Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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protestantische Adel sah sich nicht nur erheblichen internen Widerständen seitens seiner verbliebenen katholischen Standesgenossen gegenüber, sondern musste erkennen, dass die Unterstützung anderer ständischer Gruppen, auch angesichts einer krisenhaften wirtschaftlichen Gesamtentwicklung, immer schwerer zu erreichen war.

      Der Wohlstand des Adels entstammte einer überwiegend agrarisch geprägten Ökonomie, beruhte gleichsam auf Roggen, Hafer, Weizen und Gerste. In Tirol und Teilen von Innerösterreich spielte auch der Bergbau eine gewisse Rolle, jedoch befand sich dieser hauptsächlich in habsburgischer Hand. In Oberösterreich, Böhmen und Westmähren expandierte die Textilproduktion, während in anderen Gegenden Mährens und in Ungarn der Pferdezucht große Bedeutung zukam. All diese Wirtschaftsaktivitäten erforderten Land und Arbeitskräfte – und beide Faktoren waren Bestandteil der feudalen Herrschaftsrechte. Wie die Habsburger, so verwalteten auch die meisten niederen Grundherren ihren Besitz nur zu einem kleinen Teil direkt (als Domanialgut); den größeren Rest überließen sie – gegen Zahlung eines bestimmten Pachtzinses – an abhängige Pachtbauern und Hintersassen. Im späteren 16. Jahrhundert machte eine steigende Inflationsrate dieses Modell zunehmend unattraktiver; und da die Pächter oft mehreren Grundherren zugleich einen Zins schuldeten und ihre Herren gegeneinander auszuspielen wussten, war es sehr schwer, sie zur Zahlung einer höheren Pacht zu zwingen. Auch weiteten die Habsburger das gerichtliche Beschwerderecht auf den Stand der Bauern aus, was ihnen ein probates Mittel schien, um als Schlichter zwischen Grundherren und Pachtbauern auf dem Land zu intervenieren und so politische Macht an sich zu ziehen. Nur die ungarischen Stände verhinderten 1556 die Einführung dieses Rechts. Das stetige Wachstum der Städte im Nordwesten Europas kurbelte die Getreidenachfrage an, wodurch sich den ost- und mitteleuropäischen Großgrundbesitzern im Verlauf des 16. Jahrhunderts neue und expandierende Absatzmärkte öffneten. Sie erweiterten ihren Grundbesitz durch Zukauf, Zwangsvollstreckung – oder sie vertrieben einfach die bisherigen Bewohner. Zugleich kam es zu einer Stärkung der Feudalgerichtsbarkeit, durch deren Druck die abhängigen Pachtbauern zum Dienst für ihre Grundherren gepresst werden sollten.

      Man hat diese Entwicklung und ihre Folgen als „zweite Leibeigenschaft“ beschrieben, denn sie erfolgte gerade zu der Zeit, als die mittelalterliche Leibeigenschaft sich anderswo in Europa auf dem Rückzug befand. Besonders deutlich trat die „zweite Leibeigenschaft“ in Polen, Ungarn, Böhmen, Teilen Österreichs und dem Nordosten des deutschsprachigen Raums auf, doch sollte die griffige Bezeichnung nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein ziemlich vielgestaltiges Phänomen handelte – und noch dazu um eines, das selbst da, wo es auftrat, nicht zwangsläufig die vorherrschende Form grundherrlicher Ausbeutung darstellte.44 Dennoch brachte die Ausweitung solcher gutswirtschaftlichen Strukturen – die nun einmal zeitgleich mit Inflation, demografischen und ökologischen Wandlungsprozessen erfolgte – eine auf die Dauer immer größere Belastung der Landbevölkerung mit sich und stand zudem für die einsetzende Kommerzialisierung der ländlichen Lebenswelt. Die Grundherren begannen, Wälder und andere Wirtschaftsgüter auf neue Weise wirtschaftlich zu nutzen, etwa indem sie von ihren Pächtern Geld für das Feuerholz verlangten, das diese im Wald sammelten, oder für das Recht, ihre Schweine dort zur Futtersuche hineinzutreiben. Solche und andere Veränderungen sorgten mitunter auch für Spannungen innerhalb der adligen Oberschicht, weil manche Grundherren zur Nutzung der neuen Möglichkeiten besser aufgestellt waren als andere. Am extremsten war die Lage in Ungarn, wo rund 50 Magnatenfamilien über die Jahre 41 Prozent des gesamten Landbesitzes an sich gezogen hatten. Dadurch genossen sie nicht nur die Größenvorteile – in der heutigen Wirtschaft würde man sagen: die Skaleneffekte – einer derartigen Betriebsorganisation, sondern gewannen auch ständig neue Klienten und Parteigänger hinzu, denn durch ihren großen Reichtum konnten sie es sich leisten, „Privatarmeen“ zu unterhalten, die das Banditentum bekämpften und sich sogar den Türken in den Weg stellten. Dem Niedergang des ungarischen Kleinadels gegenüber diesen Magnaten entsprach eine ganz ähnliche Entwicklung in Böhmen, dessen Ritterschaft in den fünf Jahrzehnten vor 1618 um annähernd ein Drittel schrumpfte. Der Reichtum des Adels konzentrierte sich auf immer weniger Familien, bis schließlich elf mächtige Adelshäuser ein gutes Viertel des böhmischen Grundbesitzes auf sich vereinten.

      Der Zorn der Bauern entlud sich zuerst 1595 in Oberösterreich und griff im Jahr darauf in die westlichen Gegenden Niederösterreichs über. Unmittelbarer Auslöser der Unruhen war der wenig feinfühlige Versuch gewesen, einigen protestantischen Gemeinden katholische Pfarrer aufzuzwängen, doch die wahren Gründe reichten tiefer, und bald richtete der Protest der Bauern sich auch gegen die lutherischen Adligen, die die Landstände dominierten. Die Aufständischen verlangten nach der „Schweizer Freiheit“, sie wollten in den Ständeversammlungen vertreten sein und die zuletzt eingeführten Steuern und Abgaben auf dem schnellsten Wege aufgehoben wissen. Als Kopf der Habsburgerdynastie und Erzherzog von Österreich bemühte sich Kaiser Rudolf II. um eine gütliche Einigung, verärgerte jedoch beide Seiten durch ungeschickte Versuche, seine Vermittlerrolle zur Stärkung des Katholizismus zu gebrauchen. Angesichts einer neuerlichen Welle der Gewalt im Herbst 1596 übertrug Rudolf die Gesprächsführung seinem jüngeren Bruder Matthias, den er im Jahr zuvor bereits zum Statthalter in Österreich ernannt hatte. Matthias verband effektivere militärische Gegenmaßnahmen mit einer aufrichtigen Erforschung der bäuerlichen Klagepunkte. Es war dieselbe Strategie, die sich im Kielwasser des deutschen Bauernkrieges von 1525 so hervorragend bewährt hatte. Ungefähr 100 Anführer der Aufständischen wurden hingerichtet; mehreren Tausend anderen schnitt man Nasen und Ohren ab, um die Unrechtmäßigkeit ihrer Rebellion zu betonen. Unterdessen war im Juni 1598 der Protest durch die „ordnungsgemäßen“ Kanäle der habsburgischen Verwaltung erfolgreich, indem die Dienstpflicht der Bauern auf den Gütern ihrer Grundherren per Dekret auf zwei Wochen im Jahr beschränkt wurde.

      Die Krisensituation des Bauernaufstands offenbarte die unverminderte Abhängigkeit des Adels von dem habsburgischen Herrscherhaus, nicht zuletzt, weil die Landesaufgebote der einzelnen Provinzen sich als unfähig erwiesen hatten, gegen die aufständischen Bauern vorzugehen. Außerdem wurde deutlich, dass sich die diversen Spaltungen in der ständischen Gesellschaft nur schwerlich überwinden ließen, um ein breites Bündnis zu schaffen. Selbst da, wo sie demselben Glauben anhingen, standen sich Adel, Stadtbürger und Bauernschaft in erbitterter Opposition gegenüber. Die Städter verachteten die Bauern und beteiligten sich nicht selten an deren Ausbeutung, etwa indem sie verschuldeten Landpächtern Kredite zu Wucherzinsen gewährten oder deren Familien in der gerade aufkommenden Textilindustrie für Hungerlöhne Stückarbeit leisten ließen. In den Städten sah man wenig Grund, die Forderung der Bauern nach einer ständischen Repräsentation auch der Landbevölkerung zu unterstützen. Noch grundlegender war jedoch, dass alle Gemeinschaften, ob auf dem Land oder in der Stadt, von Gräben tiefer Ungleichheit durchzogen wurden, denen gegenüber die nachbarschaftliche Nähe eines geteilten Lebensumfelds meist in den Hintergrund trat. Diese Gräben sorgten dafür, dass die Gemeinschaften vor allem dann gespalten blieben, wenn sie eigentlich hätten zusammenstehen müssen: in der Konfrontation nämlich mit den Forderungen Außenstehender, seien es Grundherren oder andere. Obwohl jede Gemeinschaft ihre eigenen Angelegenheiten im Großen und Ganzen selbst regelte, hatte nur eine Minderheit von Begüterten dabei ein Mitspracherecht. Die arme Mehrheit blieb ohne Stimme, ja oft sogar ohne ein festes Wohn- und Aufenthaltsrecht, vor allem in den Städten. Zur Aufstockung ihrer unregelmäßigen oder saisonalen Arbeitseinkünfte waren diese weitgehend Mittellosen in der Regel auf die Nutzung von Gemeingütern angewiesen, etwa von gemeinschaftlich genutzten Weiden (Allmenden), auf denen sie ihre wenigen Nutztiere halten konnten. Reichere Bauern versuchten, zusätzliche Steuer- und Dienstlasten auf ihre ärmeren, in keinem dörflichen Gremium vertretenen Nachbarn abzuwälzen, nur um gleichzeitig – unter Verweis auf eine Erosionsgefahr durch Übernutzung – deren Zugang zu den überlebenswichtigen Gemeingütern einzuschränken. Die Religion brachte die Menschen nicht nur nicht näher zusammen, sondern säte – durch den Kampf der Konfessionen, der über soziale wie wirtschaftliche Gräben hinweg geführt wurde – neue Zwietracht. Die Frage, wie man die gemeinsamen Ziele am besten erreichen solle, löste immer wieder bitteren Streit aus, da manche auf das Versprechen der Obrigkeit setzten, Missstände auf rechtlichem Wege abzustellen, während andere der Meinung waren, der gewaltsame Protest sei die einzig verbliebene Wahl. Der Adel respektierte bis zu einem gewissen Grad die religiösen Überzeugungen der Bauern – jedenfalls solange diese mit seinen eigenen