zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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Cover

      Titel

      Werner Kopacka

      Thomas Schrems

      ZUADRAHT

      Kriminalroman

      Leykam

      Prolog

      Kaum eine Grundregel des Lebens ist einfacher: Wer zudreht und verliert, lässt den Gegner zwei Punkte schreiben. Zumindest zwei. Denn, und das ist nicht minder einfach: Hat der Gegner vor dem Zudrehen keinen Stich, so gehen drei bei ihm, wie landläufig gesagt wird. Er schreibt drei Punkte. Einfach, oder?

      Soweit beherrscht auch Herr Ludwig, der keinesfalls Herr Ludwig gerufen werden will, die Grundregeln des Lebens. Des Schnapserlebens, um präzise zu sein. Herr Ludwig, der, wie wir nun bereits wissen, keinesfalls Herr Ludwig gerufen werden will, hatte sich auch an diesem verhängnisvollen Frühlingsdonnerstagabend des Jahres achtundneunzig beim Meinhart droben in Wenisbuch eingefunden. (Menschen, die sich donnerstags den Grundregeln des Lebens verschreiben, kennen im Norden von Graz keine bessere Gaststätte als den Meinhart droben in Wenisbuch, aber das nur nebenbei.) Alles schien wie immer und auf Gegenseitigkeit bedacht – das wolfsäugige Funkeln in den Augen der Kontrahenten, kleine Blitze, die das rauchgeschwängerte Dickicht durchdrangen wie ein Nebellicht die trübe See; dazu das übliche Dozieren; dazu die üblichen Belehrungen; dazu der übliche Unflat. Und doch hing ein unheilvoller Schatten über Herrn Ludwig, der keinesfalls Herr Ludwig gerufen werden will. An diesem Donnerstagabend widerfuhr ihm, was ihm in keiner der zahllosen Amtsstuben, die er in all den Jahren seit Eintreten in den Polizeidienst durchwandert hatte, je widerfahren war: Herr Ludwig konnte ein Bummerl nicht zu Ende spielen.

      Keine große Sache, ließe sich jetzt und hier sagen. Unbedeutend. Mag sein. Nicht jedoch für einen wie Herrn Ludwig, der keinesfalls …, aber das hatten wir ja schon, und auch nicht unter diesen Umständen. Sie müssen wissen: Gezählt wird von Sieben abwärts der Null entgegen. Das ist Standard, von Scheibbs bis Palermo. Herr Ludwig für seinen Teil zählt durchwegs von Null aufwärts der Sieben zu. Auch daran haben sich schon immer die Geister geschieden. Von der korrekten, weil einzig wahrhaften Zählwarte aus besehen, stand Herr Ludwig also auf drei und war (einer mehr als nur glücklichen Blattfügung zufolge) einen Punkt voran, als das Schicksalhafte im Klingelton meines Handys, wenn Sie so wollen, akustische Gestalt annahm. Später, womöglich tags darauf, womöglich auch erst nach Wochen oder Jahren, sollte er glauben zu verstehen, was sich zugetragen hatte an diesem Donnerstagabend, nach dem nichts mehr war, wie es war.

      Herr Ludwig hatte soeben das kompakte Päckchen in zwei gleich starke geteilt, die Karten im Zangengriff schräg zueinander gehalten, nach unten zum Bogen gespannt, die oberen Schmalseiten blitzschnell über die Daumenkuppen rasseln und ineinander gleiten lassen. Pfrrrrt. Beim richtigen Mischen fange es an, Leimböck, hatte er noch gesagt, da werde einer wie ich bereits das erste Mal aufgemischt, dazu das gleichfalls übliche Geplänkel des Abhebens vom Kartenpäckchen mit Weisheiten allerlei. (Hebst seicht, g’winnst leicht, hebst schwaa, g’winnst aa, et cetera) Er hatte gerade noch ausgegeben, drei Karten für mich, drei für ihn, eine aufgedeckt auf den Tisch, Schell-Bube, Verliererkarte, hatte Herr Ludwig gerufen, typisch für einen wie dich, Leimböck, dann wieder zwei für mich und zwei für ihn, automatisierte Routine, und so nebenher ein wahres Scheißblatt.

      So gesehen kam er also mehr als gelegen, dieser Anruf. Wo ich denn schon wieder sei, doch nicht etwa beim Meinhart, oder doch?, doch nicht etwa mit dem Kollegen beim Meinhart, oder doch? Ich nickte, als hätte ich geahnt, dass es zur Bildtelefonie nicht mehr weit war. Hallo, Leimböck, WO SIND SIE!? Doch, doch. Also beim Meinhart? Ja, ja. Mit ihm? Wem? Dem Kollegen? Ja, ja. Der Hut brenne, eine Sache von allerhöchster Brisanz, ich solle alles liegen und stehen lassen. Wir sitzen. Dann eben sitzen, Leimböck, Bier, Schnaps, Karten, alles liegen lassen. Die Karten liegen, Bier und Schnaps stehen, der Kollege sitzt. Also gut, Leimböck, Karten liegen, Getränke stehen und ihn sitzen lassen, und sofort abbrechen, das Spiel, den Kontakt und überhaupt, alles Weitere folge nach meiner Ankunft in der Polizeidirektion, ja, im Paulustor, die binnen zwanzig Minuten zu erfolgen habe, folgen und erfolgen, haha, sei das nicht doppelbödig?

      Doppelbödig ist auch die Moral, wenn die Stimme verleugnet, was das Auge verrät. Was denn sei, fragte Herr Ludwig. Nichts weiter, Herr Ludwig, ich müsse nur noch mal rein ins Paulustor. Jetzt? Ja, jetzt, ein Notfall. Betreffe das auch ihn, ein Mord, solle er gleich mitkommen? Nein, nein, kein Mord, also nicht direkt, mehr intern. Ob er warten solle, das Bummerl, das Bier, der Schnaps und alles? Nein, nein, das auch nicht, er könne auf mich aufschreiben lassen, ein andermal wieder, Herr Ludwig.

      Zurück blieb ein reichlich verwirrter Herr Ludwig, der, wie wir ja bereits wissen, aber man weiß ja nie, dachte ich, keinesfalls Herr Ludwig gerufen werden will. Dann war ich draußen bei der Tür, immer noch gehüllt in den Schwall dichter Meinhart­atmosphäre, immer noch irritiert vom Inhalt des Telefonats, immer noch unschlüssig, ob ich, einer spontanen Eingebung folgend, richtig gehandelt oder besser gesagt: richtig geschwiegen hatte. Ich hätte es ihm schon sagen können, murmelte ich vor mich hin, andererseits erführe er es eben erst morgen, was machten denn schon ein paar Stunden mehr oder weniger. Unschlüssigkeiten also, bis die Wenisbucher Abendluft den letzten Hauch des Stickigen und mit ihm den letzten Rest von Zweifel aufgesogen hatte und ich mit einem Mal alles sternenklar sah. Auch ohne in die Nacht über mir zu blicken. Ich lächelte, schlang die Jacke eng um mich, ließ den Ring des Schlüsselbundes um den emporgereckten Zeigefinger kreisen, schürzte die Lippen zum gepfiffenen Ambrosliedchen und schlenderte gemächlich dem Wagen zu.

      Im Keller, ein Freitagabend im Oktober 2005

      Es gibt Pflanzen und Tiere. Unter den Tieren gibt es solche, die andere töten, um sich zu ernähren. Das sind die Jäger. Der Rest besteht aus Sammlern. Der Mensch ist das einzige Tier, das Jäger und Sammler zugleich ist. Ich war bis jetzt ein Sammler. Aber alles, was ich gesammelt habe, dient nur einem Zweck. Dem der Jagd. Ich habe auch mich selbst gesammelt. Gedanken, Erfahrungen, Informationen, Wissen, alles was mir nützen würde, wenn der Tag gekommen war. Jetzt ist er da, jetzt bin ich bereit.

      Jetzt bin ich ein Jäger!

      Was ist von deiner Überlegenheit geblieben? Der Präpotenz, mit der du auf Menschen einschreibst, sie niederschreibst, sie von deinem feinpinkeligen Schreibtisch in deinem klimatisierten Büro aus kalt grinsend vernichtest, nur um deine eigene miese Existenz zu sichern? Wie viele leben in ständiger Angst vor dir? Jetzt hast aber du selbst Angst. Ordinäre, entwürdigende Angst.

      Du zitterst ja.

      „Lassen Sie mich los, Sie sind ja wahnsinnig, was soll das Ganze, was wollen Sie von mir. Geld? Wie viel. Ich geb’s Ihnen!“

      Na, na, na. Wer wird denn gleich so ungeduldig sein? Ich sag dir schon, wenn die Zeit gekommen ist. Ich mache dich berühmt, noch berühmter, als du es schon bist. Sie werden sich vor dir fürchten, noch mehr, als sie es jetzt schon tun.

      Alles, was ich dafür brauche, habe ich gesammelt. Auch dieses Messer. Ich habe es irgendwo liegen gesehen und mitgenommen. Keiner hat es gemerkt. Es liegt ja so viel irgendwo herum. Die Menschen sind unachtsam und dann beklagen sie sich, wenn sie bestohlen werden. Auch du warst unachtsam. Da habe ich dich genommen. Gesammelt. Wie das Messer. Jetzt gehörst du mir.

      „Irrsinn, Sie haben mich gekidnappt, entführt. Man wird Sie finden. Aber noch ist es nicht zu spät. Lassen Sie mich frei und ich werde niemandem davon erzählen. Es ist ein Scherz? Habe ich Recht? Nur ein schlechter Scherz, Ha, ha, ha. Ich versteh’s ja. Ist auch lustig. Gelungen. Aber jetzt ist Schluss. Ich muss ins Büro. Die warten auf mich.“

      Rüttle nur an deinen Fesseln, es wird dir nichts nützen. Siehst du die Knoten? Das ist Expertenarbeit. Habe ich gelernt. Zuerst aus Büchern, dann mit Geduld. Immer wieder. Derselbe Knoten. Bis zur Perfektion. Zwei, drei Handgriffe, so rasch, dass du sie kaum mitverfolgen kannst. Der perfekte Knoten! Ich habe sogar ein Video, in dem gelehrt wird, wie man Seemannsknoten knüpft. Gehört zum Sammeln. Wissen, weißt du. Und Können. Rüttle nur. Der Stuhl ist am Boden festgeschraubt. Den kannst du nicht umwerfen. Ich habe ge­plant, weißt du? Jahrelang gesammelt und geplant. Du bist Teil meines perfekten Plans. Und dieses