zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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Erziehung darin zu hissen und meinen Unmut voll in Fahrt zu bringen. Privater Ärger hatte hier nichts verloren. Auch wenn es noch so schwer fiel. Vielleicht sollte ich doch einmal eines dieser Führungsseminare machen, schoss es mir in den Sinn, bei aller Abneigung und allem Misstrauen, das die Weisheiten von Verhaltensgurus in mir erzeugten. Kurz hatte einen neuerlichen Ausbruch meiner Unbeherrschtheit verhindert, ich sollte ihm dankbar sein. Nur die Art, mir Stillhofers Toilettengang unter die Nase zu reiben, war wenig erträglich.

      Sekunden danach waren wir komplett. „Es riecht nach Knochenarbeit“, hob ich an.

      „Das wird sich der Gerichtsmediziner auch denken“, warf Fauler ein. Stillhofer presste die Lippen aufeinander, um nicht loszuprusten. Kurz schluckte seine Heiterkeit demonstrativ hinunter.

      Ich gab einen raschen Überblick über das Gespräch mit der jungen Witwe Klausberger und warf das Holz in die Runde. „Und was habt ihr?“

      Kurz ergriff das Wort. „Nichts und viel zugleich. Zeugen gibt es keine. Mit Ausnahme der alten Dame mit dem Pudel, die ist jedoch halbblind, wie wir wissen. Auch die Bettler auf den nahen Brücken und die Tuchhändlerin wollen nichts bemerkt haben. Dafür haben wir am Tatort jede Menge Spuren gefunden. Zigarettenstummel, ein paar Papiertaschentücher, Präservative, aber die haben wir gleich wieder ausgeschieden. Der wird doch nicht …“ Er feixte.

      „Vermutlich“, warf ich ein, meinte aber: man weiß nie, und fuhr fort: „Wir sollten morgen früh jemand zur Promenade schicken. Wer Samstagfrüh joggt oder mit dem Hund äußerln geht, tut dies wohl auch am Sonntag. Vielleicht ist jemand dabei, der uns helfen kann.“

      Kurz nickte, machte sich eine Notiz und fuhr fort. „Es gibt Fingerabdrücke en masse auf beiden Metallgittern. Dazu Fußspuren hinter dem Gebüsch, das die Promenade vom Bootshaus trennt. Die meisten leider von der Witterung ziemlich verwischt. Ein Passant hat uns erzählt, dass erst vor ein paar Wochen ein großes Paddlertreffen stattgefunden hat. Da hat Hochbetrieb geherrscht dort unten an der Mur. Und wir haben die Daten von dreiundvierzig Schaulustigen. Wollen wir ausschließen, dass einer von ihnen der Mörder ist, der an den Tatort zurückgekehrt ist, müssen wir alle auf ihr Alibi überprüfen. Das kann Wochen dauern, es sei denn, wir bekommen ein paar Leute dazu. Vielleicht die von der Sitte, die kennen doch eh schon alle Nutten rund um den Griesplatz in- und auswendig.“

      „Ich weiß“, entgegnete ich. „Aber wir stehen bei null. Und deswegen müssen wir es tun.“ Mörder kehren oft an die Schauplätze ihrer Verbrechen zurück. Auch einer dieser alten Hüte, die sie uns bei Schulungen immer wieder aufsetzen. Weltweite Studien, meine Damen und Herren, mit Tausenden Belegen haben es gezeigt: Ein Mord ist eine Demonstration von Macht. Und wer Macht und Kontrolle über andere Menschen ausübt, will dies möglichst lange tun. Die Rückkehr an den Tatort gehört dazu. Vor allem, wenn die Leiche noch unentdeckt oder die Polizei gerade bei der Tatortarbeit ist. Der Täter will Macht aus­üben, auch bis weit über den Tod hinaus, vergessen Sie das niemals, meine Damen und meine Herren. Wie könnten wir. Wieder einer dieser Neugescheiten, denke ich jedes Mal, dachte ich nun. Die Rückkehr an den Tatort, wenn die Polizei an der Arbeit ist, hat er gesagt. Wenn sie ihre Hilflosigkeit unter Beweis stellt, hat er gemeint. Eine Hilflosigkeit, der einer wie er Abhilfe leisten kann. Und nur einer wie er, der Herr Kriminalpsychologe, der Herr Profiler zu Neudeutsch. Der so gerne an den Seelen seiner Mörder feilt. Und an unseren gleich mit dazu. Rückkehr bedeutet aber auch Dummheit, mein lieber Herr. Und der, hatte ich das unbestimmte Gefühl, würden wir im Fall Klausberger nicht begegnen. Zumindest nicht auf Seiten des Täters.

      „Ich kann jetzt mit Sicherheit sagen, dass der Mord minutiös geplant war.“ Faulers gepolsterte Mundwinkel umspielte ein entspanntes, triumphales Lächeln. „Auf der Stufe unterhalb des Gitters am Treppelweg stieß ich auf etwas, das mich stutzig gemacht hat. Öl. Schmieröl, um genau zu sein.“ Fauler legte eine Pause ein, blies kräftig aus und ließ die Schultern kreisen, gerade so, als wollte er sich in seinem Wissen suhlen.

      „Und? Weiter? Komm schon, Willi.“

      „Am Schloss des unteren Gitters ist manipuliert worden. Und die Scharniere wurden erst vor kurzem geschmiert.“

      „Woher weißt du das? Und was beweist das?“ Ich konnte ihm nicht folgen.

      „Willi meint, dass der Täter das Gitter geölt hat, um es geräuschlos öffnen zu können, wenn Klausberger mit dem Rücken zu ihm steht“, fuhr Kurz dazwischen. „Wir haben den Zeugwart des Paddlerclubs aus dem Bett geholt. Er hat gesagt, die Gitter seien seit Jahren nicht gewartet worden.“

      Ein schlüssiges Argument. „Was ist mit dem Messer?“, fuhr ich fort.

      Das Schrillen meines Handys gab die Antwort. Es war Sargo. „Mit dem Ding hätte man auch ein Schwein durchstechen können, Ferri. Neunundzwanzig Zentimeter ist die Klinge lang.“ Der Professor kam wie immer rasch und unverblümt zur Sache. „Bei einem Soletti wie dir wäre das Messer vorne glatt wieder rausgefahren. Und es ist so scharf, dass du damit ein Blatt Papier in der Luft teilen kannst.“

      Soletti. So haben sie mich in der Schule gerufen. Der lange Leimböck, der ungelenke Hüne, der schlaksige Soletti-Ferl, der beim Hochsprung die Einszwanzig nicht schafft. Nicht im Scherensprung, nicht im Kreuzschnepper, nicht im Tauchroller. Und im Flop schon gar nicht. Und das bei der Beinlänge. Woher weiß Raul davon? Oder hat er einfach nur Soletti gesagt, weil er Soletti gemeint hat und nicht Leimböck? Ich war verunsichert. „Was ist mit der Gravur, Raul?“

      „Bin ich Sprachforscher oder Totenschuster? Aber es gibt etwas anderes, das dich interessieren wird. Jemand hat dem Klausberger kräftig die Eingeweide massiert. Ich würde sagen, unser Mörder.“

      „Die Eingeweide?“

      „Um es fachlich zu sagen: Er hat ein massives Hämatom im Genitalbereich, an den Rändern stark blutunterlaufen. Ein fester Tritt mit festem Schuhwerk, würde ich meinen. Von hinten durch die gespreizten Beine, würde ich meinen. Sieht nach einem Abschiedsgruß ins Jenseits aus, du verstehst?“

      „Ein Abschiedsgruß? Aber er könnte doch genauso gut auch vorher …?“

      „Kaum“, unterbrach mich Sargo. „Keinerlei Abwehrspuren am ganzen Körper, nichts, was auf einen Kampf hindeutet.“ Genau wie Michelin es schon vermutet hatte, dachte ich. „Unter den Fingernägeln scheint nur der übliche Schmutz zu sein. Die Auswertungen dauern noch an, aber es sieht nicht danach aus, dass es was bringt. Daher glaube ich, dass er getreten wurde, als er das Messer bereits im Rücken hatte. Übrigens mitten ins Herz. Von einem Zufallstreffer weit entfernt, weil punktgenau, du verstehst? Ein Meisterstich, würde ich meinen.“

      „Danke Raul.“ Meine Verwirrung war komplett. Schmieröl. Meisterstich. Abschiedsgruß. Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten? „Raul meint, der Stich sei perfekt gewesen“, sagte ich. „Und unser Mörder hat, wie es aussieht, dem Klausberger kräftig in die Eier getreten. Nach der Tat.“

      Zur Spannung in den Gesichtern meiner Kollegen gesellte sich breite Ratlosigkeit. „Sieht nach einer Liebesgeschichte aus, meint ihr nicht?“ Kurz sprach den beherrschenden Gedanken als Erster aus.

      „Wer kann so hassen, wenn nicht ein gehörnter Ehemann“, warf Michelin ein. „Oder eine Liebhaberin, der Klausberger den Laufpass gegeben hat. Oder deren Zuneigung er verschmäht hat. Ein Auftragskiller scheidet aus, der würde nicht zutreten.“

      Kurz nickte.

      „Wir müssen seine Sekretärin befragen. Barbara Klausberger meint, sie wüsste Bescheid über seine Liebschaften“, warf ich ein. „Sie glaubt, dass irgendeines seiner, wie hat sie so schön gesagt, Flittchen mit prallen Brüsten damit zu tun hat.“

      Stillhofer senkte den Kopf, die Augenlieder für einen langen Augenblick nach unten gedrückt, was soviel hieß wie: Das übernehme ich. Er hatte die ganze Zeit über geschwiegen. „Wer sagt uns, dass das Motiv hier zu suchen ist“, hob er nun an. „Vielleicht war es kein Mord an Frank Klausberger, sondern am Stadtrat Klausberger.“

      Schon wieder diese absurde Geschichte mit dem politischen Motiv. „Der Kurze denkt das auch“, sagte ich. „Das klingt mir fast nach Robin-Hood-Mythos. Frank