zuadraht. Werner Kopacka

Читать онлайн.
Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



Скачать книгу

ich, eine lange geplante Tat zu erkennen. Eine Inszenierung. Die Lage des Toten, das Messer mit fernöstlichen Schriftzeichen. Dennoch hatte mich der Gedanke mit dem zweiten Jogger fest im Griff. „Sie könnten sich gekannt haben. Was ist, wenn sie gemeinsam Frühsport gemacht haben?“

      „Na, das werdet ihr wohl rauskriegen, Ferri.“

      Natürlich würden wir, das schien doch eine der leichteren Übungen zu sein. Womöglich eine zu leichte, dachte ich nun. Ermordet man einen Politiker, um sogleich als sein Joggingpartner entlarvt zu werden? Langsam fand ich mich wieder. „Es könnte auch jemand gewesen sein, der sich als Spaziergänger getarnt hat. Einer, der gewusst hat, wo Klausberger seine Rast einlegt und sich die Zeit gut eingeteilt hat.“

      „Klar. Aber dann hätte er riskiert, gesehen zu werden. Von anderen Joggern, oder auch von der alten Dame da hinten auf der letzten Steinbank, die mit dem Pudel.“

      „Wohl kaum.“ Es war die Stimme meines Stellvertreters Kurz, die mit einem Mal zwischen Michelin und mir stand. Kurt Kurz. Er hatte sich bis dahin lauschend im Hintergrund gehalten. „Sie hat die Leiche entdeckt, steht unter Schock und bringt kaum ein Wort heraus. Nur soviel, dass sie niemanden gesehen hat. Aber das heißt nix.“

      Kurz sah das erwachende Erstaunen in meinem Gesicht. „Wie meinst du das?“

      „Schau dir ihre Brille an. Panzerglas. Sie hat nicht einmal das Messer in seinem Rücken bemerkt.“

      „Bitte sie trotzdem am Vormittag ins Paulustor zu kommen. Vielleicht fällt ihr bei der Niederschrift doch noch etwas ein.“

      Das leise Plätschern der Mur fing mich wieder ein. Und mit ihm ein aufgeregtes Schnattern. Ich tat ein paar Schritte an die Uferböschung, kauerte mich nieder, legte den Kopf zur Seite, das Kinn auf die rechte Schulter gepresst, als wäre sie mein Gefieder. Vielleicht seid ihr meine einzigen Zeugen, dachte ich. „Quaak, quaak quak quaaaak?“ Entenmutter und Entenjunge antworteten nicht. Ihr Schnabelspiel war mit einem Mal versiegt, ihre plötzliche Teilnahmslosigkeit schien geradezu aufgesetzt. Als wollten sie mich verhöhnen. Leimböck ist kein übler Name. Doch warum heiße ich nicht Dr. Doolittle? Nur jetzt und nur hier? Als ich wieder hochkam, lag Kurz’ spöttischer Blick auf mir. Er rang sichtlich nach einem Kommentar, und ich nahm ihm die Last der Anstrengung ab. „Ja, ich spreche mit Paradeisern. Und mit Enten. Man darf nichts unversucht lassen, hat dir das noch keiner gesagt?“

      Ich kramte in der Sakkotasche nach einem der drei Reiseparadeiser, als es mir plötzlich in den Sinn kam. War es nicht auch denkbar, dass die Messerattacke gar nicht gezielt gegen Klausberger gerichtet war? Frank Klausberger als Zufallsopfer, gestorben durch die Hand eines irren Messerstechers? Das hieß allerdings auch, dass wir jederzeit mit weiteren Opfern zu rechnen hatten. Ein Wink des Schicksals, der ausnahmsweise einmal nicht den Falschen abberufen hat, dachte ich. Spinnst du, Ferri, schoss es mir im nächsten Augenblick ein. Lass deine Abneigungen aus dem Spiel. Du ermittelst im Mordfall am Menschen Klausberger, egal, wie sehr oder wenig das Verbrechen politisch oder persönlich oder wie auch immer motiviert war. Ein Spaziergänger, der einen Jogger niedersticht einfach aus Jux und Tollerei und vielleicht, weil gerade Samstagfrüh ist? Das ist doch absurd, Ferri, und daher wirst du es auch nicht zur Sprache bringen, nicht, solange nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, um keinen Deut früher und auch dann nur vielleicht.

      Noch einmal beugte ich mich an Michelins Seite. „Was glaubst du, Willi, seit wann ist er tot?“

      Michelin winkte mich ganz dicht heran. „Siehst du seine Augen? Die Hornhaut. Sie hat gerade erst begonnen sich einzutrüben. Das passiert cirka eine Dreiviertelstunde post mortem. Wären die Augen zu, könnte es einen ganzen Tag dauern. Dazu kommt, dass er kaum Leichenflecke hat. Zum Beispiel am Hals. Und auch noch keine Anzeichen von Starre. Dass die Haut abgekühlt wirkt, täuscht. Das ist der frische Morgen. Ich würde sagen: eine gute Stunde.“

      Es war halb neun. An den Absperrungen, zu beiden Seiten der Promenade errichtet, hatten sich kleine Menschentrauben gebildet. Dọ geht a Raunen durch die Leid, und a jeda họd sei Freid. Ja, Wolferl, dachte ich. Die Spechtler und Schauer. Die üblichen Verdächtigen. Die ersten, die heute Abend vor den Fernsehern kleben und morgen die Zeitungen aus den Sonntagsständern stehlen. Aber wäre ich anders, käme ich durch Zufall vorbei? Ich schrieb, erst zur einen, dann zur anderen Seite gerichtet, mit der Rechten Wellenlinien in die Luft vor die offene, mir zugewandte Handfläche der Linken. Die Kollegen an den Sperrbändern hatten verstanden und begannen, die Daten der Umstehenden aufzunehmen. Man weiß nie. Wer sich jetzt davonmachte, war erst recht suspekt.

      „Übernimm du wieder“, wandte ich mich an Kurz. „Wir treffen uns um halb zwölf zur ersten Lagebesprechung. Ich übernehme die Witwe Klausberger. Ich meine, die Verständigung. Das freut sowieso keinen. Und ich kann ihr gleich ein paar Fragen stellen. Oder hast du Lust?“

      Kurzes Kopfschütteln.

      „Und vergesst mir die Bettler nicht. Und die Fetzentandlerin, du weißt schon, die Tuchverkäuferin, vorne auf der Tegetthoffbrü…“

      „Ich weiß“, fuhr Kurz dazwischen. Seine Stimme klang gereizt. „Man weiß nie.”

      Ich bahnte mir den Weg durch die Menge der Gaffer und wollte zurück zu meinem Wagen, entschied mich jedoch anders und marschierte über den Joanneumring zur Pestsäule am Eisernen Tor. Ein kleines Frühstück in einem der Straßencafés in der Herrengasse würde gut tun. Auch wenn sie mir unverschämt viel Geld dafür abnähmen. Die ersten Sonnenstrahlen würden gerade über die Dächer hereinbrechen und ich wollte mir noch ein paar angenehme Momente gönnen, ehe ich zur Witwe Klausberger fuhr. Schöne Herbstmorgen wie dieser überzogen die Stadt mit südländischem Flair. Das muntere Klingeln der Fahrradglocken; Straßenbahnen auf der Pirsch, deren Niederflurwagen geräuschlos heranschlichen; metallenes Klacken genagelter Schuhe, die ein wallendes, schwarzes Cape in geschäftigen, männlich festen Schritten davontrugen; und als Grundton von alledem Akkordeon und Gitarre, Klänge der Provence, wie es schien, zwei Straßenmusikanten, die sich in Virtuosität verstanden, nicht aber darin, diese in mehr als das Nötigste fürs Leben umzumünzen, was ein rascher Blick in die leere Weite ihrer geöffneten Instrumentenkoffer verriet. Noch bevor ich die Herrengasse erreicht hatte und den Rauch aus dem Metallkessel emporsteigen sah, schlug mir der süßliche Geruch gebratener Maroni entgegen. Ein junges Paar ließ sich ein Stanitzel geben. Ich werde es nie verstehen, dachte ich. Maroni am Morgen, ein Bauch voller Sorgen. Der bloße Gedanke daran ließ die schrumpeligen Früchte zur amorphen Massen in meinem Mund aufquellen. Meine Backen blähten sich auf, ganz von selbst. Ein kleiner Espresso würde genügen, der postrauschale Appetit war wie verflogen.

      Die Buchhandlung am Eck. Ferris elfter Geburtstag stand in wenigen Tagen an. Der Schmöker über Heraldik, den er sich so sehnlich wünschte, müsste längst da sein. Bis dahin würde Rosa mit den Kindern zurück sein. Du wirst Ferri doch nicht ohne weiteres die Schule schwänzen lassen, Rosa, oder doch? Die Hand bereits an der Glastür, wich ich wieder zurück. Private Erledigungen in der Dienstzeit, meine Herren. Mein Standardsatz, erwische ich einen. Polizeibeamte, die Versicherungen verkaufen oder den Kollegen schwindelige Pensionsmodelle andrehen, anstatt dem nachzugehen, wofür sie bezahlt werden. Nichts hasse ich mehr. Das halbe Berufsleben meines Vaters ist eine einzige private Erledigung gewesen, dachte ich. Zugbegleiter bei der Bahn, dreißig Jahre lang untätig dasitzen und warten, dass der Schaffner tot umfällt, um an seine Stelle treten zu müssen. Sonst nichts. Die halbe Zeit hat er damit zugebracht, in seinem Abteil privaten Erledigungen nachzugehen. Oder darüber nachzudenken, dass ich meinen Krankenstand in diesem Jahr noch gar nicht aufgebraucht habe. Ja, Vater, du und deine Scherze. Die haben dir zehn Jahre bezahlten Urlaubs und mit Fünfzig die Frühpension eingebracht. Dafür hasse ich dich. Auch dafür. Aber nicht alle sind wie du, Vater, und ich habe mir geschworen, wie jene zu sein, die nicht alle sind.

      War nicht heute mein freier Tag? Beinahe hatte ich es vergessen. Zwar hatte der Feichtlbauer mich in Dienst gestellt, aber letztlich wäre es mein freier Tag gewesen. Und wäre dieser Stadtrat nicht zum Joggen gegangen, könnte er noch leben und ich ruhigen Gewissens diese Buchhandlung betreten. Ich würde sie betreten. Das musste drin sein. Klausberger war es mir schuldig. Auch Tote haben Schulden.

      Ich ließ das Buch nur lose in