Ryloven. Manuel Tschmelak

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Название Ryloven
Автор произведения Manuel Tschmelak
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076872



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Gestalt erkennen.

      „Steck das Messer weg, Junge“, befahl der Mann leise, doch laut genug, um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen. Wills Körper entspannte sich sofort und so schnell, dass Keron es gar nicht sehen konnte, verschwand der Gegenstand in Wills Hand auch schon wieder. Nun kam die Gestalt weiter ins Zimmer hinein und Keron erkannte, wer ihr Besucher war: Sir Nicolas.

      „Packt eure Sachen zusammen! Wir müssen Reduna so schnell wie möglich verlassen.“

      „Was??? Aber …“

      „Keine Diskussion, es ist hier nicht mehr sicher. Beeilt euch, wir treffen uns im Stall“, schnitt Sir Nicolas Will das Wort ab und verließ das Zimmer mit einem leichten Hinken.

      Keron zog sich fertig an und packte alle seine Habseligkeiten in einen kleinen ledernen Reisebeutel. Und auch Will machte sich schnell daran, seine Sachen zusammenzusuchen und kurz darauf waren die beiden aufbruchsbereit. Keron öffnete die Tür einen Spalt breit und spähte in den dahinter liegenden dunklen Flur. Niemand war zu sehen. Unsicher betraten die beiden den Flur und stiegen leise die Treppe hinunter. „Da noch alles dunkel ist, muss es noch tief in der Nacht sein“, folgerte Keron in Gedanken. Doch trotz der Finsternis schafften sie es, ohne dabei zu stürzen, in den Schankraum. Schnell und vorsichtig gingen Will und Keron auf die Tür zum Stall zu. Doch noch bevor Will seine Hand auf den Türknauf legen konnte, wurde die Tür von der anderen Seite geöffnet. Kerons Muskeln entspannten sich wieder, als er den großen Wirt in der Tür stehen sah.

      „Kommt schnell“, brummte er und hielt die Tür für sie offen. Mit schnellen Schritten durchquerten sie den Stall, bis sie die Pferde erreichten, die Nicolas gerade sattelte. Nachdem die drei ihr Gepäck auf den Sätteln festgebunden hatten, führten sie die Pferde nach draußen.

      „Pass auf dich auf, Kleiner“, verabschiedete sich Bert von Will, als dieser gerade auf sein Pferd stieg.

      „Reitet schon einmal vor, in Richtung des westlichen Tores. Will, du kennst den Weg. Ich komme gleich nach“, sagte Sir Nicolas mit ernster Miene, die jedes Widerwort unterband. Will hob die Hand zum Abschied. In diesem Moment bemerkte er am Dach des gegenüberliegenden Hauses eine Bewegung.

      „Passt auf“, rief er noch im Wegreiten, aber da sirrte das Geschoss schon durch die Luft. Sir Nicolas hechtete auf die Seite, jedoch konnte Bert nicht so schnell reagieren wie der Reichsschütze und brach mit einem dumpfen Laut zusammen. Ein dunkler Fleck breitete sich auf der Brust des Wirtes aus und in dessen Mitte steckte ein Dolch, der dem in Sir Nicolas Tasche auf beunruhigende Weise glich. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung hievte er sich auf sein Pferd und ritt Will und Keron hinterher. „Es tut mir leid, alter Freund. Es wird die Zeit kommen, in der mir dein Mörder Rede und Antwort stehen muss.“

      Er floh, so schnell sein Pferd es zuließ, aber er schaffte es trotzdem nicht, seinen Verfolger abzuschütteln. Erneut verblüffte ihn die Schnelligkeit, mit der sich der Nah’rane bewegte. Flink und ohne ein Anzeichen von Müdigkeit sprang er von Dach zu Dach, die in diesem Viertel der Stadt alle gleich hoch waren. Sir Nicolas setzte sich im Sattel auf und steuerte sein Pferd nun nur noch mit den Beinen, während er seinen Bogen nahm, den er an seinem Sattelknauf befestigt hatte, einen Pfeil anlegte und auf seinen Verfolger schoss. Der Pfeil sirrte durch die Luft und verfehlte sein Ziel, das blitzschnell die Richtung änderte und hinter einem Kamin verschwand. Kurz darauf hatte er seine beiden Schüler eingeholt und zusammen ritten sie im vollen Galopp durch die verlassenen Straßen von Reduna.

      „Was ist passiert? Wie geht es Bert?“, fragte Keron. Doch Sir Nicolas antwortete nur mit einem einzigen Wort: „Später.“

      „Aber …“

      „Ich sagte später!“, schnitt ihm Nicolas das Wort ab. „Wir sind immer noch nicht außer Gefahr!“

      Ohne ein weiteres Wort zu sagen, preschten die drei weiter voran. Als die Wachen beim Tor Sir Nicolas erkannten, öffneten sie auf seinen Befehl hin das große Holztor und ließen sie passieren. Nachdem sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, drehte sich Keron noch einmal um und konnte schwören jemanden die Mauer hinunterspringen gesehen zu haben. Diesen absurden Gedanken verwarf er gleich wieder, weil dieser Sprung von so einer Höhe bestimmt jeden getötet hätte. Sie ritten die ganze Nacht hindurch, bis schon die ersten Sonnenstrahlen hinter den grünen Hügeln hervorkamen. Während ihres Weges versuchten Keron und Will immer wieder zu erfragen, was in der Abwesenheit von Sir Nicolas eigentlich passiert war und wohin sie jetzt unterwegs waren. Aber sie erhielten keine Antwort.

      Keron kam es wie eine Ewigkeit vor, bis Nicolas vor ihm in einem Wäldchen anhielt und entschied, dass sie hier im Schutz der Bäume ihr Lager aufschlagen würden. Erleichtert, dass er endlich aus dem Sattel steigen konnte, nahm Keron sein Gepäck von Weher und begann sein kleines Zelt aufzustellen. Während die drei ihr Lager aufbauten, sprach keiner von ihnen ein Wort. Erst als sie fertig waren und Sir Nicolas mit Zweigen im Arm, die er für ein Lagerfeuer gesammelt hatte, zurückkam, konnte sich Will nicht mehr beherrschen.

      „Dürfen wir endlich erfahren, warum wir wie die Besessenen um unser Leben reiten mussten?“

      Sir Nicolas antwortete nicht, sondern schlichtete die Zweige zu einem Haufen und begann seine Wunden zu versorgen. Will machte bereits wieder den Mund auf, doch noch bevor er etwas sagen konnte, beantwortete Sir Nicolas seine Frage: „Ich weiß nicht genau, warum man uns angegriffen hat. Aber ich glaube zu wissen, wer versucht hat uns zu töten.“

      „Und wer war es?“, mischte sich nun auch Keron ein.

      „Ein Nah’rane.“

      „Was ist denn ein Nah’rane?“, wollten Keron und Will wissen.

      „Das hätte ich schon erklärt, wenn ihr mich nicht immer unterbrechen würdet“, entgegnete Sir Nicolas zornig. „Ich bin während unserer Reisen immer wieder auf Gerüchte über sie gestoßen. Der Orden der Nah’rane besteht aus kaltblütigen Mördern. Den Besten, wie so mancher behauptet. Sie besitzen besondere Fähigkeiten und das ist es, was sie so gefährlich macht. Früher wurden sie von vielen hohen Adeligen als Attentäter angeheuert, aber der König verhängte einen Bann über die Gilde der Nah’rane und erklärte, dass wenn er von irgendeinem Adeligen hörte, der einen Nah’ranen in seinen Diensten hätte, er ihn aus seinem Reich verbannen und alle seine Besitztümer beschlagnahmen würde. Es dauerte nicht lange, bis kein Adeliger mehr dumm genug war dieses Gesetz zu brechen. Und deshalb verschwanden auch die Nah’rane mit der Zeit aus der Öffentlichkeit und dem Bewusstsein der Menschen. Immer wieder gab es zwar Gerüchte von Nah’ranen, doch bis gestern gab es keine Beweise, dass die Gilde im Untergrund noch existiert.“

      Will und Keron erbleichten, setzten sich dann und lauschten Sir Nicolas, während er berichtete, was ihm auf seinem Rückweg vom Schloss passiert war. Als er seine Geschichte zu Ende erzählt hatte, holte er den Dolch, den er in seiner Tasche verwahrt hatte, heraus und zeigte ihn den beiden.

      „Er ist sehr scharf“, erklärte Sir Nicolas, „Legenden zufolge, werden ihre Klingen nie stumpf. Aber ich vermute eher, dass ihre Schmiedekunst so gut ist, dass die Klinge einfach nur sehr lange scharf bleibt. Allerdings weiß niemand, wie sie das anstellen.“

      Begeistert nahm Will den Dolch entgegen und wiegte ihn in der Hand. „Er ist perfekt ausbalanciert“, bemerkte er und Sir Nicolas nickte.

      „Ja, das ist er, weil sie ihn auch als Wurfmesser benutzen. Eine Tatsache, die uns leider nur allzu deutlich bewiesen wurde.“

      Keron dachte schmerzlich an den überraschten Gesichtsausdruck von Bert. Während Will den Dolch noch genau betrachtete, stellte Keron eine Frage, die ihn sehr beschäftigte: „Ist dieser Nah’rane immer noch hinter uns her?“

      „Ich glaube nicht, aber wir sollten uns nicht zu sicher fühlen. Zuerst werden wir uns hier etwas ausruhen und dann zu einem verlassenen Ort im Norden aufbrechen. Da wir nicht wissen, warum wir angegriffen wurden, halte ich es für das Beste, wenn wir für eine Weile untertauchen.“

      „Was ist das für ein Ort, zu dem wir reiten?“, fragte Will, als er den Dolch an Keron weiterreichte.

      „Es ist ein alter Zufluchtsort meines Ordens.