zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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wir hier verbracht, Hände haltend, leise Zärtlichkeiten austauschend. Gemeinsam durchlebte Stille und Sprachlosigkeit ohne den schmerzhaften Beigeschmack von heute. Die Bänke unter dem Paddlerhaus waren ein Geheimtreff, damals zur Mitte der Achtziger. Es waren jene Wochen und Monate, da Filteranlagen in den Zellstofffabriken Pöls und Gratkorn erstmals der Mur ihren widerwärtigen Mundgeruch genommen hatten, jenen bestialisch stinkenden Schleier, der bis dahin mit der Strömung durch die Stadt geschlichen war und nur die Verwegensten oder Sinnesärmsten am Flussufer hatte verweilen lassen. Zu jener Zeit war das alte Paddlerhaus noch ein Geheimtreff für Liebende, heute ein Tummelplatz mit Schichtbetrieb.

      Was um alles in der Welt also soll einer wie der Frank Klausberger zu dieser Stunde da unten verloren haben, außer seinem Leben? Ein Mord an einem alternden Stadtpolitiker an einem Treff für Jugendliche an einem Samstagmorgen, na na na, was nicht heißen soll, dass hier nicht gemordet wird, dachte ich, Graz ist bei dieser Art von Kultur Hauptstadt wie andere auch, aber wer, sage ich, soll Interesse daran haben, dem Finanzstadtrat ein Messer in den Rücken zu rammen? So bedeutend erscheint er mir nun auch wieder nicht. Eine Verwechslung, das muss es sein. Einer unserer Streifenbeamten hat voreilig den Namen Klausberger an die Zentrale weitergegeben, jawohl, weil sich doch so vieles und so viele ähneln. Warum, dachte ich, soll es nicht auch einen geben, der wie der Klausberger ist, rein äußerlich und bei allem Bedauern, damit gelebt haben zu müssen und damit nun auch gestorben zu sein. Jack, der Jahrhundertjahrgang und der Versuch, die Wirrnis meiner Gedanken zu bündeln, hämmerten im Dreivierteltakt. Warum, fragte ich mich, tun wir Dinge, die wir nicht vertragen, um andere Dinge besser zu ertragen?

      Gemäuer und Böschungsbewuchs des gegenüberliegenden Murufers tauchten in frühes, weiches Licht. Die Straßen waren ruhig und die Stadt schien von allen Geistern verlassen. Also auch den guten. Einzig in der Mitte der Radetzkybrücke hob sich die Silhouette eines kauernden Körpers durch die Gitterstäbe des Geländers ab. Einer der Murbettler, wie wir sie nennen. Jede Brücke der Stadt ist von ihnen besetzt, vom ersten Ergrauen bis in die Abenddämmerung. Auf jeder Brücke einer, nach ungeschriebenen, uns verborgenen Gesetzen straff organisiert und verteilt. Vielleicht hat er oder ein anderer etwas gesehen? Zeit und Gelegenheit, sie zu befragen, blieben allemal. Sie würden den ganzen Tag da sein.

      Der Morgen hatte begonnen, den Körpern ihre Schatten wiederzugeben. Ich war zur Uferpromenade hinabgestiegen und im Gleichklang mit dem sich kräuselnden Wasser bis zum Bootshaus dahingeplätschert. Unrhythmisches Aufzucken von Blitzlichtern holte mich zurück. Die Kollegen waren schon an der Arbeit, und neben ihnen die Totenvögel.

      „Wer hat …?“ Den Rest der Frage verbiss ich mir. Gelassenheit und Untätigkeit, in der sie umherstanden, verrieten mir: Sie hatten, was sie brauchten. Die Bilder, die in wenigen Stunden durchs Land gehen würden. Sie liefern, was alle sehen wollen. Auch jene, die sich demonstrativ abwenden und die Hände vors Gesicht schlagen, um hernach mit verrenkten Hälsen durch gespreizte Handflächen hinzublinzeln. Die Totenvögel sind ersetzbar wie vieles andere auch. Scheuchte ich sie weg, stünden morgen zwei neue da, die das System und dessen schaurige Bedürfnisse befriedigten. Sie leben vom Tod und ich lebe mit ihm. Letztlich sind sie zwei von uns. Oder ich einer von ihnen.

      „Servus, Kollegen. Ist es wirklich der Klausberger?“

      Stummes Nicken mit geschürzt bejahenden Lippen. Der erste Blick verriet mir auch, was er hier zu suchen gehabt hatte: Kondition. Er war joggen und dabei seinem Mörder ins Messer gelaufen. Oder besser gesagt war das Messer des Mörders in ihn gelaufen. Sein Oberkörper lag vornübergebeugt, flussaufwärts besehen auf der ersten in einer Reihe von vier Betonbänken unter dem Bootshaus. Er schien zu knien, in gespreizter, leicht seitwärts geneigter Stellung, die Fingerspitzen der linken Hand tippten an den Schotterboden, jene der rechten baumelten ins Leere. Zwischen den Schulterblättern steckte ein schmaler Holzgriff mit Metallschaft. Ein wuchtiger Stich auf Anschlag.

      „Wie schaut’s aus, Michelin?“, wandte ich mich an Fauler.

      „Wie ein lupenreiner Herzstich schaut’s aus. Die Arbeit eines Profis.“ Willi Fauler stand dicht über die Leiche gebückt und atmete schwer. Die Zahnreihen des Reißverschlusses seines weißen Overalls drohten jeden Moment zu bersten. Der Wechsel aus dem Streifendienst zur Spurensicherung hatte seinen unterforderten Körper über die Jahre hinweg explodieren und der Kühlerfigur auf Lastwagen, dem Michelin-Männchen eben, immer ähnlicher werden lassen. Die Patschen über den Schuhen, das Häubchen auf dem Kopf, beide aus Plastik, transparent, die Handschuhe und der Mundschutz aus hellem Leinen rundeten ihn weiter und das Bild gänzlich ab.

      „Du kannst doch fließend Japanisch und Chinesisch, Eipeldauer, oder?“

      „Ja, fließend hören.“ Ein Klassiker. „Warum?“

      „Im Schaft ist eine Gravur. Fernöstlich, würde ich sagen. Ich hab noch nie etwas Derartiges gesehen. Den Messergriff, meine ich. Mit Sicherheit keine Null-acht-fünfzehn-Ware.“

      Eipeldauer. Ein schmeichelnder Vergleich. Ferri Leimböck und der große Gartenguru, auch wenn ihn Willi nicht aus bedingungsloser Liebe zu mir ersonnen hat. Anfangs. Bei Michelin war die Sache nicht minder unklar. Dennoch verband uns weit mehr als bloße Hänseleien, Spitznamen und der Job. Schon aus der Ferne hatte ich ihn an den Umrissen seines Körpers erkannt, und meine verkaterte Stimmung hatte schlagartig aufgeklart. Du bist ein akribischer Arbeiter, Michelin, dachte ich, ein Tüftler, einer, der sich gerne zu vorlauten Äußerungen, niemals aber zu voreiligen Schlüssen hinreißen lässt. Einen Besseren als dich kann ich gar nicht hier haben.

      „Irgendwelche Auffälligkeiten?“

      „Es war ein einziger Stich, er hatte keine Chance. Vermutlich wollte er hier eine kleine Pause einlegen.“

      „Wie kommst du darauf?“ Mein Kopf schwang immer noch im Dreivierteltakt und war nicht klar genug, um Michelins gewohnt analytischen Gedankengängen ohne Anleitung folgen zu können.

      „Schau, Ferri. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Aber nicht alle kommen in Betracht. Die erste: Der Mörder war selbst ein Jogger.“

      „Ein Jogger, der ein Messer bei sich trägt? Wo sollte er denn die Waffe vor der Tat verstecken?“, wandte ich ein.

      „Eben“, entgegnete Michelin. „Aber wir dürfen es nicht zur Gänze ausschließen. Er könnte das Messer im Ärmel einer Trainingsjacke oder eines Leibchens gehabt haben. Aber dann hätte er unentwegt darauf achten müssen, es nicht zu verlieren. Eine Stresssituation. Ich glaube nicht, dass einer, der einen so gezielten Stich ausführt, sich das antut, verstehst du?“

      Ich war nicht in der Lage, es mit schlüssigen Argumenten zu begründen, aber mein Gefühl sagte mir, dass er Recht hatte.

      „Die zweite Möglichkeit?“

      Michelin setzte blitzartig fort. „Die zweite ist, dass er hier gewartet hat. Vermutlich da oben im Gebüsch.“ Er machte eine ausladende Geste in Richtung Bootshaus.

      „Du meinst, er wusste, dass Klausberger hier stehen bleiben würde?“

      „Gewiss. Wäre er vor oder auch direkt hinter Klausberger aus seinem Versteck gesprungen, um ihn anzugreifen, wäre das Opfer hochgeschreckt und hätte sich gewehrt, denkst du nicht auch?“

      Ich nickte bedächtig. „Und du glaubst …“

      „Dafür“, fuhr Michelin unbeirrt fort, „gibt es, soweit ich es hier erkennen kann, nicht den geringsten Hinweis. Keine Abwehrverletzungen an den Händen des Toten, keine Abriebspuren im Schotter, die auf kurze, kräftige Fußbewegungen schließen lassen. Und außerdem steckt das Messer in seinem Rücken. Aber wer weiß, was sie auf der Gerichtsmedizin noch an Feinheiten entdecken.“

      „Und wenn es doch ein Jogger war, der ihn im Laufen von hinten attackiert hat?“

      Michelin schüttelte entschieden den Kopf. „Dass einer aus vollem Lauf in genau dieser Position liegen bleibt, ist unwahrscheinlich genug. Aber dass er den Sturz auf die Betonbank ohne Verletzungen im Gesicht übersteht – niemals.“ Er schnauf­te zusehends. „Daher meine Annahme: Er ist hier stehen geblieben, weil er es sonst auch immer tat. Vielleicht um Luft zu holen, vielleicht, um ein paar Dehnungsübungen zu machen,