Hans im Glück oder Die Reise in den Westen. Christoph Kleemann

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Название Hans im Glück oder Die Reise in den Westen
Автор произведения Christoph Kleemann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783954625109



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des Runden Tisches im Rathaus tätig war und den Sitzungen des Runden Tisches selber, wo alle wichtigen kulturpolitischen Entscheidungen diskutiert wurden.

      Und haben die alten SED-Mitarbeiter Sie gelinkt, fragte einer der Männer, ein sehniger Typ mit hervorstehenden Backenknochen und einem Mund wie Udo Lindenberg.

      Frieder Nauheim, erklärte Carlo, einer von uns.

      Versucht haben sie es schon, sagte Georg. Aber einer in meinem Ressort, der erkannt hatte, dass die Zeit der führenden Partei abgelaufen ist, verhielt sich loyal und beriet mich gut. In einem vertraulichen Gespräch räumte er mir gegenüber ein, der Partei seien nicht nur schwere Fehler anzulasten, sie habe ihre Mitglieder geradezu charakterlich deformiert, indem sie jeden Ansatz von kritischem Mitdenken als parteischädigendes Verhalten denunziert habe. Herausgekommen sei eine ängstliche, angepasste und auf ihren kleinen Vorteil bedachte Gattung Mensch, mit der man eigentlich nichts mehr anfangen könne. Dieser Mann hat mir den Rücken freigehalten. Was sonst hinter meinem Rücken noch alles abgelaufen sein mag, werde ich wahrscheinlich nie erfahren.

      Der Wirt nahm die Bestellung auf. Die Herren hatten sich auf Forelle geeinigt. Georg schloss sich ihnen an.

      Und einen Weißen, sagte Carlo, für unseren Gast. Oder trinkst du lieber Roten? Georg bejahte.

      Also noch eine Flasche von dem Roten bitte.

      Und warum sind Sie nicht Stadtrat geblieben? Ein junger, straff gescheitelter Teilnehmer der Runde schaute ihn aus einem klugen Gesicht über den aufgestützten Ellenbogen herausfordernd an.

      Das ist übrigens Faber Schmidt-Weirich, unser FDP-Vertreter im Kulturausschuss des Stadtparlaments.

      Georg nickte ihm zu und sagte: Hätte ich mir denken können, gelbe Krawatte mit blauen Punkten, sozusagen Berufsbekleidung.

      Sein Gegenüber griente: Da haben’s die Genossen von der SPD schwerer. Die müssen sich ihre rote Krawatte mit den Kommunisten teilen.

      Die Herren lachten, und Carlo fügte hinzu: Bloß gut, dass wir uns nicht auf Farben festlegen lassen. Was sollte sonst unser Freund Heidenreich sagen. Der dürfte zu seinem Schwarzen ja nie die passende Krawatte tragen, um nicht den Eindruck zu vermitteln, die CDU trüge eben die deutsche Politik zu Grabe.

      Der Angesprochene lachte ein bisschen zu heftig für den harmlosen Witz.

      Aber nun zu Fabers Frage, nahm Carlo den Faden wieder auf und schaute Georg erwartungsvoll an.

      Dass ich nicht Stadtrat geblieben bin, sagte Georg, hat einen ganz einfachen Grund: Es gab Wahlen, und ich gehörte keiner Partei an.

      Und warum gehörten Sie keiner Partei an, bohrte der nach.

      Ja, das werden die Herren wohl schwer nachvollziehen können. Ich bin in einem Staat herangewachsen, in dem es eigentlich nur eine Partei gab, die nicht nur die Macht, sondern auch die Wahrheit für sich beanspruchte. Die anderen zugelassenen Parteien führten ein Schattendasein, soweit sie sich nicht noch links von der SED zu profilieren versuchten. Für mich hat das Wort Partei vierzig Jahre lang einen unangenehmen Klang gehabt. Deshalb fand ich meine politische Heimat 1989 in den Bürgerbewegungen, vor allem im Neuen Forum. Freunde von mir sind sehr schnell in die frisch aus der Taufe gehobene SDP eingetreten, andere in die CDU oder Liberale Partei, als sich deren westliche Schwesterparteien um sie zu kümmern begannen. Ich fühlte mich am wohlsten unter den aktiven Parteilosen, die plötzlich – wie Pilze nach einem warmen Herbstregen aus der Erde schießen – von wer weiß woher bei uns auftauchten und mitmachen wollten, Menschen, die ich in unserer Stadt noch nie gesehen hatte und die so unverbraucht und ideenreich auftraten, dass es eine Freude war, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Da gab es keine Hierarchie und keine Ideologie, kein Postengerangel, kein – ach, vielleicht sollte ich hier lieber Schluss machen. Nicht dass sich jemand von Ihnen angegriffen fühlt.

      Da musst du nicht bange sein, griff Carlo ein, wir arbeiten heute in unseren Parteien auch mit Parteilosen zusammen, wir haben sogar schon einen parteilosen Stadtrat durchgekriegt. Dass die dich damals nicht als Parteilosen übernommen haben, verstehe ich immer noch nicht. Na ja, sagte Georg, sie haben mir ja ein Angebot gemacht. Der SPD-Vorsitzende suchte mich heim …

      Hört, hört, mischte sich Schmidt-Weirig ein, wenn die SPD kommt, ist es wie eine Heimsuchung!

      … Pardon, fuhr Georg fort, ich meine, er suchte mich auf und erklärte, man wolle, dass ich das Amt fortführe, für die SPD sozusagen. Als ich nach der Bedingung fragte, wurde mir unmissverständlich nahegelegt, dann auch bald Parteimitglied zu werden. Und das genau konnte ich nicht versprechen.

      Georg schaute in die Runde und gewann den Eindruck, er habe Grenzland betreten. Carlo überspielte die plötzliche Stille mit einem Themenwechsel: Du bist jetzt Lehrer, habe ich gehört?

      Auch das ist Vergangenheit, sagte Georg. Ein paar Jahre habe ich mich mit Religion und Philosophie an einem Privatgymnasium durchgeschlagen. Inzwischen leite ich die Landesstelle für Dokumentation, Information und Erforschung von Widerstand und Opposition in den drei Nordbezirken der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, kurz LIEWO.

      Sag bloß, warf Carlo ein. So etwas gibt es? Der Name ist ja fast so unaussprechlich wie die offizielle Bezeichnung der sogenannten Gauck-Behörde.

      Georg nickte: Mit der arbeiten wir zwangsläufig auch eng zusammen.

      Und was macht ihr da so, wollte Carlo wissen.

      Das ist eine längere Geschichte, sagte Georg. Als ich den Auftrag erhielt, mit zwei Mitarbeiterinnen und mit bescheidensten Mitteln eine solche Stelle aufzubauen, saßen wir in einem kleinen Büro, besaßen drei Schreibtische, einen Computer und drei leere Wandregale und fingen an, Dokumente zu sammeln.

      Das heißt? Carlo zeigte sich ehrlich interessiert.

      Die Programme und Aufrufe der Bürgerbewegungen zum Beispiel oder Protokolle der Sprecherräte und Fachgruppen. Ebenso alle Dokumente von Friedens- und Umweltgruppen aus den frühen Achtzigerjahren, darunter auch Flugblätter, Offene Briefe und interne Informationen. Später haben wir die Sammlung auch auf alles ausgedehnt, was uns an Samisdat in die Finger kam, im Ormig-Verfahren vervielfältigte Gedichte und Texte, Satirisches und investigative Dokumente, vor allem zu ökologischen Fragen. Aber auch die Plakate und Transparente der Demonstranten aus dem Herbst 89 befinden sich bei uns. Inzwischen gehören auch Materialien der 1989 sich wandelnden alten Parteien sowie der neuen, also SDP und DSU zu unserem Bestand.

      Die Männer am Tisch horchten auf.

      Haben die denn alles freiwillig rausgerückt, meldete sich einer aus dem Kreis zu Wort, ein blasser Mittdreißiger mit Stoppelhaaren und Schnauzbart.

      Werner Bächlein, stellte ihn Carlo vor, einer unserer jungen Wilden aus der SPD-Fraktion. Ich könnte mir vorstellen, fuhr der fort, dass sich manche schwer damit getan haben.

      Georg berichtete von den Schwierigkeiten, auf die er dabei gestoßen war. Die einen hatten ein Privatarchiv angelegt und hüteten es wie ihren Augapfel. Andere gaben an, alles aus dieser Zeit in Kartons verstaut zu haben, an die sie in nächster Zeit nicht herankämen. Viele hatten alles, was an jene Zeit erinnerte, längst geschreddert. Es gab auch solche, die Geld dafür haben wollten. Nach einer Aufbauphase von zwei Jahren sei aber doch eine beachtliche Sammlung zustande gekommen, die seitdem ständig nach hinten erweitert werde, bis in die frühen Fünfzigerjahre hinein. Inzwischen fülle allein das Archiv Herbst 89 einen ganzen Raum, andere Räume der zu einem stattlichen Institut angewachsenen Landesstelle beherbergten Dokumente zum 17. Juni 1953 im Norden der DDR, Materialien zum Thema kirchlicher Widerstand, zu Streiks in volkseigenen Betrieben, Papiere aus den Arbeitskreisen der ehemaligen Bausoldaten und Totalverweigerer, Reaktionen auf den Prager Frühling und den Einmarsch 1968, auf die KSZE-Tagung in Helsinki, Papiere zur Ausreisebewegung und vieles mehr.

      Und was machen Sie mit all den Dokumenten – Alfred Heidenreich, unterbrach ihn Carlo mit einem Seitenblick zu Georg, CDU-Fraktion, wie du ja inzwischen mitgekriegt hast –, gehören die nicht eher in Ihr Landesarchiv?

      Irgendwann werden sie dort eingegliedert werden, antwortete Georg. Die Landesstelle ist eine temporäre Einrichtung.