zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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Aber selbst das fürstliche Steuergeldgehalt eines Stadtregenten reichte nicht, um all das hier auszurichten, das bedurfte der Aufbesserung durch eine Apanage, eine königliche noch dazu. Prinzipieller Verweigerer der Gesellschaftsspalten, der ich war, hatte ich beim Namen Klausberger kein weibliches Bild vor Augen. Ich zimmerte mir die Vorstellung einer wohl bestallten Tochter aus gutem, nein: bestem Hause zurecht, Anfang fünfzig, blaues Blut, dachte ich und sah das adelige Einheitsgesicht vor mir auftauchen. Die Zeiten, da sich das Volk gegen überproportionale Überwucherung durch die aristokratische Kaste nur mit umstürzlerischem Schmäh zu behaupten und abzugrenzen wusste, waren passé. Zusammenrücken hieß es nun für die geschrumpfte Oberschicht, und wer glaubte, der allgemein vorherrschenden Unlust zum Kind dadurch begegnen zu müssen, weiterhin nur Seinesgleichen zu suchen und nur mit Seinesgleichen recht eng zusammenzurücken, durfte sich nicht wundern, dass alle irgendwann einmal gleich aussahen.

      Eine zierliche Gestalt Mitte dreißig öffnete auf mein Läuten. Ein Hausmädchen mit überraschend aparten Zügen.

      „Leimböck, Kriminalpolizei. Ist Frau Klausberger zuhause?“

      „Sie sprechen mir ihr. Sie wünschen?“

      Die weite Vorhalle verströmte dezente Klänge. Ambros war es nicht. „Mozart?“, fragte ich zaghaft. Musik als Einstieg, das zieht fast immer, dachte ich, da braucht es keine Absicht zum Aufriss, ein paar Takte als Vorspiel, geschickt gewählt, und schon bist du drinnen, im Gespräch natürlich – Musik und Kerzen als Begleiter in allen, nun ja, in diesem Fall nicht gerade Lebenslagen, überlegte ich weiter, aber letztlich läuft es auch hier auf ihn hinaus: den finalen Akt, bloß dass dem Klausberger Musik und Kerzen letzte Begleiter eines ungewollten Aktes sind, dem Aufriss aber das Vorspiel eines umso mehr gewollten. Und ein Vorspiel ist sie, die Musik, gewissermaßen auch hier, überlegte ich, ein gern empfangener Einstieg, der frisch gebackenen Witwe erst einmal beizubringen, was sie von nun an auf amtlichen Papieren in der Rubrik Familienstand anzukreuzen hat.

      Ein Zucken ihrer Mundwinkel, gefolgt von leichtem Anheben der Nasenflügel und Absenken der Augenbrauen, die nach innen wanderten und ihr Nasenbein in einer tiefen Falte enden ließen, verriet mir, was sie dachte. „Schumann, Sonate in g-moll, Opus zweiundzwanzig“, sagte sie spitz. „Aber deswegen sind Sie nicht hier, oder?“

      „Ich komme wegen Ihres Mannes“, sagte ich zaudernd.

      „Wenn Sie den suchen, der ist joggen an der Murpromenade.“ Ihr Pagenschnitt federte leicht, als sie den Kopf zur Seite warf und dabei offensichtlich auf eine Uhr außerhalb meines Gesichtsfeldes blickte. „Obwohl … er sollte schon hier sein.“ Aus ihren Augen blitzte gesellige Neugier, und sie schob ihren flachbrüstigen Körper in den Türstock. Ein Anflug begehrender Nahbarkeit lag in ihrem Blick.

      „Ich weiß“, entgegnete ich. „Er ist beim alten Bootshaus. Es tut mir Leid.“ Ich hielt kurz inne. „Er ist tot.“

      Witwe Klausberger antwortete mit erstarrendem Lächeln und einer langen Pause. „Hat ihn sein Herz im Stich gelassen?“, fuhr sie endlich fort. Sie stockte. „Sie müssen wissen, er bekam vor einem halben Jahr einen Bypass gelegt und hat erst vor zwei Monaten wieder mit dem Training begonnen.“

      „Nun ja“, zögerte ich. „Es war vielmehr ein Stich, den jemand in seinem Herzen hinterlassen hat. Er wurde ermordet.“

      „Jetzt hat er es endgültig übertrieben.“ Sie sagte es mit gedämpfter Stimme, ein geräuscharmes Spiel der Lippen, das gerade noch den Weg an mein Ohr fand.

      „Wie meinen Sie das, Frau Klausberger?“ Ich muss Sie das fragen, hätte Derrick ihr nun sonor entgegengebrummt, dachte ich. Stattdessen schwieg ich sie mit forschendem Blick an. Die bis vor wenigen Augenblicken noch herausfordernde Spannung ihrer Erscheinung war blitzschnell abgesackt. Ihre Antworten waren mit einem Mal ebenso knapp bemessen wie Bustier und Leggins, die das Relief ihres makellosen Körpers gegen das Safrangelb der hereinflutenden Morgensonne abzeichneten.

      Ich weiß nicht. Ja, andere Frauen. Nein, keine Namen. Nein, kein Verdacht. Ein wenig ergiebiger Wortrap, gleich jenen in Zeitungsinterviews oder Fernsehshows, den ich jeden Moment abzubrechen gedachte, um später noch einmal zu kommen. Die Augen auf den Boden aus weißem Ferraramarmor geheftet, schreckte sie jedoch mittendrin auf und warf mir einen verstörten Blick zu, als wäre sie soeben und unvermutet von einer langen Fahrt heimgekehrt.

      „Wir hatten ein Übereinkommen“, setzte sie langsam an, wieder in sich gekehrt. „Seit Jahren schon. Seit seiner dritten oder vierten Affäre. Meist irgendwelche Flittchen mit prallen Brüsten. Ich wollte nie wissen, wer sie waren. Das wäre nur noch demütigender gewesen, Sie verstehen?“

      Ich nickte. Klausberger hatte den Verlockungen, die sich einem Politiker bei abendlichen Terminen von Mal zu Mal an den Hals werfen, nicht widerstehen können. Obwohl er eine attraktive, um beinahe zwanzig Jahre jüngere Frau hatte. „Sie hätten ihn doch verlassen können“, wandte ich ein.

      Sie blickte erstaunt zu mir auf, als hätte ein Kind danach gefragt, wem die Sterne gehören, ließ ihre unsteten Augen an mir auf- und abgleiten, legte die Stirn in Falten, zögerte kurz und fuhr mit einem tiefen Seufzer fort, wie man ihn bei der Begegnung mit grenzenloser Naivität loslässt. „Es war erst vor ein paar Wochen in allen Zeitungen. Sie würden es ohnedies erfahren. Ich leite ein Architektenbüro. Innenarchitektur. Frank ließ seine Kontakte spielen und mir einträgliche Geschäfte zukommen. Zum Teil direkt über die Stadtverwaltung, zum Teil über Achsen in der Privatwirtschaft. Man warf ihm Ungereimtheiten bei der Auftragsvergabe vor.“

      Die königliche Apanage also. Als miserabler Medienkonsument in Sachen Politik hatte ich tatsächlich nichts davon gewusst. „War das auch Teil ihres … Übereinkommens?“

      „Wir wollten uns das Dreckwäschewaschen und eine Scheidung vor aller Augen ersparen. Die Öffentlichkeit reagiert sensibel auf solche Dinge. Im Gegenzug musste er sich erkenntlich zeigen. Die wenigen Journalisten, die von seinen Weibern wissen, hat er ruhig gestellt. Mit guten Storys oder notfalls auch anders. Das funktioniert, selbst wenn ein Landeshauptmann ständig seine Frau verprügelt. Sehr christlich und sehr sozial, eben christlich-sozial, finden Sie nicht?“

      Hatte ich mich eben noch gefragt, was eine Frau wie Barbara Klausberger mit einem Schmierenkomödianten wie Frank Klausberger zu schaffen habe, ergab sich nun ein neues Bild. Das zweier Karrieremenschen, die einander um den Preis eines zerstörten Privatlebens und auf Kosten der Allgemeinheit an die Spitze hievten.

      Die Sache mit dem Landeshauptmann war, zumindest in Polizeikreisen, auch in der Steiermark bekannt geworden. Die Kollegen des Mobilen Einsatzkommandos seien von besorgten Nachbarn in sein Haus gerufen worden, hieß es. Sie hätten durch geschlossene Fenster ihre Schreie und obendrein den Widerhall seiner Schläge gehört, hieß es. Danach war sie wochenlang von der Bildfläche verschwunden. Eine heimtückische Krankheit, hartnäckig, aber nicht lebensbedrohlich, hieß es. Offiziell. Alle wussten es und alle schwiegen darüber. Jedes Mal aufs Neue.

      „Politik und Medien verbinden besondere Formen der Übereinkunft“, hob Barbara Klausberger noch einmal an. Sie geriet mehr und mehr in Wallungen, ihr zierlicher Körper fand die Spannung wieder, jede kleine Bewegung setzte sichtbar ein Paket trainierter Muskel in Gang. Sie bebte, rang nach Luft, und aus ihrer Stimme sprach mit einem Mal tiefe Verachtung. „Eine Omertà. Schauen Sie über die Grenze, zu den Deutschen. Da gibt es in vielen Redaktionen Bluthunde, die Menschen wie meinen Mann bei lebendigem Leibe zerfleischt hätten. Bei uns wurde ein junger Radiojournalist gefeuert, weil er die Sache mit den Schlägen nach Jahren kollektiven Schweigens endlich an die Oberfläche zerren wollte. Die lange Hand, Sie verstehen?“

      Die lange Hand. Der lange Atem. „Joggen Sie auch“, fragte ich. Irgendwo musste dieser Körper schließlich herrühren, auch wenn es davon allein nicht sein konnte.

      Der blasse Schleier über ihren Augen war ganz plötzlich verflogen, die blau marmorierten Pupillen blitzten messerscharf auf. Einer Frau wie ihr konnte es nicht schwer gefallen sein, den hohlen Doppelboden meiner Frage abzuklopfen. „Nicht mit ihm. Wir gehen zur selben Zeit, jeder allein. Er an der Mur, ich im Leechwald.“ Sie hielt kurz inne, schien in den Tiefen ihrer Gefühlspalette zu wühlen und kramte einen leisen Hauch