zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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für mich selbst; um nachdenken und vieles in meinem Leben ordnen zu können. Dazu kommt der Frust. Ich fühle mich wie Don Quichotte, der gegen Windmühlen kämpft. Man zeigt immer wieder Missstände auf, aber letztendlich schreibt man gegen den Wind.

      Siehst du, es geht ja doch. Langsam, keine Eile. Wir haben viel Zeit. Was sagst du zu meinen Formulierungen? Könnten von dir sein. Richtig?

      „Ich schreibe ja, verschone mich mit deinen Selbstbeweihräucherungen. Die Schmerzen sind höllisch, ich weiß nicht, ob ich es noch lange schaffe.“

      Denk an den Zeigefinger, dann wird alles gleich viel erträglicher. Also weiter: Es stimmt, ich schaffe es mit immer neuen Enthüllungen, gelesen zu werden, aber wirklich verändert habe ich damit kaum etwas. Ich pinkle unfähige Politiker zwar ständig an, aber letztendlich scheißen sie mir auf den Kopf. Jetzt reicht es mir. Ich habe mich entschlossen, einen völlig neuen Weg einzuschlagen. Bitte sucht nicht nach mir, ich befinde mich an einem Ort, an dem ihr mich nicht finden werdet. Von hier aus starte ich meine Aktionen und von hier aus werde ich dich auch ständig mit Kolumnen beliefern. Sie sind – wie du bald merken wirst – brandheiß. Und sie werden, das garantiere ich, die Verkaufszahlen unserer Zeitung gewaltig in die Höhe schnellen lassen. Wir werden uns nie mehr wiedersehen, aber du wirst von mir regelmäßig hören. In alter Freundschaft, dein Martin. Punkt, Ende.

      „Okay, ich hab’s getan und es ist mir völlig egal, was damit geschieht, bindest du mich jetzt los? Ich spüre meine Beine nicht mehr und die Hand ... Nimm den verdammten Daumen vom Tisch weg, ich kann ihn nicht mehr sehen.“

      Geduld. Bewundere doch die Perfektion meines Planes. Bisher ist alles so verlaufen, wie es verlaufen sollte. Gewissenhafte Arbeit führt eben zum Erfolg. Und dieser steht in seiner ersten Phase unmittelbar bevor. Was du erlebt hast, war erst das Vorgeplänkel.

      „Du hast jetzt alles, was du wolltest. Lass mich aufstehen, ein paar Schritte gehen und dann lass mich schlafen. Ich will nur schlafen. Bitte. Ich flehe dich an, ich knie sogar vor dir!“

      Plötzlicher Gehorsam? Untertänigkeit? Nur weil Herr Hanser um einen Daumen weniger hat? Soll ich das tatsächlich glauben? Mein ursprünglicher Plan sieht vor, dich auf dem Sessel sitzen zu lassen, bis ich von meiner Mission zurückkomme. Mitleid ist darin nicht vorgesehen. Mitleid ist Schwäche, und Schwächen darf ich mir keine leisten.

      „Aber dort drüben, da steht ja ein Bett.“

      Später, das ist für später. Du wirst noch sehr lange mein Gast sein.

      „Wie spät ist es, wie lange bin ich schon hier?“

      Zeit hat für dich keine Bedeutung mehr. Lass sie einfach über dich ergehen. Deine Zeit gehört jetzt mir, und ich werde sie in deinem Sinne nutzen. Alles ist genau geplant, die Summe intensiver Recherchen, Studien und Beobachtungen. Das Beobachten war schon immer meine Stärke, bevor du mir das Leben versaut hast.

      „Ich habe dein Leben nicht versaut, wie sollte ich, ich kenne dich ja überhaupt nicht. Das ist doch Wahnsinn. Wer bist du, was hab ich dir getan?“

      Du wirst alles erfahren. Und wir werden uns auch ausführlich über den Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit unterhalten. Gerechtigkeit ist das, was in wenigen Stunden passieren wird. Und es wird gleich eine doppelte Gerechtigkeit sein. Ich werde versuchen, sie dir so detailgetreu wie möglich zu schildern. Das schulde ich dir. Du wirst zwar nicht dabei sein, trotzdem aber die Hauptrolle spielen. Unser gemeinsamer Freund Klausberger befindet sich zurzeit auf einer kleinen Party und trinkt wahrscheinlich gerade seine dritte Weißweinmischung. Mehr konsumiert er selbst bei den berauschendsten Feierlichkeiten nicht. Als zwar schlechter Mathematiker, aber doch kühler Rechner weiß er um die Bedeutung eines klaren Kopfes bei öffentlichen Auftritten. Die Fete gilt einem Schulkollegen, der in einem Innenstadtlokal seinen 50er feiert. Frank Klausberger wird, wie immer in solchen Fällen, gegen 23 Uhr seinen Chauffeur anrufen und sich im Dienstwagen nach Hause fahren lassen. Er wird bis 6.30 Uhr schlummern. Dann wird er seinen Trainingsanzug überstreifen und sich auf seine tägliche Jogging-Runde begeben. Fünfeinhalb Kilometer die Mur entlang. Um 7.10 Uhr legt er beim Bootshaus des Paddlerklubs eine kurze Rastpause ein und entspannt sich, wie immer, mit lockeren Stretching-Übungen. Dabei wendet er dem Gebäude den Rücken zu. Sein Mörder wartet im Schatten des alten Bootshauses, bis die Luft rein ist und keine anderen Jogger in der Nähe sind, dann tötet er ihn mit einem gezielten Stich ins Herz. Das Messer steckt in der Leiche, und man findet am Griff eindeutige DNS-Spuren. Noch kann man sie nicht zuordnen. Die Kripo sucht verzweifelt nach Tatzeugen, aber es gibt keine. Am nächsten Morgen liest Graz allerdings die Hanser-Kolumne. Und selbst die größten Trottel in der Mordgruppe erkennen plötzlich den Zusammenhang. Hanser ist verschwunden, hat sich mit einem seltsamen Brief von seinem Chef für immer verabschiedet, in seiner Wohnung und in der Redaktion gibt es Unmengen von DNS-Material. Dieses wird mit dem vom Tatort verglichen, und siehe da – man hat den Täter! Dich!

      „Jeder, der mich kennt, jeder weiß, dass ich so etwas niemals tun würde. Ich bin ein Journalist, kein Mörder.“

      Und du säufst. Wodka, habe ich Recht? Jeder in deiner Redaktion weiß, dass du die Flasche brauchst, um deine Kolumne schreiben zu können. Es ist schlimmer geworden in letzter Zeit, stimmt’s? Mehr Flasche. Alkoholiker. Nicht ganz, aber schon fast. Bisher knapp an der Grenze, plötzlich darüber. Sie trauen es dir zu, ich hab mit deinen Kollegen geredet. Der dreht eines Tages durch, haben sie gesagt. Der Stress, jeden Tag ein Thema zu finden, ist für jeden Kolumnisten mörderisch. Der Hanser hat durchgedreht, keinen wundert’s. Recht und Gerechtigkeit – da ist sie, die Gerechtigkeit! Dein Leben ist im Arsch. So wie es meines war. Durch dich.

      „Durch mich? Was hab ich getan? Ich flehe dich nochmals an, bitte, sag es mir. Es kann sich nur um ein Missverständnis handeln, wir können alles aufklären, hier, den ganzen Wahnsinn, ich will weg, bitte lass mich weg.“

      Ein winselnder Wurm. Wie oft hab ich mir den großen Killerschreiber in dieser Rolle vorgestellt. Alles beobachtet, alles notiert, alles geplant. Jetzt winselst du und ich empfinde gar nichts. Ich weiß nur, dass ich besser bin als du. Es wahrscheinlich immer schon war. Ich war immer schon besser als die anderen. Ich hätte es ihnen damals schon beweisen können, wenn du mich nicht vernichtet hättest. Jetzt muss ich es eben auf andere Art beweisen, und du bist mein Instrument dazu. Dafür wirst du auch der Einzige sein, der am Ende die Wahrheit kennt.

      *

      „Dipi … di dípi dipi dípi dipi … düüü, düdl düü dü düüü düü … dü düdl düdl düüü … düdl düüü dü düüü düü … dü düdl düdl düüü … düdl düüü dü düüü düü … dü düdl düdl düüü … düdl düüü dü düüü düü … dü düdl düdl … Schau, dọ liegt a Leich im Rínsäu, ’s Bluad rinnt in Khanäu. Hęast, des is makháwa, dọ liegt jọ a Khadáwa. Węa is’n des, sọg kennst du den, bei den zaschnídnen Gsicht khån i des ned sęgn … düdl dü düd, düdl dü düd, düdl dü düüüü.“

      Selbst wenn ich es zu verhindern versuchte, ginge es nicht. Ich muss es tun. Unweigerlich und jedes Mal. Es ist, wie soll ich sagen … „Da Họfa wọa’s, vom Zwánzgahaus, dẹa schaud ma so fadéchdig aus, da Họfa họd an Ånfọi griagd und họd de Leich dån“ … es ist fester Brauch des Lebens und fester Brauch des Sterbens … „massagríad, düdl dü düd, düdl dü düd, düdl dü düüü“. Man muss feste Bräuche haben. Als würde nicht bloß das eine das andere bedingen, sondern auch das andere das eine, Sie verstehen? Das Lied und der Tod, der Tod und das Lied, sie sind eins. Fahre ich in Richtung Tod, singe ich das Lied. Ich singe mich dem Tod entgegen. Glaube ich mich ungesehen, lauthals. Spotten mir forschende Blicke, aus offenen Wagenfenstern oder von nahen Gehsteigen und Zebrastreifen hergeworfen, leishals. Worte und Melodie presse ich dann als Bauchsänger durch gefletschte Zahnreihen. Singe ich, so gleiche ich darin diesen beiden merkwürdigen Vögeln. Ah, die Patrouille.

      Ich ließ meinen Wagen auf dem Gehsteig des Marburger Kais fallen, gerade dort, wo blaues Licht die fliehenden Reste der schwarzen Luft durchschlug, als könnte es, das blaue Licht, dachte ich, wie der flackernde Laternenschein an den hoch aufgeschossenen Altstadthäusern auch, antreten zum sinnlosen Wetttanz gegen die