zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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Der Lesung zweiter Teil, wie wir Poeten so sagen.

      Ich hoffe, dass unser geschätzter Finanzstadtrat Frank Klausberger nach meiner letzten Kolumne nicht mehr ganz so ruhig schläft wie bisher. Den Schlaf des Gerechten konnte er ja nie schlafen, weil er nie einer war. Es waren die gesicherten Finanzen, auf die ihn der Bürger bisher sanft gebettet hat, ein dickes Bankkonto ist bekanntlich auch ein gutes Ruhekissen. Seit die Grazer von mir wissen, wie dick es tatsächlich ist, und wie wenig der gute Herr Klausberger tut, um auch nur einen Bruchteil davon mit ehrlicher, kompetenter Arbeit für das Volk, das ihn gewählt hat, zu verdienen, wird er vom wachgerüttelten Bürger in der Herrengasse vielleicht nicht mehr ganz so freundlich gegrüßt wie bisher. Wahrscheinlich muss er auf dem Weg zu seinem feudal eingerichteten Büro sogar das eine oder andere harte Wort hören. Sie werden von einem wie ihm allerdings wirkungslos abprallen. Politiker gehören zu jener Spezies Mensch, die mit der dicksten Haut ausgerüstet sind. Und Klausbergers Haut ist so dick, dass sogar Elefanten vor Neid erblassen. Die Nadelstiche der Kritik kratzen ihn nicht einmal an der Oberfläche. Ich hoffe – und es ist eine sehr dünne Hoffnung –, dass ihn nachts bisweilen doch ein kleiner Albtraum plagt. Einmal kurz hochschrecken und dann wieder weiterschlafen. Das aber immer öfter. Und ich hoffe auch, dass jene, die ihn so leichtfertig und doch mit so teuflisch kalkulierten Hintergedanken auf diesen Posten gehievt haben, von solch kleinen Albträumen geplagt werden. Große Änderungen, die letztendlich zur Erkenntnis und damit zu positiven Erkenntnissen führen, finden nicht statt. Das weiß ich, das wissen wir alle. Die Politik ist die Katze und der Bürger ist die Maus. Die Maus kann betteln und flehen, sie kann drohen und die Beißerchen fletschen, am Ende wird sie doch von der Mieze verspeist. Genüsslich. Frank Klausberger hat sich längst die Serviette umgebunden – und auf dem Teller, der vor ihm steht, liegen wir alle. Bettelnd, jammernd, drohend zähnefletschend. Auch ich bin darunter. Vielleicht der oberste Droher und Zähnefletscher. Aber genauso hilflos wie alle anderen. Die Klausbergers dieser Welt nähren sich von uns und werden dabei immer fetter. Wir sollten es satt haben, von Parasiten, die wir selbst geschaffen haben, gefressen zu werden. Wir sollten uns wehren. Die einzige Waffe, die man uns gibt, ist der Stimmzettel, aber der schafft nur neue, verschieden gefärbte Parasiten. Es gibt nur eine Lösung – Krieg! Die Mäuse müssen zurückschlagen. Und diese Maus hat soeben damit begonnen ...

      Was sagst du? Auch ein echter Hanser! Ich habe dich studiert, mein Freund, habe alle deine Kolumnen gelesen, deine Wortwahl, deine Ausdrucksweise, die Effekthascherei, die dahinter steckt. Dann habe ich selbst Hanser-Kolumnen geschrieben. Dutzende. Die ersten waren jämmerlich, dann sind sie immer besser geworden. Bis zu dieser, unserem Meisterwerk.

      „Du wirst es tatsächlich tun. Den Klausberger umbringen und mir die Sache in die Schuhe schieben. Du siehst, ich schreie nicht, ich tobe nicht. Mir ist jetzt klar, dass du ein gefährlicher Irrer bist. Bring den Klausberger doch um, ich weine ihm keine Träne nach. Aber dein Plan wird nicht aufgehen. Ich habe Tausende Kolumnen geschrieben. Und jede Einzelne ist an meinem Arbeitsplatz in der Redaktion entstanden. Jede Einzelne. Verstehst du? Die Leute dort draußen sind doch keine Idioten. Die werden mich suchen, die Polizei einschalten, man wird bald wissen, dass ich entführt wurde, und den Irren finden, der es getan hat. Was du da geschrieben hast, ist gut. Erschreckend gut. Könnte tatsächlich von mir stammen. Aber keiner hat gesehen, wie ich es geschrieben habe. Das ist der springende Punkt. Hanser schreibt immer live. In der Redaktion. Klar? Das hast du nicht bedacht, du Schlaumeier. Bring den Klausberger doch um, wenn du es unbedingt tun musst, aber lass mich gehen. Ich habe keine Ahnung, wer du bist und wo ich bin. Verbinde mir die Augen und setze mich irgendwo aus.“

      Bravo, bravo. Applaus für den Volkspoeten. Und ein Dank für die Lorbeeren. Deine Rede hat nur bestätigt, was ich selbst schon gewusst habe. Meine Kolumne könnte auch deine sein. Ist deine. Wird als deine gedruckt werden. Und niemand wird Verdacht schöpfen. Denn Martin Hanser, das unermüdliche Arbeitstier, hat nach Tausend oder mehr Kolumnen der Stress übermannt. Scheidung nach 20 Jahren, der erwachsene Sohn lebt in Amerika, dazu kommt ein kleines Alkoholproblem. Ich weiß alles, ich kenne dich besser, als du selbst. Du hast unzählige Menschen mit Worten vernichtet, aber das genügt dir jetzt nicht mehr. Die besten Psychiater der Nation werden sich bald um dich kümmern. Sie werden zu ergründen versuchen, was in dir den Knackpunkt ausgelöst hat. Vom Wort zur Tat. Sie werden viele Gründe finden! Und einige davon werden sie in dem handgeschriebenen Brief finden, den du, gemeinsam mit dieser Kolumne, an deinen Chefredakteur schickst.

      „Schick ihm doch deine verdammte Kolumne, aber das mit dem Brief wird nie stattfinden. Du hast keine Chance, du wirst im Gefängnis ...“

      Hier ist ein Blatt Papier und ein Kugelschreiber. Ich lege beides vor dir auf den Tisch und du wirst das schreiben, was ich dir diktiere. Ich fordere dich nur einmal dazu auf.

      „Lächerlich. Du weißt genau, dass ich so etwas Idiotisches nie tun werde. Alles, was sich hier in diesem scheußlichen Kellerloch abspielt, ist idiotisch. Ich bin zwar in deiner Gewalt, du kannst mich schlagen, verhungern und verdursten lassen, aber damit triffst du nur meinen Körper. Mein Geist gehört immer noch mir. Und der ist klar, im Gegensatz zu deinem.“

      Mit Worten warst du immer schon mutig. Ich biete dir jetzt die Chance, eine andere Art des Mutes zu beweisen. Wenn du deinen Kopf nach links drehst, kannst du deine linke Hand sehen. Du kannst sie aber kaum bewegen, weil sie am Stuhl festgebunden ist. Ich werde jetzt dieses Messer nehmen – nein, nicht das Messer mit deinen DNS-Spuren, dieses hat eine wesentlich schärfere Klinge, ich habe sie selbst geschärft, stundenlang, und ich werde deinen Daumen abtrennen. Angesichts der Schärfe der Klinge wird es mich kaum Mühe kosten. Dann werde ich den Daumen vor dich auf den Tisch legen, neben das Blatt Papier und den Kugelschreiber, und du kannst dir überlegen, ob du den Brief schreiben willst oder nicht. Betrachte es als physische Variante einer Mutprobe. Die ultimative Begegnung mit dem Schmerz. Versuche nicht zu schreien oder zu heulen. Das würde mich enttäuschen. Wenn dir dein Geist dann immer noch sagt, nein, ich schreibe diesen Brief nicht, gebe ich dir die Chance einer zweiten Schmerzbegegnung. Dann ist der Zeigefinger dran. Und so weiter. Keine Angst, die Finger der Rechten darfst du behalten, die brauchst du ja zum Schreiben. Und du wirst noch viel schreiben müssen. Aber du hast ja auch noch zehn Zehen, zwei Ohren und andere Extremitäten.

      „Nein, du tust es nicht. Lass mich los, bitte lass mich los. Ich bitte dich, nein, ich schreib ja den verdammten Brief. Neeeiiiin.“

      Siehst du, jetzt hast du doch geschrieen, du schreist ja noch immer. Wo bleibt der Mut, Herr Hanser? Wenn du nicht sofort mit dem Schreien aufhörst, muss ich dir den Mund verbinden. Dann wird das Atmen schwieriger. Und du kannst nicht mehr reden. Dabei lausche ich deinen Worten doch so gerne. Hier ist dein Daumen, kaum Blut. Ein Stück Körper, das sich nie mehr bewegen wird. Auch die Hand blutet nicht so stark wie ich vermutet hatte. Ich muss gestehen, dass es auch für mich das erste Mal war. Ich habe noch nie einen menschlichen Körperteil abgetrennt. Natürlich habe ich den Schnitt geübt. An einem Rinderbein. Da ist der Knochen viel dicker. Es war mühsam, deshalb habe ich für dich die Klinge geschärft. Es ist ein glatter Schnitt geworden, fast chirurgisch.

      Gut so, du schreist nicht mehr. Wenn man sich entschließt, einem lebenden Menschen einen Körperteil abzuschneiden, muss man vor allem das Mitleid ausschalten. Das ist mir bei dir leicht gefallen. Ich habe nur an das denken müssen, was du mir und den anderen angetan hast. Dann war’s nur ein Schnitt, nicht mehr.

      „Ich verblute, ahhhhh.“

      Du verblutest nicht, aber ich werde die Wunde trotzdem verbinden. Die Mullbinde habe ich schon vorbereitet. Man will ja kein Unmensch sein. Ich habe eine ganze Schachtel voller Mullbinden gekauft. Du weißt ja, die anderen Finger, Zehen, Ohren, Extremitäten.

      „Es tut weh, wahnsinnig weh.“

      Jammere nicht, fang an zu schreiben.

      „Wer zum Teufel bist du? Ich kann nicht schreiben, der Schmerz bringt mich um, um Gottes Willen, hilf mir!“

      Ich habe dir schon geholfen, die Wunde ist verbunden, du wirst nicht verbluten. Jetzt schreib, verdammt nochmal und denke an deinen Zeigefinger!

      „Mein Gott, warum hilft mir keiner!“

      So ist’s gut, nimm den Kugelschreiber, hier ist das Papier. Du bist doch mit dem Chefredakteur