zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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Dienst unserer Leser, sagt der eine. Immer im Dienst unserer Seher, sagt der andere. Immer im Dienst der Spechtler und Schauer, sage ich. Der Hunger nach jeder Leiche plagt die Vögel, und nach jeder Leiche plagt die Vögel der Hunger, bis sie dann einfallen, spätnachts, beim Bertl in der Theaterstubn, wo die beste Küche herrscht zu dieser Stunde in dieser Stadt. Der Kameramann und der Fotograf spätnachts im Doppelpack, weiß der Bertl, verheißen nix Gutes, wenn er sie auch fragt, der Bertl, wo ’s denn wieder a Leich gibt, mehr aus Höflichkeit, wie der Bertl betont, und sie es ihm erzählen. So brühwarm, wie die meisten Toten auch noch sind, wenn sie, die Totenvögel, an ihrer Seite auftauchen, durch irgendeine gottverdammte Indiskretion von einem Telefonanruf aus rauchigen Beisln geholt, und nur selten aus ihren Betten. Sie erzählen dem Bertl davon, in allen Einzelheiten und um alle erdenklichen Gerüchte bereichert, die frische Leichen und ungeklärte Umstände eben nach sich ziehen, weil das Fleisch, wie sie zum Bertl sagen, umso weicher auf den Teller muss, je härter die Leich gewesen ist, sagt der Bertl freimütig, das Gespräch erst einmal auf die Vögel gelenkt. Ist es besonders blutig hergegangen: Steak, rare. Wir servieren dir das jüngste Gerücht, Bertl, und du uns das jüngste Gericht, sagen die Vögel. Und dann beuteln sie sich vor Lachen, jedes Mal aufs Neue, und sie aalen sich in seinem Zucken und weiden sich am stillen Schaudern, das diesen zweischichtigen Glanz aus Sich-nicht-vorstellen-Wollen und Nicht-weghören-Können über seine Augen legt. Seine von Rauch und später Stunde ermüdeten Augen. Die einen essen, die anderen singen. Es ist ein fester Brauch der Vögel.

      „Harte Nacht gehabt?“ Die Worte des Streifenpolizisten schlugen mir in kleinen Wölkchen entgegen, von musternden, mein zerzaustes Haar durchwühlenden Blicken begleitet. Er war ein gedrungener Kerl, dessen breiter Uniformgürtel, um drei Löcher zu eng geschnallt, den Oberkörper in streng nach oben klaffende Birnenform zwang und die stechenden Schweinsaugen noch stärker als sonst aus dem konturlosen, pausbäckigen, leuchtturmroten Gesicht seines winzigen Insektenkopfes abspringen ließ. Ein Insektenköpfchen auf massigem Oberkörper, Drehverschluss einer aufgeblähten Thermosflasche, die jeden Moment zu platzen drohte.

      Ein leises Knurren kam über meine Lippen. „Kurz.“

      „Ja. Der Kurz ist auch schon da. Und mit ihm die gesamte Spurenvernichtungskommission.“

      Da sind wir wohl ein bisschen lustig zu früher Stunde, werter Kollege, mit einer Vorwitzigkeit, dachte ich, die deinem debilen Grinsen an Unerträglichkeit um nichts nachsteht, auch wenn die von der Spurensicherung in der Tat der einen oder anderen Formschwankung unterworfen sind, weil ja nicht immer im Dienst ist, wer auch der Beste ist. Aber einem jungen Hupfer wie dir, Herr Kollege steht es dennoch nicht an, da­rüber zu befinden, und über Unaufgeräumtheit und natürliche Widerborstigkeit meines Haupthaares schon gar nicht.

      Ich hatte die vergangene Nacht herbeigesehnt im festen Glauben an einen dienstfreien Samstag und in der Hoffnung, zu Hause mehr Schlaf und weniger Alkohol zu finden als in den Tagen zuvor. Rosas knappe Notiz auf dem Anrufbeantworter hatte sie zunichte gemacht: Ferri, ich bleib mit den Kindern bei Mutter. Ruf bitte nicht an, ich brauche Zeit. Und schau auf dich. Das hatte ich bis vier Uhr früh getan. Mit Wolferl und Jack, Ambros und Daniels. Dazu ein Blaufränkischer, Mittelburgenland, Barrique, Siebenundneunziger, aus Rosas Beständen und ein Jahrhundertjahrgang, wie ihre Brüder nicht müde werden zu betonen. Eine Perle, sagen sie immer, und lassen in der Betonung des Wortes Perle mitschwingen, was auch in ihren Augen vibriert: Eine Perle, die man nicht vor einen Kriminalbeamten werfen dürfe, auch wenn oder gerade weil er der Schwager sei. Über dem Versuch, ein paar Zeilen an Rosa zu richten, war ich letztlich eingeschlafen. Bis mich das metallene Schnurren des Telefons zurückholte. Rosa.

      „Schön, dass du anrufst.“

      „Glaubst du? Wir haben ein Riesenproblem.“

      „Ich weiß, aber lass uns zu Mittag darüber reden.“

      „Zu Mittag?“ Rosas Stimme verlor, je mehr ich zu mir kam, ihren vertrauten, hellen Klang. Schnarrend, nasal und dumpf war sie mit einem Mal. „Unser Riesenproblem liegt an der Murpromenade und heißt Frank Klausberger!“

      „Klausberger? Ich dachte, der wohnt am Hilmteich. Außerdem … willst du in aller Herrgottsfrüh mit mir über Politik sprechen, Rosa?“

      „Bist du nicht ganz bei Trost, Leimböck? Klausberger hat ein Messer im Rücken und ist tot!“

      Das Schnarren in der Leitung formte sich vor meinem geistigen Auge zum Gesicht. Was ich sah, durch den allmählich sich lichtenden Nebel der vergangenen Stunden, war nicht erfreulich. Nicht an meinem freien Tag, nicht um halb acht in der Früh und schon gar nicht nach solcher Nacht. Unter der Nasenspitze prangte ein sichelmondförmiger Schnurrbart. Die Visage von Kripo-Chef Feichtlbauer. „Ich komme, Franz.“

      Seitdem waren keine vierzig Minuten vergangen. Ich war in die Kleider des Vorabends geschlüpft, hatte noch zwei Teppiche auf Parkettbodenverlaufslinie zu bringen und die Falten des Couchüberwurfes zu glätten gehabt, Wolferl und das, was von Jack übrig war, zu verstauen und in meinem Vorgärtchen die Überbleibsel der Jahresernte meiner russischen Reiseparadeiser zu gießen. Drei von ihnen hatte ich in die rechte Außentasche meines Sakkos gleiten lassen. Für unterwegs, weil es für unterwegs keine Besseren gibt, sage ich auch den Kollegen, und weil jede einzelne Frucht ein Kunstwerk für sich ist, Komposition eines Büschels kleiner, verwachsener, ovaler Cocktailparadeiser, leicht zu brechen, ohne die verbleibenden zu beschädigen, patzfrei und ideal für unterwegs. Und säuerlich saftig obendrein, ideal für diesen Morgen also, im Freiland spät reifend und von guatemaltekischen Indios erstmals kultiviert. Mein Indio ist der Stipsits Franz, Paradeisbauer in Rosas Heimatort. Er hat mir die Samen geschenkt, von mir dann fein säuberlich geordnet, nach Größe, farblicher Schattierung, und bis zur Aussaat in einem Eck der Küchenkredenz aufbewahrt. Weil jede Ordnung ihr System und ihre Zeit braucht, Rosa, verstehst du das denn nicht?

      Ich wandte mich an den Insektenkopf. „Wo liegt er?“

      „Unten am Treppelweg, auf einer der Betonbänke vor dem Bootshaus. Am besten gleich da die Stufen hinunter.“

      „Wer hat die Stiege bisher benutzt?“

      „Niemand, außer dem Rainer Fritz und mir. Wir waren ganz in der Nähe, als wir den Funkspruch aus der Leitstelle aufgefangen haben, und die ersten am Tatort, noch vor dem Notarzt und den Sanitätern. Ach ja, die sind auch da runter. Und der Kurz.“

      „Ich werde Ihre allfällige Bewerbung unterstützen.“

      „Meine allfällige Bewerbung?“ Das anmaßende Grinsen des Streifenpolizisten war fragender Überraschung gewichen.

      „Ihre allfällige Bewerbung zur – wie haben Sie so treffend gesagt? – Spurenvernichtungskommission. Wer bei einem Kapitalverbrechen, und darum scheint es sich dort unten nun doch zu handeln, einen möglichen Fluchtweg des Täters durchlatscht und in einen Trampelpfad von Trugspuren verwandelt, ist ein Naturtalent. Alles nachzulesen in ,Der idiotenfreie Tatort – Vision oder Wunschdenken?‘. Ein Standardwerk, Herr Kollege.“

      Das hüfthohe Gitter am oberen Treppenabsatz war verschlossen. Wer auf direktem Wege ans Murufer wollte, musste drüberklettern und sich mit zumindest einer Hand abstützen. Vielleicht der Ansatz einer Spur. Eine schmale Steintreppe führte am alten Bootshaus des Grazer Paddlerclubs vorbei, mündete in ein zweites, bauartgleiches Gitter und endete in dem geschotterten Treppelweg am Flussufer. Dort unten musste es sein. Ich wollte noch kurz an der Straße verharren und die schattenhaften Konturen beobachten, die sich am Treppenvorplatz gegen das Murwasser abzeichneten, keine zwanzig Meter von meinem Beobachtungsposten entfernt. Sie bewegten sich auf engem Raum geschäftig hin und her.

      „Sorgen Sie dafür, dass nicht noch einer das Gitter antapst“, wies ich den jungen Beamten an. Dann kehrte ich ihm den Rücken und schlenderte los. Ich wählte den Umweg über den altstadtseitigen Kopf der Radetzkybrücke, um dort ans Ufer der Mur zu gelangen. Dem da unten würde es egal sein, er hatte jetzt alle Zeit einer anderen Welt. Mir jedoch war die Gelegenheit eines kleinen Spazierganges willkommen. Bei jedem Atemzug sog ich meine Lungen voll mit frischer, klarer Oktobermorgenluft. Das Umfeld eines Tatortes und dessen Atmosphäre aufnehmen. Irgendwo hatte ich diesen Satz einmal gelesen, ihn nie wirklich befolgt und doch bei jeder Gelegenheit