgische Magistrate zu erhalten – und das, obwohl von all diesen Städten allein Pilsen (Plzeň) und Budweis (České Budĕjovice) eine mehrheitlich katholische Bevölkerung hatten. 1592 wurde in Prag der Fronleichnamsumzug wieder eingeführt; andere Städte folgten und verpflichteten ihre Würdenträger zur Teilnahme an der Prozession. Die Krone profitierte auch von dem Aussterben zahlreicher böhmischer Adelsfamilien, deren Besitz sie entweder einzog oder erwarb; auf diese Weise vergrößerte sich bis 1603 der Anteil von unmittelbarem Kronbesitz an der Gesamtfläche Böhmens von zuvor rund einem Prozent auf über zehn Prozent. Der Anteil des von der Kirche und den Königsstädten – mittelbar also ebenfalls von der Krone – besessenen Landes stieg auf neun Prozent, wodurch die böhmische Krone insgesamt rund ein Fünftel des Königreiches unter ihre Kontrolle bringen konnte. In Mähren, wo die Kirche größere Besitzungen hatte bewahren können, war der entsprechende Anteil sogar noch höher. Das große Gewicht dieser katholischen Vermögenswerte und der Einfluss, den ihre Besitzer ausüben konnten, wurden durch die Schwäche der böhmischen Wirtschaft – die deutlich unterkapitalisiert war – eher noch verstärkt.

      Auch der Charakter des böhmischen Katholizismus veränderte sich. Zwischen 1597 und 1611 starben sieben der großen böhmischen Grundbesitzerfamilien aus, und ihr Reichtum fiel überwiegend in die Hände verdienter Militärs – oder solcher, die es werden wollten. Wilhelm Slavata, der, als wir ihm zuletzt begegneten, gerade Hals über Kopf aus einem Fenster des Hradschin geflogen war, hatte 1604 den Besitz der Herren von Neuhaus (Jindřichův Hradec) geerbt, deren Geschlecht seine Frau Lucie Ottilie entstammte. In den 1590er-Jahren erwarb Karl von Liechtenstein den umfangreichen Besitz der mährischen Herren von Boskowitz. Viele Angehörige dieser neuen Generation von „Glücksrittern“ waren Konvertiten; zu ihnen zählten auch die Männer, die bei Ausbruch des Böhmischen Aufstandes die Machtpositionen im Land innehatten. Liechtenstein, der später Statthalter von Böhmen werden sollte, war im Glauben der Böhmischen Brüder erzogen worden, genau wie sein jüngerer Bruder Gundaker, der 1602 zum Katholizismus konvertierte und 1620 Hofkammerpräsident und 1624 kaiserlicher Obersthofmeister wurde. Der Niederösterreicher Michael Adolf von Althan ließ sich 1598 von dem frischgebackenen Wiener Bischof Khlesl zum Katholizismus bekehren, bevor er 1606 zum Gouverneur im ungarischen Gran ernannt und 1610 in den Reichsgrafenstand erhoben wurde. Ein niederösterreichischer Landsmann Althans, Franz Christoph von Khevenhüller, war nach seiner Konversion kaiserlich-habsburgischer Gesandter am spanischen Hof. Nach seiner Rückkehr schrieb er die Annales Ferdinandei, vordergründig eine Biografie Ferdinands II., in Wahrheit jedoch eine materialreiche Abhandlung zur gesamten Zeitgeschichte. Der steirische Lutheraner Johann (Hans) Ulrich von Eggenberg wurde in den 1590er-Jahren ebenfalls katholisch und war bis 1597 zu einem der engsten Berater Ferdinands geworden. Ein anderer Steirer, Maximilian von Trauttmansdorff, der zum führenden Staatsmann der Habsburgermonarchie aufsteigen sollte, war gleichfalls im lutherischen Glauben erzogen worden, schloss sich aber seinen Eltern an, die während der Tätigkeit von Brenners Reformkommission zum Katholizismus konvertierten. Slavata war aus persönlicher Überzeugung konvertiert, während er sich als junger Mann zum Studium in Siena aufhielt; andere waren noch jünger gewesen, als man sie zum Übertritt bewegte. Peter Pázmány zum Beispiel, der spätere Primas von Ungarn, fand im Alter von zwölf Jahren in die Arme Roms – unter jesuitischem Einfluss. Pázmány wurde 1616 Nachfolger des Grafen Franz (Ferenc) Forgách (auch er ein Konvertit!) als Kardinalerzbischof von Gran; er sollte die katholische Reform in Ungarn vorantreiben. Unter anderem durch Konversionen stieg bis 1610 der Anteil der Katholiken am oberösterreichischen Adel auf rund zehn Prozent an; in Böhmen waren 20 Prozent der Adligen katholisch, in