zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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Darstellung der einzelnen Schildplätze hängen. Hüft- oder Herzstelle, stand da zu lesen. So ein Schild hätte dir auch ganz gut getan heute früh, Frank Klausberger, dachte ich. Du hast es ja bereits hinter dir, aber mir hätte es einiges erspart. Vor allem die kommenden Stunden. Wir wussten so gut wie nichts, und man würde alles von uns wissen wollen. Ich begann mir den Nacken zu reiben, als verspürte ich all jene, die mir bald darin sitzen würden. Allen voran der Kurze, wie er im Paulustor hieß. Aegidius Weißengärber, Emporkömmling, Günstling der Stadtpolitik und Polizeidirektor. Und es war auch nur eine Frage der Zeit, bis eine Hand voll Journalisten, die sich mir über die Jahre vertraut gemacht hatten, Wind bekamen vom Mord an Klausberger und die Nummer meines Handys in ihres tippten.

      *

      „Servus, Herr Professor. Hast du gerade einen wichtigen Pfusch oder kannst du deine Privatkunden auf Eis legen für einen unlukrativen Staatsauftag?“ Der Gedanke ans Handy und den Presserummel der nächsten Stunden und Tage hatte mich auf Raul Sargo gebracht. Formaldehyddämpfe, denen er sich seit jeher ebenso ausgesetzt sah wie der Gewissenlosigkeit mancher Kollegen, und dazu die Gewissheit, aus Mangel an krimineller Solidarität nicht an die Spitze der Abteilung gekommen zu sein, hatten ihn zum Spiegeltrinker gemacht. Kein Einzelschicksal unter Pathologen. Doch war Raul nach wie vor ein brillanter Gerichtsmediziner. Und der Einzige, der an einem Samstagvormittag nicht sofort tausend Ausreden parat hatte, warum er eine dringende Obduktion keinesfalls vornehmen könne.

      „Wer ist der Patient?“, fragte die Fistelstimme am anderen Ende. „Einer von euch, weil’s gar so dringend ist?“

      „Schlimmer noch. Der Klausberger, du weißt schon, der Finanzstadtrat.“

      Sargo gluckste vergnüglich in die Leitung. „Ist der Schuss eines Politikers endlich einmal nach hinten losgegangen?“

      „Stich in der Herzgegend. Aber nicht aus Liebeskummer. Du kannst dir ja vorstellen, was der Kurze jede halbe Stunde sagen wird: ,Wir brauchen Ergebnisse, Leimböck.‘“

      Sargo versprach, in einer Stunde im Institut zu sein. Bis dahin, hoffte ich, würden sie auch Frank Klausberger hingebracht haben.

      Im Keller, Samstagvormittag

      Mein Gott, hier stinkt es ja fürchterlich. Hat der Herr Redakteur etwa in die Hose gepisst?

      „Ich halte das nicht mehr aus. Bitte, bitte binde mich los. Ich verlange ja nicht mehr. Lass mich nur aufstehen, einmal. Die Schmerzen bringen mich um. Ich spüre meine Beine nicht mehr, und ich muss aufs Klosett.“

      Oje, darauf hat der Architekt beim Gestalten dieses Hotelzimmers doch glatt vergessen. Deshalb hat es ja auch nur drei statt der erhofften vier Sterne gekriegt. Nein, nur zwei. Badewanne gibt es ja auch keine. Aber keine Sorge, das mit der Toilette kriegen wir schon hin. Dafür gibt es die Luxusausführung eines Plastikkübels, den du bald benutzen darfst. Und Klopapier. Rosarotes Klopapier. Ich hoffe, du magst rosarot. Vorher ist aber noch Weihnachten. Geschenkszeit. Sieh nur, was ich dir mitgebracht habe.

      „Ist mir scheißegal. Ich will nichts von dir, nur dass du die verdammten Fesseln losmachst.“

      Es ist ein herrlicher Tag. Blitzblauer Himmel. Aber den siehst du ja nicht, hab ich völlig vergessen. Und es ist ein guter Tag. Ein erfolgreicher. Alles ist nach Plan verlaufen, der Beginn deiner Unsterblichkeit. Dein Name wird bald in aller Munde sein. Eigentlich solltest du mir dafür dankbar sein. Hier, die Morgenzeitung. Noch steht nichts Aufregendes drinnen. Aber morgen, da wirst du mit deiner Kolumne garantiert für Aufregung sorgen. Vor allem beim Leimböck. Den kennst du ja, das ist der Mann, der die Ermittlungen im Mordfall Klausberger führt. Deine Kolumne wird prominent platziert sein, wie immer auf Seite zwei. Aber bald, wahrscheinlich schon übermorgen, stehst du ganz vorne. Aufmacher sagt ihr dazu, stimmt’s? Du wirst der Aufmacher sein. Martin Hanser, dick und fett gedruckt. Nicht nur in deiner Zeitung, sondern auch in allen anderen.

      „Nein, du hast es nicht getan. Der Klausberger ...“

      Ist tot. Mausetot. Du hättest ihn sehen sollen. Der Stich war gezielt und tödlich. Pardon – es war ja nicht mein Stich, sondern deiner. Du hast perfekte Arbeit geleistet. Von hinten ins Herz. Natürlich muss man die Stelle kennen, die sich ideal dafür eignet. Ist nicht sehr groß, und der andere sollte stillhalten, wenn man sie genau treffen will. Sonst wird die Klinge von einer Rippe abgelenkt und man ist gezwungen, ein zweites Mal zuzustechen. War nicht nötig. Der Erste hat gesessen. Du hättest ihn sehen sollen. Kein Schmerz, zuerst war’s nur Verwunderung. Er hat mich groß angeglotzt, ungläubig. Hatte keine Ahnung, was da gerade mit ihm passiert war. Aber dann ist etwas Großes geschehen, etwas, das nur ganz wenige Auserwählte erleben dürfen. Das Sterben. Unmittelbar und hautnah. Es geschieht nicht im Körper, sondern in den Augen. Der Übergang vom Leben in den Tod. Es ist wie ein Film, und die Augen sind die Leinwand. Ich werde dich jetzt losbinden und dann das Zimmer verlassen. Wenn du aufstehst und dich umdrehst, wirst du sehen, dass dort oben, in der linken hinteren Ecke, eine Kamera angebracht ist. Du könntest dich natürlich auf den Sessel stellen und sie zerstören. Aber das würde dich nur noch einen Finger kosten. Vielleicht sogar zwei. Du wirst dir die Beine vertreten und dann den Kübel benützen. Dann wirst du dich auf das Bett legen und ich werde zurückkommen. Mit den Geschenken, die ich dir versprochen habe. Es gibt ja schließlich einiges zu feiern.

      „Ja, ja, ja, ich habe dich verstanden. Binde mich jetzt los. Ich mache alles, was du willst, aber mach rasch, ich bitte dich da­rum.“

      In der Küche, Samstagmittag

      Ich rede oft mit mir selbst. Früher habe ich es nicht getan. Aber jetzt hat es mit meinem Beruf zu tun. Bei meinem Job bist du ständig allein. Anfangs habe ich mir stets einen imaginären Gesprächspartner gesucht und mich mit ihm während der langen Nachtstunden unterhalten. Irgendwann ist mir das aber zu mühsam geworden. Ich musste dabei ja zwei Personen zugleich sein. Manchmal hat der Gesprächspartner meinem echten Ich widersprochen, manchmal war es umgekehrt. Es hat sich einfach so ergeben, dass der andere und ich selten einer Meinung waren. Da habe ich ihn weggeschickt, und jetzt rede ich nur noch mit mir selbst. Ich fasse in meinem Kopf alles, was ich tue, in Worte. Erzähle mir selbst über mich. Ein Ich beobachtet das andere Ich, analysiert es, kommentiert es, studiert es. Früher ist vieles mit mir und durch mich geschehen, das einfach passiert ist. Unkontrolliert, einfach so. Seit ich mich als aufmerksamen Gesprächspartner gefunden habe, ist das nicht mehr der Fall. Ich bin, was mich selbst betrifft, nahe an der Perfektion angelangt. Perfektion heißt, keine Fehler zu machen. Der Wurm, den ich jetzt am Monitor sehe, ist mein Meisterstück. Rache? Irgendwann war’s wohl Rache. Aber das ist längst nicht mehr die alleinige Triebfeder. Rache kann zum Stein werden, der sich in den Zahnrädern der Logik verkeilt und den Motor zum Stillstand bringt. Ich kann mir Gefühle nicht leisten, wenn es um den Ablauf der Dinge geht. Den großen Plan. Ich kann sie mir nur dann leisten, wenn sie außerhalb des Plans stattfinden. Im Kellerraum, bei der direkten Begegnung mit dem Journalistenwurm etwa. Dort kann ich sie vom Ganzen loslösen und dort darf ich sie auch auskosten. Dort darf ich ihm seine Persönlichkeit nehmen, ihn erniedrigen, entwürdigen und leiden sehen. Armselig, wie er sich in die Ecke zum Plastikkübel schleppt, die daumenlose Hand in jämmerlicher Pose anklagend in die Höhe streckt, als wollte er damit von seinem Himmelvater Hilfe erflehen. Schau nur, was der böse Unbekannte mit mir getan hat. Jetzt versucht er die angepisste Hose aufzuknöpfen. Schwierig, ja. Dazu muss er die daumenlose zweite Hand einsetzen, aber die tut weh. Ja. Leide nur, du Ratte. Mein Gott, ist es schön, wenn sich der Hass auf diese Weise selbst befriedigt. Ja, ich habe ihn gehasst. Und es war dieser Hass, der mich zu dem gemacht hat, was ich in diesem Augenblick bin. Der perfekte Rächer. Danke, Herr Redakteur. Alle anderen deiner Opfer haben sich unter deiner und der Allmacht deines gedruckten Wortes geduckt und gelitten. Ich wünsche mir, dass sie alle jetzt hier bei mir sitzen und denselben Genuss erleben könnten. Das Betrachten von Gerechtigkeit. Nichts Primitives, etwas Großes. Dabei ist das, was ich auf dem Bildschirm sehe, erst der Anfang. Der Beginn der ultimativen Demütigung. Der erste Akt. Das Publikum bin ich. Und das Publikum ist begeistert. Applaus, Applaus!

      *

      Es war eine dieser Villen nahe dem Hilmteich, wo die Euroscheine selbst am Fassadenverputz klebten. Ein geschmäcklerisches Gesamtkunstwerk