Hans im Glück oder Die Reise in den Westen. Christoph Kleemann

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Название Hans im Glück oder Die Reise in den Westen
Автор произведения Christoph Kleemann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783954625109



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bejaht und hat den Eindruck, beide Damen freuen sich ihrer vorzüglichen Geografiekenntnisse.

      Dann entschuldigen sie sich, sie müssten leider noch an einer anderen Stelle des Parks Freunde abpassen. Die anderen folgen ihnen.

      So ist das, wenn man mit der Tür ins Haus fällt, sagt Katharina, am Ende sitzt man alleine da.

      Siehst du, und so ist das, wenn man sich alles gefallen lässt, sagt er, am Ende sitzt man alleine da. Er steht auf und lässt sie allein am Tisch zurück.

      Nach wenigen Metern hat sie ihn wieder eingeholt und hängt sich an seinen Arm.

       Mann, warum bist du nur so empfindlich?

      Frau, warum bist du nur so unempfindlich, antwortet er. Damit ist das Thema abgetan.

      Politiker, deren Namen sie aus der Zeitung, deren Gesicht sie aus dem Fernsehen kennen, laufen ihnen über den Weg, der Finanzminister und der Umweltminister, Parteivorsitzende und Fraktionssprecher, daneben Moderatoren und Schauspieler. Alles, was man so Persönlichkeiten nennt, scheint an diesem Abend Ausgang zu haben.

      An einer Wegbiegung stoßen sie auf Petkau und seine Frau. Georg kennt beide aus oppositionellen Gruppen, die sich in den Achtzigerjahren innerhalb der Kirche gesammelt haben. Petkau ist ein ideenreicher und streitbarer Kopf, der vor Enthusiasmus schnell erglühen kann, aber ebenso schnell erkaltet. Was Georg an Spontaneität fehlt, fehlt Petkau an Kontinuität. Von daher hätten sich beide gut ergänzen können, aber eine Rivalität, die gelegentlich aufblitzt, treibt sie mit der Zeit auseinander.

      Katharina kennt Petkau aus dem Herbst 89, wo sie ihn einmal interviewt hat. Als sie sich jetzt gegenüberstehen, entspinnt sich zwischen den beiden ein Dialog, der so auf Petkau zugeschnitten ist, dass sich Georg schnell überflüssig vorkommt. Ein einziges Mal versucht er sich einzumischen, wird aber von ihr barsch zum Schweigen gebracht, sodass er sich unbemerkt entfernt.

      Viel später, es ist schon lange dunkel, findet sie ihn mehr zufällig im Kreis einer Gruppe Friedensbewegter aus DDR-Zeiten. Sie setzt sich leise dazu und tastet nach seiner Hand. Er tut, als bemerke er sie nicht. Nach einer Weile gibt er dem stillen Werben nach, rückt näher an sie heran und erklärt seinen Kollegen: Das ist Katharina.

      Nachts im Hotelzimmer werden sie sich schnell wieder einig.

      Habe ich eigentlich ihre Briefe noch? Er überlegte, wo er sie aufbewahrt haben könnte. Zwei, drei Monate lang gingen nahezu täglich Briefe hin und her.

      Katharina tut etwas, was er zuvor noch nicht erlebt hat und was er selber nicht zu können glaubt: Sie liefert sich ihm aus. Binnen weniger Wochen erfährt er mehr über sie, als er je von sich preiszugeben bereit wäre. Sie gewährt ihm Einblicke in ihr Seelenleben, lässt ihn teilhaben an ihren Selbstzweifeln und vertraut ihm manches an, was Frauen üblicherweise nur Frauen mitteilen.

      Georg freut sich zunächst über so viel Offenheit und versucht, seinerseits, sich vorsichtig zu öffnen, erzählt von seinen Ängsten und seiner Schwermut, gesteht auch einmal Irrtümer ein, die er früher nie zugegeben hätte. Aber sobald sie darauf eingeht, zieht er sich sofort wieder zurück, als handle es sich um ein Missverständnis. Er weiß nicht, was von ihm bleibt, wenn sich das Bild, das sich andere von ihm machen sollen, langsam auflöst. Er fürchtet eine Blöße, die an düstere Kindheitserlebnisse erinnert.

      Mit sicherem Instinkt spürt sie seine Weigerung, mehr von sich preiszugeben. Doch je mehr sie ihn durch ihre beichtartigen Offenbarungen zu locken versucht, desto mehr verschließt er sich wieder. Katharina greift zu einem anderen Mittel: Sie bestätigt ihn, schreibt ihm, worum sie ihn beneide und was sie an ihm bewundere. Aber sie weckt damit Georgs Misstrauen. Als sie anfängt, Pläne für eine gemeinsame Zukunft zu entwerfen, fühlt sich Georg vereinnahmt und bremst mit vielen Argumenten ihre Fantasie. Noch einmal lehnt sie sich weit aus dem Fenster, als sie ihm ihre Liebe gesteht und behauptet, sich ihn aus ihrem Leben nicht mehr wegdenken zu wollen. Statt die Arme auszubreiten und sie aufzufangen, was seinem innersten Sehnen entspricht, lässt er sie los. Er hört sie förmlich aufs Pflaster aufschlagen. Aber er dreht sich nicht um und geht davon.

      Ihr Brief endet: Mein lieber Georg, Du hast in mir etwas geweckt, das ich verschüttet glaubte. Seit ich Dich besser kenne, fange ich an, mich besser kennenzulernen. Ich weiß, und das habe ich noch keinem gesagt, ich liebe Dich. So wie Du bist. Du brauchst vor mir keine Angst zu haben. Meine Ironie, die Dir manchmal zu schaffen macht, ist nur Ausdruck meiner tiefen Unsicherheit. Aber in Deiner Nähe wachse ich, werde ich sicherer und weicher. Ich will Dich nicht entzaubern, allenfalls verzaubern, wenn das geht, und das bis zu meinem Ende. Katharina

      Sein Brief endet: So wenig, wie Pilatus wusste, was Wahrheit ist, weiß ich, was Liebe ist. Mir geht das alles zu schnell. Ich brauche eine Auszeit, ehe ich weiß, was ich wirklich brauche. Sei mir nicht böse. Georg.

      Sie schreibt nicht wieder, ruft nicht wieder an.

      Er auch nicht.

      Als sie sich zwei Jahre später bei einem Podiumsgespräch zum Herbst 1989 in seiner Stadt wieder begegnen, verabreden sie sich in einem Café. Das Gespräch holpert so dahin. Sein Versuch, den Faden noch einmal aufzunehmen, misslingt. Sie wehrt ab: Lass sein. Am Abend sitzt er mit Teilnehmern des Podiums in einem Weinlokal. Irgendwann gesellt sich Katharina dazu, und er wundert sich, dass sie fast alle persönlich zu kennen scheint. Für sie ist er nur noch einer unter den anderen.

      Das Handy klingelte bzw. sang eine programmierte Kunstmelodie. Ariane wollte wissen, ob er gut angekommen sei und was er bisher gemacht habe.

      Und das mitten in der Nacht, fragte er.

      Ich bin eben vom Kino zurückgekommen. Wir haben noch eine Weile in einer Kneipe gehockt.

      Er erzählte von seiner Begegnung im Grater und erfand Grüße von Carlo. Weitere Einzelheiten wollte er auf den nächsten Abend verschoben wissen.

      Dann schlief er doch noch ein.

      Es dauerte einen Moment, bis er begriff, wo er sich befand, als ihn das Schnarren des Zimmertelefons aus flachen Morgenträumen riss. Mit halb geöffneten Augen tastete er nach dem Hörer. Ja?

      Sie wollten geweckt werden. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Tag.

      Danke, sagte er, aber da war der Hörer schon aufgelegt, oder es handelte sich um einen automatischen Weckruf. Mit einer Seitwärtsrolle drehte er sich aus dem Bett und zog die Vorhänge auf. Er kniff die Augen zusammen. Die Sonne stand genau auf seinem Fenster. Er reckte sich. Was für ein Morgen, jauchzte er. Warum nicht immer so. Er vergewisserte sich mit einem Blick auf die Armbanduhr, dass es tatsächlich eben acht gewesen war. Die Zeit würde ausreichen, sich in aller Ruhe fertig zu machen. Rasieren war erst in zwei Tagen wieder dran. Frühstücken würde er bei ihr. Also duschen, anziehen, Tasche greifen und los. Er könnte sich sogar noch einen kleinen Umweg leisten, um im Blumenkasten einen kleinen Strauß Teerosen zu ergattern. Oder würde sie das als anbiedernde Geste deuten? Dann eben Reformhaus, ein Glas Ghee ist vielleicht unverdächtiger.

      Können Sie das ein bisschen nett einwickeln?

      Wie bitte? Einwickeln? Sie meinen in Geschenkpapier? Nein, so etwas haben wir nicht, ist auch noch nie verlangt worden.

      Dann eben jetzt zum ersten Mal, beharrte er.

      Ich kann Ihnen nur einfaches Seidenpapier anbieten.

      Gut, wenigstens das, sagte er. Vielleicht haben Sie noch ein Band, mit dem sie es zusammenbinden können.

      Tut mir leid, ich habe nur Klebstreifen.

      Während sie das Glas in Seidenpapier einschlug, schaute er sich im Laden um. Die Wohlgeordnetheit weithin farbloser Gegenstände passte zu dem matten Apothekengeruch. Reformhäusern haftet meist eine sterile Langeweile an, als läge über ihnen der Hauch eines lustfreien und biederen Gesundheitswahns, stellte er fest. Die blasse Dame, die ihn bediente, sah in ihrem grau-oliven Strickzeug aus, als gehöre sie zum Inventar. Ganz anders die Atmosphäre in den Bio-Läden, in denen er seit drei Jahren verkehrte. Hier pulsierte das Leben. Junge Mütter mit kleinen Kindern, auch Väter, Studenten,