zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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ich dir das Messer reichen und dir fünf Sekunden lang Zeit geben, dich selbst loszuschneiden. Du schaffst es nicht. Weil die Angst deine Gedanken lähmt. Und deine Finger. Weil du nicht perfekt bist!

      „Und wenn ich es doch schaffe? Ist der Spuk dann zu Ende? Darf ich dann gehen?“

      Natürlich darfst du dann gehen, Dummkopf. Frei wie ein Vogel! Siehst du, jetzt löse ich den Knoten, noch etwas Geduld. So, jetzt ist deine Hand frei. Taub, habe ich Recht. Die Durchblutung. Du musst die Finger bewegen, dann kommt das Gefühl zurück. Nimm jetzt das Messer!

      „Wozu, wenn ich ohnehin nicht frei komme?“

      Du sollst das verdammte Messer nehmen, hörst Du? Du sollst es nehmen, weil ich es sage! Weil du mir gehörst und weil ich es so will. So ist es gut. Nun versuche, die Fesseln zu durchtrennen. Schneiden, fest. Geht nicht? Klar, weil das Seil stahlverstärkt ist. Keine Klinge kann da durch. Doch an alles gedacht, nicht wahr? Lege jetzt das Messer vor dir auf den Tisch. Du sollst es nicht anglotzen, sondern weglegen. Sofort!

      „Ja, du bist der Kerkermeister, verdammt noch mal. Der große Zampano. Was soll das alles? Sag mir doch endlich, was dieser Irrsinn soll? Was habe ich dir getan, warum quälst du mich?“

      Alles hat einen Sinn, auch wenn es auf den ersten Blick sinnlos zu sein scheint. Warum glaubst du, trage ich diese Handschuhe. Aus feinstem weißem Gewebe. Nur weil sie angenehm zu tragen sind? Nein. Weil man damit keine Fingerabdrücke hinterlässt. Und auch keine DNS-Spuren, wie du. Was du in deiner Ahnungslosikgkeit Irrsinn nennst, war die Präparierung des Messers mit deinen Fingerabdrücken, mit deinen Körpersäften. Jetzt befinden sich Hautpartikeln auf dem Griff und dein Schweiß. Kriminalistisch betrachtet ist es damit dein Messer. Die Tatwaffe.

      „Tatwaffe? Wovon redest du? Welche Tat? Was planst du? Sag es mir. Ich habe ein Recht es zu wissen!“

      Du hast keine Rechte mehr. Und auch keine Pflichten. Du bist ein Ding, ein Spielzeug, mit dem ich tun kann, was ich will, verstehst du? Die Zeiten haben sich geändert, Herr Redakteur. Herr Kolumnenstar. Herr Menschenvernichter. Sie sind nicht einmal mehr ein Wurm. Sie sind ein Paket, das atmen darf und noch leben muss, weil ich es so will und weil ich es so brauche.

      „Noch leben? Heißt das, dass du mich töten willst? Dann tu’s doch, tu’s jetzt gleich. Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ha, ha, siehst du, ich lache über dich. Du bist eine lächerliche Figur mit deinem großsprecherischen Blödsinn. Aus deinem Mund kommt nur Scheiße, Herr Sammler. Ich weiß zwar nicht, wer und was du bist, aber im Vergleich zu mir bist du der Wurm. Ich habe Erfolg gehabt im Leben, man kennt mich im Lande. Ich bin ein Star, verstehst du? Man wird mich vermissen und nach mir zu suchen beginnen. Und man wird mich finden. Und dich auch. Wenn sie dich nicht gleich erschießen, dann wird dich der Richter zerfleischen. Lebenslang. Du wirst hinter den Gittern der Karlau verrotten!“

      Belle nur, Hundchen. Wau, wau. Dabei solltest du froh sein, mir aus der Hand fressen zu dürfen. Wenn du nicht bald netter zu mir bist, wird dich Herrchen bestrafen. Keine Angst, ich war nie einer, dem das Prügeln Spaß gemacht hat. Zu banal. In meinem früheren Leben hab ich so manches Geständnis aus verstocktem Abschaum herausgeprügelt. Aber Spaß? Nein. Spaß hat mir das nie gemacht. Mittel zum Zweck, ja. Für dich habe ich mir eine ganz andere Strafe ausgesucht. Du bist eine ganz andere Art von Abschaum. Die Creme des Abschaums gewissermaßen. Der König der Kotzbrocken. Die Schaumkrone auf dem Meer des Bösen. Poetisch, nicht wahr? Ich habe viel gelernt in den letzten Jahren. Eigentlich habe ich alles dir zu verdanken. Seit du mich in die Gosse gestoßen hast, ist es mit mir bergauf gegangen. Ich habe mich entwickelt, aus der Raupe ist ein Schmetterling geworden, aus dem Sammler ein Jäger. Aus dem Analphabeten ein Literat. Ich habe jede Zeile studiert, die du geschrieben hast. Kein berauschender Stil, kann ich heute sagen, aber ein sehr effektvoller. Der Pöbel glaubt dir, hält dich für allwissend, für den bist du ein Prophet. Aber was du kannst, das kann ich auch. Ich schlage vor, wir machen eine Dichterlesung. Zum Vergleich. Ich lese und du hörst zu. Dann darfst du die Jury sein. Beurteilen, wer von uns beiden besser ist.

      „Ich soll dich in die Gosse gestoßen haben? Was soll dieser Blödsinn. Ich kenne dich ja überhaupt nicht. Nie gesehen. Wer bist du überhaupt?“

      Geduld, du wirst es erfahren. Nicht jetzt, jetzt wird gelesen und gelauscht. Ganz stumm, sonst werde ich böse. Siehst du das? Bedrucktes Zeitungspapier. ,Abgeschminkt‘ von Martin Hanser. Das bist du, das ist deine Kolumne von gestern. ,Abgeschminkt‘, nicht schlecht. Du hast sie abgeschminkt. Viele. Manche sogar zu Recht. Wie die Ratte Klausberger. Martin Hanser, der liebe Gott unter den Journalisten, die Stimme der Gerechtigkeit, der Killer, der es mit Worten tut.

      „Jetzt weiß ich es, der Klausberger hat dich geschickt. Kein Problem. Ich bringe alles wieder in Ordnung. Du musst mich nur wieder schreiben lassen. Ich kann die Sache umdrehen, das musst du mir glauben. Dem Klausberger wird nichts geschehen. Im Gegenteil. Ich mach ihn sogar zum Bürgermeister. Versprochen!“

      Großer Irrtum, Herr Kolumnist. Der Klausberger ist eine Ratte, da bin ich deiner Meinung. Du hast ihn ja ehrlich und aufrichtig wie immer dem Volk zum Fraß vorgeworfen. Jetzt psssst. Zugehört. Die Lesung.

      Frank Klausberger ist für die Finanzen in dieser Stadt verantwortlich. Ich habe mir sein Maturazeugnis besorgt und mit Schrecken festgestellt, dass er damals die Hürde Mathematik gerade noch mit vier geschafft hat. Sein ehemaliger Mathematikprofessor, der honorige Dr. Hans Pausch, bestätigt, dass er in diesem Gegenstand seit der vierten Klasse in jedem Jahr eine Nachprüfung zu absolvieren hatte. Er hat sie stets geschafft und damit zumindest späten Lerneifer bewiesen. Mathematisches Talent spricht ihm nicht nur der alte Herr Professor, sondern auch die ganze Stadt ab. Ich sage es drastischer und ehrlicher: Man hat einen gefährlichen Dummkopf mit den Finanzen dieser Stadt betraut! Muss allerdings zugeben, dass es eine Rechnung im Leben des Frank Klausberger gegeben hat, die tatsächlich aufgegangen ist: Geh in die Politik, diene deiner Partei und sie wird dich belohnen. Ein treuer Hundeblick und eifriges Schwanzwedeln sind dort mehr wert als ein schlechtes Maturazeugnis! Aber was hat es uns gebracht? Massive Steuererhöhungen, die Stadtwerke stehen trotz des jüngsten Kunden-Belastungspakets nach wie vor vor dem Ruin, das kulturelle Leben ist beinahe erlahmt, weil die Subventionen eingefroren werden mussten ... aber das weiß man ja. Es steht schlimm um unsere Stadt. Herr Klausberger, die scheinbare Mathematik-Null, ist zwar ein Totalversager, wenn es um das Management unseres Geldes geht, privat ist er jedoch ein hervorragender Rechner: Er nimmt von uns – den braven Steuerzahlern – monatlich 13.437 Euro Gehalt dankend an. Damit leistet er sich nicht nur eine beachtliche Sammlung automobiler Oldtimer, sondern auch eine schmucke Villa in der teuren Hilmteichgegend. Die Gattin kurvt im pinkfarbenen Cabrio zum Einkaufen in die City, die beiden Söhne besuchen exklusive Privatuniversitäten. Und der mathematische Versager selbst lässt sich – von uns bezahlt – per Chauffeur im schwarzen Mercedes von Termin zu Termin kutschieren. Im Dienste des Volkes. Ekel, ja – Sie haben genau gelesen – Ekel ist es, den ich empfinde, wenn ich über solche „Volksvertreter“ schreiben muss. Stimmt: Wir haben sie gewählt, aber es muss auch in unserer Macht stehen, sie wieder zu entfernen. Schreiben Sie mir, was Sie darüber denken. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam einen Weg finden, der unsere schöne Stadt in eine bessere Zukunft führt.

      Päng – hervorragend, würde ich sagen. Ein echter Vernichtungsknüller. Echt Hanser!

      „Ja, das habe ich geschrieben. Und durchrecherchiert. Die Zahlen stimmen, das mit dem Maturazeugnis auch und seine Frau fährt ein pinkfarbenes Cabrio. Was soll’s? Der Klausberger ...“

      Ist eine Ratte. Völlig korrekt. Und er wird seinen Denkzettel bekommen.Von dir! Er wird sterben. Durch dieses Messer. Dein Messer. Du hast ja saftige Spuren darauf hinterlassen.

      „Neeeeiiin. Das ist ein Scherz, habe ich Recht? Ein Albtraum. Ich wache auf, jetzt. Das kann nicht wahr sein. Keiner wird sterben, stimmt’s? Ich nicht und der Klausberger auch nicht. Ende, Schluss mit der Komödie. Nimm die blöde Maske vom Kopf und binde mich los, jetzt, sofort. Ich halte es nicht mehr aus.“

      Oh doch, mein Freund, du wirst es noch lange aushalten müssen. Dein Albtraum ist endlos, das Leiden hat noch nicht begonnen. Du hast den zweiten Teil der Dichterlesung noch nicht vernommen. Meinen Teil. Das wahre Kunstwerk. ,Abgeschminkt‘ von Martin Hanser.