Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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aus Wien: Melchior Khlesl. Der war als Student an der Wiener Universität zum katholischen Glauben konvertiert und stieg, mit der Unterstützung des Jesuitenordens und des Hauses Habsburg, bis 1580 zum Kanzler seiner Alma Mater auf. 1588 wurde er zum Bischof von Wiener Neustadt, zehn Jahre darauf zum Bischof von Wien erhoben. Khlesl, ein raffinierter, mit allen Wassern gewaschener Mann, dessen scharfe Zunge seinem Scharfsinn in nichts nachstand, machte sich rasch zahlreiche Feinde – vor allem weil er mit der Zeit zu der Überzeugung gelangte, er selbst sei als Einziger kompetent genug, die Habsburger zu beraten, deshalb etablierte Machtstrukturen ignorierte und lieber auf eigene Faust Politik betrieb. Man hat ihn, der seinen Machiavelli genauso gründlich studiert hatte wie die Bibel, oft als waschechten Machtpolitiker im Gewand eines Geistlichen dargestellt. Von einem Kardinal Borromäus trennten ihn fraglos Welten: Ab 1590 verbrachte Khlesl mehr Zeit am Prager Kaiserhof als in seinen beiden Bistümern. Diese Rückkehr des Absentismus allein spricht Bände im Hinblick auf das quälend langsame Voranschreiten der katholischen Kirchenreform. Dennoch blieb die Religion ein zentraler Bestandteil von Khlesls Weltbild, wenn auch eher als Grundlage der rechten Ordnung denn als gefühlsmäßige, spirituelle oder gar mystische Bezugsgröße.47

      Khlesl nahm Wien ins Visier, wo sich der Protestantismus munter ausbreitete – unter anderem dank der Existenz des Ständehauses der niederösterreichischen Landstände, zahlreicher Stadtpalais des lutherischen Adels sowie des mittlerweile zur festen Tradition gewordenen „Auslaufs“, der jeden Sonntag Tausende Wiener ihre Stadt verlassen ließ, um auf den umliegenden lutherischen Landgütern Gottesdienst zu halten. Der bereits erwähnte Wiener Milchkrieg von 1578 diente als Vorwand, einen katholischen Magistrat einzusetzen und das Abhalten von lutherischen Gottesdiensten im Ständehaus zu untersagen; wer außerhalb der Stadt einen protestantischen Gottesdienst besuchte, musste mit Geldstrafen rechnen. Ein Jahr nach Beginn seines Rektorats entschied Khlesl, dass an der Wiener Universität fortan nur noch Katholiken einen Abschluss erlangen sollten. In der Folge arbeitete er mit den neuen Ratsherren zusammen, um rund 90 der 1200 Häuser innerhalb der Stadtmauern Wiens in kirchlichen Besitz zu überführen, damit sie als Gotteshäuser oder katholische Bildungseinrichtungen verwendet werden konnten.48 Die katholische Präsenz in der Stadt wurde durch die Rückkehr des kaiserlichen Hofes nach dem Tod Rudolfs II. im Jahr 1612 weiter verstärkt. Hofleute, Adlige und ihre Dienerschaft verdrängten die lutherischen Wiener Stadtbürger aus den begehrten Wohnlagen rund um die Hofburg, insbesondere während der Inflationszeit der frühen 1620er-Jahre, als reiche Katholiken sich hübsche Palais in „langer“, das heißt entwerteter Münze leisteten. Aber schon in der Zeit von Rudolfs Thronbesteigung bis zum Jahr 1594 hatte sich die Anzahl der Wiener Katholiken auf 8000 vervierfacht.

      Der Zusammenbruch des Bauernaufstands bis 1598 ermunterte Khlesl, seine Aktivitäten auf ländliche Gebiete auszudehnen. Der Landeshauptmann von Oberösterreich wurde mit einer bewaffneten Eskorte ausgesandt, um katholische Gemeindepriester auf ihre neuen Posten zu geleiten und außerdem die protestantische Ständeschule in Linz zu schließen. Im Jahr darauf zog Khlesl selbst an der Spitze von 23 000 niederösterreichischen Pilgern in das steirische Mariazell, womit er eine Tradition begründete, die zunächst unregelmäßige, ab 1617 dann sogar jährliche Wiederholung fand. Andere Pilgerstätten wurden ausgebaut, vor allem solche, die einen Bezug zur österreichischen Geschichte oder zu den Habsburgern aufwiesen; so sollte die Verknüpfung von katholischer Frömmigkeit und Obrigkeitstreue weiter gestärkt werden. Diese Entwicklungen blieben nicht ohne Widerspruch. Als 1600 in Linz die Fronleichnamsprozession eingeführt werden sollte, ergriffen wütende Linzer Bürger den Zelebranten und ertränkten ihn im Fluss. Wie bereits der Wiener Milchkrieg diente auch diese Episode als Vorwand, die Rechte der Protestanten noch weiter zu beschneiden; im vorliegenden Fall wurden sämtliche lutherischen Lehrer aus Oberösterreich ausgewiesen. Als die Salzbergleute des Salzkammerguts aus Protest ihr Handwerkszeug in den Seen ihrer Heimat versenkten, entsandte Erzherzog Matthias im Februar 1602 1200 Bewaffnete, die sie wieder an die Arbeit treiben sollten. So eindrucksvoll indes das Wiedererstarken des Katholizismus im Habsburgerreich auf den ersten Blick scheinen mochte, fehlte ihm doch ein festes Fundament: Noch um 1600 lehnten drei Viertel der 50 000 Einwohner Wiens den offiziellen Glauben ihrer Stadt ab.

      Die katholische Strategie Größeren Erfolg brachten die Rekatholisierungsmaßnahmen in Innerösterreich, wo die Verbindung von religiöser und politischer Loyalität, nach wenig verheißungsvollen Anfängen, systematischer verfolgt wurde. Der Erzherzog Karl war ein frommer Katholik, hatte sich jedoch mit Blick auf seine Schulden und die Höhe seines Etats zur Grenzverteidigung 1578 gezwungen gesehen, das bereits erwähnte Brucker Libell einzugehen. Zwar hatte er gehofft, dies geheim halten zu können, aber zum Entsetzen des Erzherzogs konnten es die protestantischen Stände Innerösterreichs im Hochgefühl ihres Triumphs kaum erwarten, eine unautorisierte Druckfassung der ihnen gemachten Zugeständnisse zu veröffentlichen. Papst Gregor XIII. zeigte wenig Verständnis für diesen (wie er es wohl sah) obrigkeitlichen Fauxpas – und exkommunizierte den Erzherzog umgehend. Der traf sich, gestraft wie er war, im Oktober 1579 in München mit seinem Bruder, Erzherzog Ferdinand von Tirol, und seinem Schwager, Herzog Wilhelm V. von Bayern. Seine Verwandten akzeptierten Karls Beteuerung, der in Umlauf gebrachte Text des Brucker Libells verzerre zwar seine tatsächlichen Absichten, doch wäre eine Rücknahme der nun allgemein als gültig betrachteten Zugeständnisse viel zu gefährlich. Gerade einmal drei Monate zuvor hatten 5000 Wiener vor der Hofburg gegen die katholische Religionspolitik der Habsburger demonstriert. Keiner der Erzherzöge verfügte über mehr als eine Handvoll Truppen; alles, was ihre Gegner dazu drängen konnte, gemeinsame Sache zu machen, war deshalb tunlichst zu vermeiden. Eine wesentlich weniger auf Konfrontation ausgerichtete Politik musste also her, und das Münchner Treffen führte zur Formulierung eines entsprechenden Programms, das gewissermaßen die Blaupause für alle weiteren religionspolitischen Maßnahmen der Habsburger bis 1618 abgab.

      Darin wurde festgehalten, dass die zum gegenwärtigen Zeitpunkt gemachten Zugeständnisse das absolute Maximum an Entgegenkommen darstellten, mit dem die Protestanten rechnen konnten. Anstatt bestehende protestantische Privilegien aufzuheben, würden die Erzherzöge in Zukunft auf deren möglichst „katholischer“ Interpretation beharren, wodurch jeglichen protestantischen Aktivitäten, die in den entsprechenden Vereinbarungen nicht ausdrücklich (positiv) gestattet worden waren, ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Die Habsburger hatten durchaus kein Interesse daran, die protestantischen Stände völlig niederzuwerfen, denn ganz ohne die Stände konnten sie nicht regieren. Stattdessen sollten die Protestanten in den Ständeversammlungen isoliert werden, indem man ihnen weitere Zugeständnisse verwehrte, während loyale Katholiken belohnt und gefördert werden sollten. Hierbei konnten sich die Habsburger auf ihre (im Übrigen unbestrittenen) Prärogativen als Erzherzöge, Könige und Kaiser stützen, kraft deren sie befähigt waren, Erhebungen in den Adelsstand vorzunehmen, uneheliche Kinder zu legitimieren sowie Ämter, Titel und andere Ehren zu verleihen. Durch diese herrschaftlichen Kompetenzen konnten sie ihren Einfluss bis in den letzten Winkel des Heiligen Römischen Reiches hinein geltend machen, da selbst die meisten Reichsfürsten nicht befugt waren, Nobilitierungen vorzunehmen, sondern dem Kaiser lediglich Vorschläge unterbreiten konnten, wer nach ihrem Dafürhalten geadelt werden sollte. Als selbstbestimmte und selbstregulierende Körperschaften konnten die Stände zwar entscheiden, wen sie in ihre Reihen aufnehmen wollten, aber sie waren doch von den Habsburgern abhängig, wenn es darum ging, jemanden überhaupt erst in den Adelsstand zu erheben. Auch kam es allein dem Erzhaus zu, bestehenden Rittern zu höheren Ehren zu verhelfen und verschiedene Einflussrechte über die Kirche und die Kronstädte auszuüben. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts starb eine ganze Reihe von österreichischen Adelsfamilien aus, was weitere Möglichkeiten eröffnete, den Anteil loyaler Katholiken unter den Adligen zu erhöhen. So wurden zum Beispiel zwischen 1560 und 1620 insgesamt 40 neue, überwiegend aus Italien stammende Familien in den innerösterreichischen Adelsstand erhoben; immerhin 16 von ihnen gelang auch die Aufnahme unter die Landstände.

      Weiterhin versuchte man, den Katholizismus wieder attraktiver zu machen, indem zum Beispiel ein besser ausgebildeter, disziplinierterer und zahlreicherer Klerus angestrebt wurde – tatsächliche Seelsorger, die größere Aufmerksamkeit auf die spirituellen Bedürfnisse der einfachen Gläubigen richten sollten. Papst Gregor ließ sich zur Unterstützung des Vorhabens überreden und begann, auch andere Herrscher zur Teilnahme zu ermuntern. Der Bischof Germanico Malaspina, ein langjähriger