Hans im Glück oder Die Reise in den Westen. Christoph Kleemann

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Название Hans im Glück oder Die Reise in den Westen
Автор произведения Christoph Kleemann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783954625109



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      Als er aber sagt: Ihr Grünen ernährt euch wohl nur noch wie die Hühner, statt von Hühnern, wird sie scharf.

       Und ihr Ossis habt euern Demokratiemangel wohl vierzig Jahre lang mit Schweinefleisch kompensiert? Das war doch das Einzige, wofür ihr vor 1989 mal auf die Straße gegangen seid, oder?

      Frau Doktor haben Politik studiert, gibt er zurück. Dann müssten Frau Doktor wissen, dass es am 17. Juni 1953 nicht um Schweinefleisch, sondern um erhöhte Normen, mehr Demokratie und Abzug der Russen ging. Im Übrigen ist für Fleisch in der DDR niemand auf die Straße gegangen. Allerdings hat es immer mal Unruhe in den Betrieben gegeben, wenn über längere Zeit nur Dauerwurst im Angebot war oder im Gemüseladen nichts als Weiß- und Rotkohl.

      Aber als euch der Bohnenkaffee gestrichen wurde, da gab’s doch ordentlich Zoff, wendet sie ein.

      Das stimmt allerdings, sagt er. Zwar haben sie sich nicht getraut, den Bohnenkaffee gänzlich abzuschaffen. Aber die unerträgliche Mixtur aus Bohnenkaffee und Ersatzkaffee (bei uns sprach man von 50 Prozent Kaffeesatz mit 50 Prozent Kaffeeersatz) hat tatsächlich Massenproteste ausgelöst. Und wenn ich bei dir jetzt ebenfalls nur irgend so ein Surrogat angeboten bekomme, gehe auch ich auf die Straße bzw. über die Straße in die nächste Kneipe, eingeschnappte Wessifrau.

      Sie kommt auf ihn zu, lacht und küsst ihn.

       Ihr Ossis seid einfach zu blöd, in einer wohlgeordneten Küche einen Espressoautomaten zu erkennen. Espresso ist übrigens viel gesünder als dein Filterkaffee.

      Warum sagst du das nicht gleich? Für einen Espresso lasse ich mich auch auf dein Hühnerfutter ein, brummt er und stellt die Biobutter, den Biohonig und das Bioerdnussmus auf den Tisch.

      Aber Vegetarier seid ihr doch wohl alle, muss er sie noch einmal kitzeln.

      Nein, schreit sie, sind wir nicht, ich jedenfalls nicht. Bei mir gibt es meistens Schinken – Biorinderschinken, unterbricht er sie.

      – nein, Schweineschinken, luftgetrocknet. Aber der ist alle, verstehst du? Und die Eier auch. Später ist er es, der die Wessi-Ossi-Masche bedient. Sie unterhalten sich über die allgemeine Stimmung in der letzten Phase der DDR.

      Hast du eigentlich irgendwann unter der Mangelwirtschaft eures Systems gelitten, fragt sie ihn.

      Nein, antwortet er wahrheitsgemäß. Wir hatten zwar nie viel Geld und hätten es uns nie leisten können, die allgemeinen Versorgungsmängel über einen Einkauf in Delikat- und Exquisitläden auszugleichen. Aber wir hatten immer Westverbindungen. Kaffee z. B. haben wir nie kaufen müssen. Außerdem erhielten wir als kirchliche Mitarbeiter jährlich eine bestimmte Summe Westgeld, über die wir frei verfügen konnten.

       Hat das euer Wirtschaftsboss – wie hieß er doch gleich? Stoph?

       Mittag!

       Mittag hieß der? Na gut, hat das der Mittag denn geduldet?

       Also zum einen war der wahrscheinlich froh, dass eine ganze Menge Leute Westverbindungen hatte, weil das die DDR-Wirtschaft erheblich entlastete und manchmal auch kräftig Devisen ins Land schwemmte, über Genex und Intershop und so. Zum anderen, Frau Doktor, scheint mir das typisch Wessi zu sein, dass ihr nicht mal die Namen der Hauptgangster kennt, weil euch die DDR nicht wirklich interessiert hat. Bei euch wurde nur immer gefaselt von Wiedervereinigung und Schwestern und Brüdern im Osten. In Wahrheit ging euch der Alltag im Osten doch am Allerwertesten vorbei. Wenn du bei uns durchschnittlich gebildete Leute gefragt hättest, wer in der Bundesrepublik gerade Postminister ist, sie hätten es gewusst.

      Sie schweigt. Dann sagt sie: Mag sein, dass du recht hast. Der Gedanke an eine Wiedervereinigung wurde ja vor allem von den Konservativen hochgehalten. An eine Realisierung hat weder von denen noch von der SPD einer geglaubt, fürchte ich. Aber Kurt Schumacher!

       Ja, mein Gott, wann war das? Und was die Schwestern und Brüder angeht, sei mal ganz vorsichtig. In deiner Firma, ich meine in der Kirche, verbergen sich unter dieser familiären Floskel ja auch allerhand Unbarmherzigkeiten. Oder?

      Jetzt schweigt er und denkt, wie recht sie hat.

      Georg verließ sein Bett und goss sich ein Glas Wasser ein. Der Platz zwischen Bahnhof und Hotel lag in einem milchigen Licht, die Glaskörper der Laternen umgab ein neblig gelber Hof. Ein Taxi lag vor dem Bahnhofseingang auf Lauer. Sonst kein Mensch weit und breit. Georg legte sich wieder hin.

      In die kurze Zeit ihrer Zuneigung fällt auch die Einladung des Bundespräsidenten zum letzten Sommerfest in Bonn. Georg fragt Katharina, ob sie mitkommen wolle. Na klar, sagt sie, an deiner Seite immer. Sie ahnt noch nicht, wie kurz dieses immer währen wird. Es ist ein warmer Sommerabend, als sie sich in die Schlange einreihen, die eine Schleuse zum Garten der Villa Hammerschmidt passieren muss. Man zeigt die Einladung, die zwei Damen mit einer Anmeldungsliste vergleichen, wird einer kleinen optischen Inspektion unterzogen und befindet sich in einem weiträumigen Gelände, das mit Bühnen und Partyzelten, Freiluftcafés und Ruheplätzen reichlich ausgestattet ist. Sie bleiben eng beieinander, um in dem unerwarteten Menschengewühl nicht verloren zu gehen. Je weiter sie aber in den Park hinein gelangen, desto mehr lichtet sich das Gelände von Besuchern. Er glaubt noch immer, der Bundespräsident werde sein Fest persönlich eröffnen, mit einer launigen Rede vielleicht, begleitet von einer musikalischen Darbietung, wenigstens mit einem persönlichen Willkommensgruß. Aber nichts dergleichen. Irgendwann bemerken sie, dass die Gäste sich bereits Tische und Bänke gesucht haben, um sich kulinarisch verwöhnen zu lassen. Sie stellen sich an einem Tresen an, lassen sich Kassler und Sauerkraut (Katharina: Kassler!) auffüllen und nehmen zwischen anderen sommerlich-festlich gekleideten Damen und Herren Platz. Es ist nicht schwer zu erraten, woher die meisten stammen. Ihr rheinischer Tonfall verrät, der bisherige Dienstort des Bundespräsidenten muss überproportional vertreten sein. Eine Weile hören sie schweigend dem Gespräch der anderen zu, die sich offenbar kennen.

      Man wertet soeben mit vollem Mund und unter heftigem Geproste die deutsche Vereinigung aus. Wenn man gewusst hätte, was das alles kosten würde, hätte man besser Abstand davon genommen. Die Mauer habe doch auch ihr Gutes gehabt. Es habe einem ja an nichts gefehlt. An den Ostdeutschen am allerwenigsten, wirft ein molliger Typ ein, der gewiss als Ministerialdirigent oder so etwas seine Brötchen verdient.

      Die Bemerkung löst Heiterkeit aus und stachelt offenbar zu weiteren Eskapaden an. Die kleinen Honeckers kämen ja jetzt alle her und wollten ihr Stück vom großen Kuchen. Hätten sie mal den eigenen nicht so lange anbrennen lassen. Lachen.

      Man sieht ja, was die Ostdeutschen, die der Alte in die Politik gehievt hat, zuwege gebracht haben! Lachen. Ortleb, Pohl, de Maizière! Lachen. Und dann Krause! Lautes Lachen. Und sein Ziehkind Merkel!

      Vorsicht, Vorsicht, die werden wir so schnell nicht wieder los, sagt einer in das Gelächter hinein. Für einen Moment ebbt das Lachen ab.

      Also ich kenn auch einen, bemerkt einer der Herren, der mal eine Klasse übersprungen hat. Aber der war einfach gut in der Schule. Die Zonis wollen gleich vom KZ ins Paradies. Jetzt hält es Georg nicht länger. Entschuldigung, mischt er sich ein, ich bin auch so ein Zoni, lediglich dass ich nicht aus dem KZ komme und auch nicht ins Paradies geraten bin.

      Katharina stößt ihn mit dem Knie an. Der Mollige funkelt ihn an, steht auf und holt sich neues Essen, andere schließen sich ihm an, kehren aber nicht an den Tisch zurück. Zwei Damen reagieren bestürzt. Nein, so sei das natürlich nicht gemeint gewesen. Sie wüssten schon, dass es auch im Osten anständige und fleißige Leute gäbe. Aber sie hätten doch den Eindruck, dass der Anschluss den Westen überfordere. Immerhin habe die Bundesrepublik auch ihre Probleme.

      Zu der wir inzwischen seit einigen Jahren dazugehören, wirft Georg ein.

       Natürlich, ja. Wo kommen Sie denn her.

      Er nennt den Namen seiner Stadt.

       Ach,