zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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zuständig für den Tourismus. Der Thermen-Leo. Hat mit unserem Steuergeld die heißen Quellen im Osten erschlossen. Sein Schwager ist wie durch ein Wunder Geschäftsführer von einem solchen Badeparadies. Da sprudeln die Millionen nur so herein. Der Thermen-Leo ist ein präpotenter, größenwahnsinniger Selbstdarsteller, der auf dem politischen Klavier nur seine eigenen Liedchen spielt. Mega-Kotzbrocken, würde ich sagen. Eindeutig Kandidat Nummer eins!“

      Perfekte Antwort, Ende des Spiels. Ich lasse dich jetzt mit der Wodka-Flasche allein, die Schmerztabletten nehme ich mit. Du kennst ja die Regeln. Ich komme nur zurück, wenn du auf dem Bett liegst. In einer halben Stunde bringe ich dir etwas zu essen.

      „Keine Eile, ich habe keinen Hunger mehr. Und auf deine Gesellschaft und die blöden Frage-Antwort-Spiele kann ich auch verzichten.“

      In der Küche, Samstagnachmittag

      Bis jetzt ist mein Plan millimetergenau aufgegangen. Es war der Sammler in mir, der es möglich gemacht hat. Wenn man Großes verwirklichen will, dann muss man alles, was an Informationen verfügbar ist, unermüdlich auflesen, sortieren, analysieren und in die richtigen Zusammenhänge bringen. Martin Hanser be­obachte und studiere ich seit dem Augenblick der Erkenntnis. Ich nenne ihn so, weil sich in jener Nacht in mir ein bis dahin sinnloses in ein sinnvolles Leben verwandelt hat. Es war während eines jener ereignislosen Rundgänge, die ich Nacht für Nacht tun muss, um stumme, kalte, von Menschen verlassene Gebäude zu bewachen. Der Nachtwächter – oder „Security-Mann“, wie man ihn heutzutage hochtrabend nennt – ist in Wahrheit ein Ausgestoßener. Die Gesellschaft, die er zu bewachen hat, schläft, während er arbeitet, und wenn die Gesellschaft arbeitet, schläft ihr Nachtwächter. Ich war früher Polizist, ein guter Polizist, und es war Martin Hanser, der mich zu den demütigenden nächtlichen Rundgängen verdammt hat. Anfangs habe ich da­runter gelitten wie ein Hund. Die viele leere Zeit, das endlose Grübeln, das quälende Selbstmitleid. Und die ständige Frage nach dem Warum. Zum Glück gibt es die halbe Stunde mit Josie. Auch eine Ausgestoßene, die zweimal pro Woche nach ihrem Dienst in der Eros-Bar auf meinen Parkplatz kommt. Damals, als ich noch bei der Polizei war, hatte ich sie auf einem anderen Parkplatz im Auto eines fetten Deutschen erwischt und festgenommen. Jetzt reden wir nicht mehr darüber und sie kommt zu meinem. Anfangs hat sie noch 50 Euro dafür verlangt, jetzt macht sie es gratis. Manchmal reden wir auch nur. Josie hat indirekt etwas mit dem Augenblick der Erkenntnis zu tun. Sie hatte mir zuvor von den Problemen erzählt, die sie mit ihrem Zuhälter hätte. Dass sie ihren gesamten Verdienst abliefern müsse, weil er das Zimmer, in dem sie es mit ihren Kunden treiben muss, bezahlt. Sie wird von ihm mit Almosen abgespeist. In dieser Nacht hatte sie nur einen Freier gehabt, der ,Beschützer‘ hatte es ihr aber nicht geglaubt und sie ordentlich verprügelt. Sie wollte sich nicht wehren, weil sie Polin und illegal im Land ist und außer ihm niemanden hat, der sich um sie kümmert. Auch ich, der Gratis-Kunde und Fast-Freund, war machtlos. Als Josie in ihrem klapprigen Fiesta davongefahren war, spürte ich plötzlich eine Wut, die ich bisher nicht gekannt hatte. Es war noch Nacht, aber um die Konturen der Häuser begann sich ein grauer werdender Schleier zu weben. Dort unten, im All, lauerte die Sonne und die Erde drehte sich ihr entgegen. Für mich war dieses Grau der Hoffnungsschimmer, den ich so lange gesucht hatte. Ich war, wie Josie, ein gedemütigter Mensch. Ich hatte das, was man mir angetan hatte, einfach hingenommen, Unmut, Groll, Hass und was immer sonst noch dabei war, mit mir herumgeschleppt und das getan, was alle anderen Gedemütigten dieser Welt tun: gelitten und irgendwie weitergelebt. In dieser Nacht sind plötzlich alle Puzzle-Steine, die bis dahin wirr durch mein Leben gepurzelt waren, zu einem verblüffend simplen Gesamtbild zusammengefallen. Die Antwort auf alle meine Fragen war so klar, dass ich mich wunderte, warum ich nicht früher darauf gekommen war: Ursache und Wirkung! Wer die Ursache beseitigt, eliminiert auch die Wirkung. Und meine Ursache hieß Martin Hanser!

      Jetzt stehe ich am Herd und wärme für ihn ein Dosen-Gulasch auf. Frische Semmeln habe ich zuvor im Spar-Laden an der Ecke gekauft. Er soll leben, sich ernähren, stark genug sein, um den Weg mit mir gehen zu können, der zu meinem Ziel führt. Die Wodka-Flasche ist beinahe leer, er torkelt im Raum herum. Besoffenes Schwein. Das war er immer. Mit Sicherheit auch damals, als er mich aus meinem Leben weggeschrieben hat.

      Im Keller, Samstagnachmittag

      Iss nur, wer säuft, muss auch essen. Der Magen braucht eine vernünftige Unterlage. Einen Schwamm, der den Fusel aufsaugt. Ich weiß, du würdest jetzt lieber im Tokio sitzen und Sushi speisen. Ganz nobel, im Kreise deiner Bewunderer. Der Hanser ist dort Stammgast, wissen fast alle Liebhaber fernöstlicher Spezialitäten in der Stadt. Das bist du doch. Ein Liebhaber fernöstlicher Spezialitäten. Liest man ja oft in der Klatschspalte deiner Zeitung. Du wirst es nicht glauben, aber ich war auch mehrmals dort. Bin sogar ganz in deiner Nähe gesessen und hab den Quatsch mit angehört, den die noblen Speiser um dich verzapft haben. Das Messer, erinnerst du dich noch an das Messer, das du gestern so brav in die Hand genommen und mit deinen Körpersäften bekleckert hast? Das hat der Koch liegen gelassen, und ich hab es eingesteckt. Unverkennbar etwas Japanisches. Heute früh hat es der Leimböck im Klausberger gefunden. Hanser, Tokio, Sushi, das Messer? Klar? Leider gibt es heute kein Sushi, nur ein bodenständiges Dosengulasch vom Meisterkoch Inzersdorfer. Dafür sind die Sorger-Semmeln fast frisch.

      „Schuhschi? Du hast ja keine Ahnung, was ein gutes Susssch ... Sisch ... ist ja egal, du haaast kein Recht, so etsswas Edles, also es haaandelt sich dabei um rooohen Schusch, ich meine Fisch ...“

      Gulasch, heute gibt es Gulasch, verstanden, du besoffenes Schwein? Keinen rohen Fisch, sondern gekochtes Fleisch. Ich stelle den Teller auf den Tisch, dazu gibt es einen Plastiklöffel. Zwei Semmeln und eine Plastikflasche mit Mineralwasser. Höre mir gut zu. Wie du siehst, habe ich auch einen sauberen Toilettenkübel mitgebracht. Wenn du wieder nüchtern bist, kannst du auch die Kleidung wechseln. In diesem Plastiksack findest du saubere Unterwäsche, eine Hose und ein frisches Hemd. Als Quartiergeber will man später schließlich keine üble Nachrede haben.

      „Schschpäter ... was ist schschpäter. Ich lllade dich ins Toookio ein ...“

      Küche, Samstagabend

      Mein Gott, wie durchschaubar Menschen doch sind, wenn man sie aufmerksam studiert. Ich habe mich in Hansers Leben eingeschlichen und alles über ihn gesammelt. Jetzt, wo ich ihn habe, kann ich in ihm lesen, wie in einem offenen Buch. Seit dem Augenblick der Erkenntnis war ich, wann immer es ging, in seiner Nähe. Geistig, weil ich alles, was er geschrieben hat, Zeile für Zeile gelesen habe. Alle Hanser-Kolumnen sind im Internet-Archiv seiner Zeitung zu finden. Schließlich ist er ja der Starkolumnist des Blattes. Und auch körperlich. Ich war manchmal da, wenn er morgens sein Haus in Andritz verlassen hatte und war ihm im Auto bis zur Redaktion gefolgt. Nicht, weil ich mir davon große Erkenntnisse erwartet hatte, aber ich weiß jetzt zumindest, wie er Auto fährt. Viel zu schnell, rücksichtslos, hält nie an Zebrastreifen für Fußgänger an, fährt grundsätzlich noch bei Gelb über jede Kreuzung. Ein Arschloch am Steuer, das gnadenlos auf die Hupe drückt, wenn der Vordermann bei Grün nicht gleich losfährt.

      Zum Mittagessen ging er fast immer allein und um punkt zwölf Uhr in das Café Braunstein. Nur selten leisteten ihm Kollegen oder Kolleginnen dabei Gesellschaft. Dürfte in der Redaktion nicht allzu beliebt sein, der Herr Starkolumnist. Ein Toast, ein paar Brötchen, dazu ein Glas Bier und ein doppelter Wodka, Marke Absolut. Dann zurück an den Schreibtisch. Ein- bis zweimal pro Woche setzte sich Hanser vormittags jedoch ins Auto und fuhr nach Mariatrost zum Häuserl im Wald, einem feinen, aber abgelegenen und bereits im Grüngürtel der Stadt liegenden Restaurant. Dort gab es dann bei Bier und Schnaps Geheimtreffen mit irgendwelchen Informanten. Kolumnisten brauchen nicht sehr lange für ihre Arbeit, wenn sie den Stoff dafür haben. Hanser verließ die Redaktion selten nach 15 Uhr. Trotz Ex-Ehefrau und Sohn hatte ich anfangs den Verdacht, dass er schwul sein könnte. Der hat sich jedoch nie bestätigt. Ich habe ihn nach der Scheidung allerdings auch nie mit Frauen gesehen. Wahrscheinlich fällt er heute in die Kategorie der Asexuellen. Diese Menschen, für die der Sex im Leben keine Rolle spielt. Sie sind grenzenlos eitel und finden ihre Befriedigung darin, bewundert zu werden. Nach 15 Uhr ging Hanser regelmäßig auf Bewunderungs-Tournee durch mehrere, ausgewählte Lokale. Das Tokio gehörte ebenso dazu wie das Promenade oder das Operncafé. Hier ließ er sich