Название | Ryloven |
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Автор произведения | Manuel Tschmelak |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991076872 |
„Ja“, antwortete Keron nur und betrachtete den Mann genauer. Er hatte kurze braune Haare, die schon die eine oder andere graue Strähne aufwiesen, und ein recht markantes Gesicht sowie einen gut durchtrainierten Körper, soweit Keron dies durch seine Kleidung erkennen konnte.
„Ich bin Sir Nicolas Tirion. Ich habe von deiner Lage erfahren und biete an dir zu helfen. Wenn du willens bist, mit mir zu kommen, möchte ich dir die Chance geben, von mir zu lernen“, sagte der Mann mit seiner rauen Stimme.
Keron war vollkommen perplex ob dieses Angebotes und brachte nur ein „Wieso?“ heraus.
Sir Nicolas wirkte nicht überrascht und antwortete prompt: „Zum einen kannte ich Sir Francis sehr gut und bin äußerst betrübt über seinen Tod. Zum anderen starb auch mein Meister, als ich mich noch in der Ausbildung befand, und Sir Francis half mir, einen neuen Ausbildungsplatz zu finden. Deswegen weiß ich, wie es dir jetzt geht. Also, ja oder nein, Junge?“
Kurz trat Stille ein. Doch dann traf Keron eine Entscheidung. „Ja, mein Herr. Es wäre mir eine Ehre unter Euch zu lernen“, sagte er, als er seine Stimme wiedergefunden hatte.
Keron verbeugte sich kurz, woraufhin der Mann sich umdrehte und wieder, ohne ein Geräusch zu verursachen, fortging. „Dann komm. Wir holen auf dem Weg noch deine Sachen. Ich selbst wohne, für den Moment, nicht weit von hier in einem Gasthof.“ Keron grinste ein klein wenig. Zum ersten Mal seit Stunden verspürte er so etwas wie Hoffnung. Es würde also doch mit ihm weitergehen. Wenn er religiös gewesen wäre, hätte er geglaubt, dass eine höhere Macht eine schützende Hand über ihn gehalten hatte. Er kannte zwar diesen Mann nicht, aber wenn er wirklich ein Freund von Sir Francis gewesen war, konnte er ihm vielleicht helfen. Außerdem hätte er ohnehin nicht gewusst, was er sonst hätte tun sollen. Nun bot sich zumindest eine Möglichkeit, die er ergreifen konnte.
Es war mittlerweile schon tiefste Nacht, als Keron, seinen Reisebeutel geschultert, neben Sir Nicolas durch die Stadt wanderte. Sie gingen eine Zeit lang immer weiter nach Norden ins Innere von Reduna und dann gegen Osten. Während sie ihren Weg durch die verlassenen Straßen der Hauptstadt suchten, kamen sie an mehreren Gasthäusern vorbei, in denen noch einige Menschen ausgelassen feierten. Als sie gerade wieder einmal an einem dieser Häuser vorbeigingen, aus dem laute Musik drang, wurde plötzlich ein Mann aus der Tür geworfen, der genau vor ihren Füßen landete. Keron rutschte ein erschrockener Schrei heraus, aber Nicolas ließ sich nichts anmerken und half dem bedauernswerten Geschöpf auf die Füße, welcher betrunken etwas murmelte, das wie ein „danke, Sir“ klang, und dann wieder in den Gasthof zurück wankte.
Die beiden setzten ihren Weg durch die dunklen Gassen von Reduna fort, ohne dass Sir Nicolas auch nur ein einziges weiteres Wort mit Keron gewechselt hatte. Schließlich hielt Keron diese Stille zwischen ihnen einfach nicht mehr aus. Er hatte so viele Fragen.
„Haben Sie Sir Francis wirklich gekannt?“ Es war eigentlich eine dumme Frage, da er die Antwort ja schon erhalten hatte, doch es war ein Anfang. „Ja, das habe ich. Ich habe ihn kennengelernt, als ich so in deinem Alter war, vielleicht etwas älter, und mein Ausbilder gestorben war. Sir Francis hätte mich als seinen eigenen Schüler aufgenommen, allerdings hatte er damals schon einen Lehrling, der ihn begleitete, und half mir deshalb, als Schüler der Reichsschützen aufgenommen zu werden. Aber genug jetzt von der alten Zeit. Wir können uns morgen weiter unterhalten“, sagte er und beendete damit das Gespräch wieder. Keron wusste damals nicht viel über die Reichsschützen, nur dass sie die besten Bogenschützen des Landes waren, direkt dem König unterstanden und dass sich die einfachen Bürger viele Geschichten über sie erzählten, von denen eine unwahrscheinlicher war als die andere. Keron wollte unbedingt wissen, ob sein neuer Lehrmeister nach seiner Ausbildung bei den Reichsschützen auch in der Lage war, so gut mit dem Bogen umzugehen, wie es der Volksmund von den Reichsschützen erzählte. Doch Nicolas hatte ziemlich deutlich gemacht, dass das Gespräch für heute beendet war. Daher fragte Keron ihn nicht weiter aus, damit er ihn nicht jetzt schon gegen sich aufbrachte, indem er etwas Dummes tat.
Kurz darauf kamen sie offenbar an jenem Ort an, zu dem Nicolas sie führte. Sie standen Schulter an Schulter vor einem kleinen Gasthof, der „Der wilde Bär“ hieß und ein kleines rotes Schild über der Tür hatte, auf dem ein Bär mit einem Bierkrug dargestellt war. Aus der Eingangstür drang etwas Licht heraus und man konnte die Stimmen der Leute hören, die sich im Gastraum unterhielten. Keron folgte Sir Nicolas in den Schankraum, der voll mit Menschen war, die lachten, tranken und sich angeregt unterhielten. Sir Nicolas nickte dem Wirt kurz zu, der seinerseits zurücknickte, und durchquerte dann den Raum. Keron fand, dass der Wirt mit seinem langen struppigen Bart und dem außerordentlich großen und muskulösen Körper im Licht des Kamins und der Kerzen wirklich etwas von einem Bären hatte. Sie bahnten sich einen Weg durch die munteren Leute und gingen in den zweiten Stock hinauf. Nicolas zeigte Keron die Tür zu seinem Zimmer, flüsterte „gute Nacht“ und verschwand dann im Zimmer nebenan. Keron wunderte sich über die Wortkargheit seines neuen Lehrmeisters. Er konnte diesen Mann einfach noch nicht einschätzen.
Keron öffnete zaghaft die Tür, die mit einem leisen Quietschen aufschwang, und wartete ein bisschen, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann entdeckte er, dass es zwei Betten, zwei kleine Tische neben den Betten und einen runden Tisch mit zwei Sesseln in der Mitte des Raumes gab. Eines von den beiden Betten war leer, doch in dem anderen schlief schon jemand. Keron versuchte sich so langsam und leise wie möglich zum leeren Bett zu bewegen, aber leider war der Boden alt und knarrte unter Kerons Gewicht. Er setzte sich auf das freie Bett und bemerkte plötzlich, wie müde ihn die Ereignisse des Tages gemacht hatten. Er breitete sich auf der überraschend weichen Matratze aus und versuchte schnell einzuschlafen. Doch jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er Sir Francis vor seinem geistigen Auge blutend in dieser Gasse liegen. Wieder einmal staunte er darüber, wie schnell sich das Leben eines Menschen ändern konnte. Allerdings hatte er nicht viele Alternativen. Er musste irgendwie weitermachen. Dies hatte ihm sein bisheriges Leben beigebracht. Es musste immer irgendwie weitergehen.
Da er einfach nicht einschlafen konnte, lag Keron einige Zeit nur da und lauschte den Geräuschen der Nacht. Von unten hörte er die gedämpften Stimmen der Leute, die noch tranken und lachten. Er vernahm auch die leisen regelmäßigen Atemzüge der Person, die neben ihm, auf der anderen Seite des Zimmers schlief. Doch aus dem Nebenzimmer, wo sich Nicolas aufhielt, hörte er keinen einzigen Laut. Es dauerte noch einige Zeit, bis es im Schankraum unter ihnen ruhig wurde und Keron endlich vor Übermüdung einschlief. Er fiel erschöpft in die Welt der Träume, die diese Nacht vom Tod Sir Francis’ und dem Blut handelten, das er an diesem Tag zu sehen bekommen hatte.
Nächtliche Flucht
Am nächsten Morgen wurde Keron vom Licht geweckt, das durch das Fenster genau auf sein Gesicht schien. Langsam richtete er sich im Bett auf und gähnte. Er fühlte sich nicht ausgeruht, denn er hatte nicht gut geschlafen. Immer wieder träumte er vom toten Körper seines früheren Lehrmeisters und auch jetzt noch konnte Keron den blutigen Leichnam vor seinem geistigen Auge sehen. Deshalb entschied er, nicht länger liegen zu bleiben, sondern aufzustehen und seine neue Umgebung bei Lichte zu entdecken. Keron stand auf, nahm sein Hemd, das er am Abend zuvor abgelegt hatte, und streifte es sich über. Erst dann realisierte er, dass letzte Nacht noch jemand in diesem Zimmer geschlafen hatte. Er versuchte sich so beiläufig wie möglich umzudrehen und als er das verwaiste Bett erblickte, atmete er erleichtert auf. Anscheinend war sein Zimmergenosse schon sehr früh am Morgen aufgestanden und hatte das Zimmer verlassen, ohne dass Keron es bemerkt hatte.
Schlaftrunken wankte er zum Fenster und warf einen Blick hinaus auf die Straße. Es war ein sehr schöner Frühlingstag und die Händler fuhren mit Karren, auf denen sie ihre Waren geladen hatten, unter seinem Fenster in Richtung des großen Marktes von Reduna. Da Reduna die Hauptstadt des Reiches Ryloven war, kamen Händler aus allen Ecken des Landes, um ihre Waren am berühmtesten Markt des Reiches feilzubieten. Keron hatte bis jetzt noch keine Zeit gehabt, sich das Treiben und Feilschen der Leute auf diesem Markt anzusehen, aber er nahm sich fest vor die Stadt in den nächsten Tagen, wenn möglich, zu erkunden. Mit Mühe wendete sich Keron vom Fenster und dem Treiben unter ihm ab und ging auf die Tür zu, um sich etwas umzusehen. Als er an dem kleinen runden Eichentisch