Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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katholischen Standesgenossen zusammen, warben Söldner an und unterstützten den Erzherzog Matthias.

      Das Wiedererstarken des Katholizismus

      Die führenden Köpfe der Habsburger gelangten zu der Überzeugung, dass die Zukunft ihrer Dynastie ganz davon abhing, ob sie den Katholizismus wieder zur Grundlage politischer Loyalität würden machen können. Das war durchaus kein unrealistisches Ziel, bedenkt man, dass eine Minderheit der Stände noch immer katholisch und die protestantische Seite von heftigem Streit zerrüttet war. Zudem blieben – bei allen konfessionellen Differenzen – auch die meisten Protestanten treue Untertanen der Habsburger. Die in den 1570er-Jahren erzwungenen religiösen Freiheiten waren – als besondere Privilegien – dem Adel und den Städten einzelner habsburgischer Länder verliehen worden und mussten außerdem von allen Mitgliedern der betroffenen Stände als Bestandteil ihrer gemeinsamen Standesrechte angenommen werden. Den Ständen fehlte eine Plattform, auf der sie ihr Verhalten dem Herrscherhaus gegenüber koordinieren konnten; eine brauchbare Generalversammlung aller Landstände der Habsburgermonarchie war nämlich noch nicht zustande gekommen. In diesem Zusammenhang wirkte sich die Dreiteilung von 1564 tatsächlich zum Vorteil der Herrscherfamilie aus, da sie die alte Sitte, mit jedem der Landstände einzeln zu verhandeln, stärkte und überdies dafür sorgte, dass ein österreichischer Generallandtag nach dem frühen 17. Jahrhundert nie wieder zusammentrat. Die Weigerung Böhmens, die anderen vier Länder der böhmischen Krone als gleichberechtigt anzuerkennen, hatte schon zuvor bewirkt, dass es ab 1518 für beinah ein Jahrhundert keinen böhmischen Generallandtag mehr gegeben hatte. Die Initiative lag also in den Händen der Habsburger, und deren Aussichten auf Erfolg standen nicht schlecht – vorausgesetzt, die verschiedenen Zweige der Familie würden geschlossen auftreten und an einem Strang ziehen.

      Rudolf II. Als Kopf der österreichischen Hauptlinie des Erzhauses war es an Rudolf II., die Führungsrolle zu übernehmen, nachdem er 1576 als Nachfolger seines verstorbenen Vaters Maximilian Kaiser des Heiligen Römischen Reiches geworden war.45 Im Alter von elf Jahren war Rudolf 1563 zusammen mit seinem jüngeren Bruder Ernst nach Madrid geschickt worden, um dort fern der Gefahr einer protestantischen „Ansteckung“ erzogen zu werden und außerdem die Beziehungen zu dem mächtigen spanischen Zweig der Familie zu pflegen. Das geradezu sprichwörtlich düstere und formelle Umfeld des spanischen Hofs hinterließ bei beiden Knaben bleibenden Eindruck; auch die raue Wirklichkeit monarchischer Machtausübung erlebten sie dort aus nächster Nähe. Der von Schiller verewigte Don Carlos, Infant von Spanien und Sohn Philipps II. aus dessen erster Ehe, war psychisch labil und wurde – nachdem er einen geradezu pathologischen Hass auf seinen Vater entwickelt hatte – inhaftiert. Carlos’ ohnehin zarte Gesundheit wurde durch Hungerstreiks des Prinzen sowie rabiate Gegen- und Heilmaßnahmen seiner Wärter und Ärzte weiter zerrüttet. Sein Tod im Alter von nur 23 Jahren löste 1568 sogleich Gerüchte aus, er sei vergiftet worden, um eine politische Last loszuwerden. Die aufständischen Niederländer beschuldigten später ausdrücklich Philipp II., er habe seinen Sohn ermorden lassen. Wenngleich dieser Vorwurf bestimmt nicht zutrifft, trug das unerbittliche Verhalten des Königs, der sich nicht vom Schreibpult und seinen Staatsgeschäften wegrührte, während sein Sohn qualvoll zugrunde ging, doch Züge von entsetzlicher Grausamkeit. Gut möglich, dass dieses Geschehen Rudolf davon überzeugte, er werde es mit der unerbittlichen Pflichterfüllung seines spanischen Onkels niemals aufnehmen können. Jedenfalls bemerkten die Zeitgenossen im Verhalten des jungen Prinzen eine Veränderung, als dieser 1571 nach Wien zurückkehrte. Obwohl er das steife spanische Hofzeremoniell an die Donau mitbrachte, war klar, dass er für das Königreich seines Onkels nur wenig übrighatte. Entgegen dem beträchtlichen Druck seiner Familie, er solle gefälligst für einen männlichen Erben sorgen, weigerte Rudolf sich, Philipps Lieblingstochter Isabella zu heiraten, und zeugte stattdessen etliche illegitime Kinder – mindestens sechs – mit seiner langjährigen Geliebten Katharina Strada. Die enge Beziehung zu Katharina war eine Ausnahme, denn Rudolf konnte mit den Lebenden ansonsten nur wenig anfangen: Immer mehr zog er sich in einen übersteigerten Ahnenkult zurück. Diejenigen, denen doch einmal eine Audienz mit ihrem Kaiser gewährt wurde – was oft erst nach monatelangem Warten geschah –, waren von Rudolfs Intelligenz, seiner großen Wissbegierde und umfassenden Bildung beeindruckt. Der Kaiser wurde ein passionierter Kunstsammler und Mäzen von Astronomen, Alchemisten und Poeten. Seine Jahre in Spanien hatten ihm einen übergroßen Sinn für die eigene Majestät und Erhabenheit eingeimpft, der ihn davon abhielt, Verantwortung an jene zu delegieren, die ihm helfen wollten. Wenn Rudolf auch keineswegs arbeitsscheu war, so drängten sich in seinem Kopf doch zu viele Pläne und Ideen auf einmal, was Unentschlossenheit zur Folge hatte – dies umso mehr, als selbst kleinste Misserfolge ihn sofort entmutigten.

      Diese Charakterzüge Rudolfs II. wurden gleich zu Beginn seiner Regierungszeit offenbar, als er beschloss, mit der Stärkung des Katholizismus in seiner Residenzstadt Wien ein positives Zeichen zu setzen. Im Jahr 1577 hatten Angehörige des örtlichen Klerus und der Wiener Laienschaft gemeinsam die Fronleichnamsbruderschaft wiederbelebt und planten für den Mai des darauffolgenden Jahres eine große Prozession durch ganz Wien. An der Spitze dieses Fronleichnamszuges marschierte Rudolf höchstpersönlich, begleitet von seinen Brüdern Ernst und Maximilian sowie dem Herzog Ferdinand von Bayern und anderen katholischen Würdenträgern. Die Prozession stellte eine unmissverständliche Provokation an die Adresse der überwiegend protestantischen Wiener Bevölkerung dar, vergleichbar etwa den alljährlichen Märschen des (allerdings protestantischen) Oranier-Ordens im heutigen Belfast in Nordirland. Als lutherische Ladenbesitzer und Marktleute sich weigerten, den Weg frei zu machen, war die kaiserliche Leibwache nicht zimperlich, wobei auch der Milchkrug eines Händlers umgestoßen wurde. Die daraufhin losbrechenden Ausschreitungen, die als „Wiener Milchkrieg“ in die Geschichte eingingen, verstörten den Kaiser zutiefst und lösten in den Jahren 1579/80 eine ernste Erkrankung aus, von der er sich nie mehr ganz erholen sollte. Es ist zu bezweifeln, dass Rudolf tatsächlich, wie manchmal behauptet, an einer wahnhaften Psychose litt (wenn auch mindestens eines seiner illegitimen Kinder ebenfalls schizoide Züge aufwies). Stattdessen diagnostizierten Rudolfs Ärzte eine schwere Depression beziehungsweise – in der Sprache der Zeit – „Melancholie“.46 Vermutlich trug die hohe Intelligenz des Kaisers noch zu seinem Leiden bei, denn sie ließ ihn mit scharfem Blick wahrnehmen, wie groß der Abstand zwischen seinem eigenen Majestätsgefühl einerseits und den harschen Realitäten einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit andererseits tatsächlich war. Obgleich er nie in einem herzlichen Verhältnis zu seiner Mutter gestanden hatte, beraubte ihn ihr Weggang nach Spanien 1581 doch einer seiner wenigen verbliebenen Vertrauenspersonen. Nach der Verlegung seines Hofes nach Prag zwei Jahre später schottete der Kaiser sich noch stärker ab als zuvor, verkroch sich im Hradschin, der Prager Burg hoch über der Stadt, weigerte sich tagelang, auch nur eine Menschenseele zu sehen oder selbst wichtige Dokumente zu unterzeichnen. Im März 1591 lief eines seiner chemischen Experimente aus dem Ruder, versengte Rudolfs Bart und Wange und tötete einen früheren Oberststallmeister, der das Pech hatte, zum Zeitpunkt der Explosion direkt neben seinem Kaiser zu stehen. Dieser Unglücksfall stürzte Rudolf in nur noch tiefere Verzweiflung, und er schloss sich nun über Monate am Stück in seinen Gemächern ein. Rudolfs hartnäckige Weigerung, zu heiraten, verursachte unter seinen Verwandten wachsende Beunruhigung und veranlasste Philipp II. dazu, 1597 die Vermählung seiner Tochter Isabella mit einem Bruder des Kaisers, dem Erzherzog Albrecht, in die Wege zu leiten. Als die Heirat zwei Jahre später tatsächlich zustande kam, vertiefte dies Rudolfs Misstrauen gegenüber Spanien und zwang ihn schließlich dazu, sich den Enttäuschungen seines eigenen Lebens zu stellen. Seine förmliche Besessenheit von der Astrologie begünstigte einen Verfolgungswahn, der sich mit dem Herannahen der Jahrhundertwende weiter verschlimmerte – insbesondere, nachdem Rudolf die Vorhersagen des Astronomen und Mathematikers Tycho Brahe für den September 1600 dahingehend interpretiert hatte, dass ein Mordkomplott gegen ihn, den Kaiser, im Gange sei. Auch wurden die Stimmungsschwankungen Rudolfs immer extremer; er schlug nach Höflingen und verletzte einen von ihnen sogar ernsthaft.

      Melchior Khlesl Der Umzug Rudolfs II. nach Prag und sein anschließender Nervenzusammenbruch verstärkten die Fliehkräfte, die nach allen Seiten an der Habsburgerdynastie zerrten. Die Regierungsverantwortung in den österreichischen Erbländern wurde Rudolfs jüngerem Bruder Ernst übertragen, doch weder Ernst