Ryloven. Manuel Tschmelak

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Название Ryloven
Автор произведения Manuel Tschmelak
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076872



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stellte er fest, dass der Zettel an ihn adressiert war:

      Nicolas hat mir gesagt, dass wir einen Neuzugang haben und ich mich um dich kümmern soll, während er in der Stadt etwas zu erledigen hat. Wenn du bereit bist, findest du mich in den Stallungen des Gasthofs.

      Will.

      Keron las die Nachricht erneut und steckte sie dann in die Innentasche seines Hemdes. Von Neugierde getrieben, weil er erfahren wollte, wer dieser Will war, öffnete er die Tür und betrat den Flur. Er ging gerade die Treppe hinunter, als er fast mit einem Mädchen zusammenstieß. Nachdem er sich höflich entschuldigt hatte, grüßte er sie und sie stellten sich einander vor. Ihr Name war Clara. Die Tochter des Wirtes war ungefähr in seinem Alter, hatte langes, welliges braunes Haar und einige ihrer Haarsträhnen waren zu Zöpfen geflochten. Aber was Keron besonders an ihrem Aussehen fesselte, waren ihre strahlend blauen Augen, die ihn in ihren Bann zogen. Als er bemerkte, dass er sie schon einige Zeit lang anstarrte, wurde er etwas rot und verabschiedete sich schnell. Die Treppe weiter hinuntergehend stellte er fest, dass er zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte. Im Schankraum angekommen, saßen viel weniger Menschen an den Tischen als am vergangenen Abend. Viel weniger war eigentlich noch untertrieben, denn es saß nur ein einziger Mann in einer dunkleren Ecke des Raumes, dessen Gesicht Keron nicht erkennen konnte, weil es von der Kapuze seines Umhanges fast vollkommen verdeckt wurde. Keron kümmerte sich nicht weiter um diesen Mann und ging auf die andere Seite des Raumes, an der der Wirt gerade Krüge hinter der Theke säuberte.

      „Guten Morgen“, brummte der Wirt mit seiner tiefen rauen Stimme, die seine Ähnlichkeit mit einem Bären nur noch deutlicher machte.

      „Guten Morgen“, gab Keron als Begrüßung zurück. „Entschuldigen Sie Sir, könnten Sie mir bitte sagen, wie ich zu den Ställen komme?“ Plötzlich brach der Wirt in lautes Gelächter aus und hätte fast den Krug fallen gelassen, den er gerade zu reinigen versuchte.

      „Oh Junge, so höflich war schon lang keiner mehr zu mir. Bitte nenne mich einfach Bert, denn es kommt mir merkwürdig vor, wenn mich jemand mit Herr oder Sir anredet. Bist du nicht der Junge, der gestern mit Nicolas angekommen ist?“

      „Ja, das bin ich wohl, aber sage mir bitte, wo der Stall ist.“

      „Kannst es wohl kaum abwarten zu arbeiten, was? Den Stall findest du, wenn du durch die Tür dort hinten gehst, doch vorher wird meine Frau dir ein richtiges Frühstück machen.“

      Keron wandte den Blick verlegen ab. „Das ist sehr nett, aber ich habe kein Geld, um es zu bezahlen“, sagte er mit einem entschuldigenden Schulterzucken.

      „Das ist kein Problem. Da du zu Nicolas gehörst, geht diese Mahlzeit, aber nur diese Mahlzeit, auf mich Kleiner, denn irgendwie muss ich auch mein Geld verdienen“, brummte er und gab Keron einen Klaps auf die Schulter, der so stark war, dass er fast wieder von dem Hocker rutschte, auf dem er sich gerade niedergelassen hatte. Der Wirt rief ins Zimmer hinter der Theke, damit Keron etwas zu essen bekam.

      Kurz darauf brachte ihm Clara einen großen Teller mit Brot und gekochten Eiern. Als Keron ihr wieder in ihre blauen Augen schaute, hatte er wie schon auf der Treppe zuvor so ein komisches Gefühl. „Danke“, sagte Keron, als sie ihm den Teller hinstellte.

      Dieses Mal erwiderte sie nichts, sondern kehrte gleich wieder ins Hinterzimmer zurück. Derweil er den ersten Bissen des Brots genoss, merkte er, dass er schon seit gestern Nachmittag nichts mehr zu essen gehabt hatte. Während Keron aß, unterhielt er sich noch ein bisschen mit Bert über die Stadt und der Wirt erzählte ihm, dass gestern ein bedeutender Mann des Reiches auf offener Straße ermordet worden war. Keron verkrampfte sich der Magen bei der schmerzhaften Erinnerung an Sir Francis, er verblieb allerdings stumm und erzählte dem Wirt nicht, dass er der Schüler dieses Mannes gewesen war. Aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht ganz verstand, wollte er von diesem großen Bären kein Mitleid. Schließlich bedankte Keron sich für das Mahl und ging auf die Tür zu, die zum Stall führte, um Will zu treffen.

      Als er den Stall betrat, stieg ihm gleich der übliche, beißende Stallgeruch in die Nase, doch da er nicht zum erster Mal an so einem Ort war, gewöhnte er sich schnell an den Geruch von nassem Stroh und Pferdekot. Er schaute sich etwas um, konnte aber niemanden außer den fünf Pferden entdecken. Keron vermutete, dass die Pferde auf der rechten Seite des Durchgangs dem Wirt gehörten und das graue Pferd etwas weiter dahinter dem Mann im Schankraum, der die Kapuze seines Mantels übers Gesicht gezogen hatte. Jedoch konnte er sich nicht sicher sein, denn er wusste ja nicht, wie viele Leute sich noch in den Gästezimmern des Gasthofes befanden. Ganz hinten im Stall entdeckte er noch drei weitere Pferde, die nahe dem Ausgang standen. Das mittlere der drei war sehr groß und entsprach der Statur eines Schlachtrosses, weshalb er vermutete, dass es Sir Nicolas’ Pferd war. Weiters dachte er, könnte das rechte Pferd Will gehören, weil es etwas kleiner war als das mittlere Ross. Doch am meisten verwunderte ihn das fünfte und damit letzte Pferd im Stall. Er musste zweimal hinschauen, um ganz sicher zu gehen. Es war braun, ungefähr so groß wie das von Will, aber es hatte einen weißen Fleck um das rechte Auge. Es war sein eigenes Pferd, das er, wegen der Wirrnisse des vergangenen Tages ganz vergessen, bei der Herberge seines früheren Meisters gelassen hatte. Schnell lief Keron zu dem Tier, um es zu begrüßen.

      „Hallo, Weher! Wie geht es dir, mein alter Freund?“ Weher wieherte kurz, was die vertraute Antwort war, wenn Keron sein Pferd begrüßte. Vor lauter Freude, dass er sein Pferd wiederbekommen hatte, war ihm zunächst gar nicht aufgefallen, dass neben seinem Pferd in einem Haufen trockenen Strohs jemand lag und schlief. Leise schritt er um sein Pferd herum, um sich den Schläfer genauer anzusehen. Keron schätzte ihn ungefähr auf sein Alter, doch weil der Fremde nicht ganz ausgestreckt dalag, konnte Keron seine Größe nicht genau bestimmen. Er war grob geschätzt einen Kopf größer als er selbst. Keron beugte sich hinunter, um zu erfahren, ob der junge Mann vor ihm wirklich nur schlief. Doch sein Atem war laut und deutlich zu hören.

      „Will?“, versuchte Keron den Schlafenden zu wecken, doch dieser reagierte gar nicht auf diesen Versuch. „Bist du Will?“, fragte Keron nun etwas lauter als zuvor, doch wieder war keine Reaktion auszumachen. Weher verfolgte die Versuche seines Freundes, Will so diskret wie möglich zu wecken, geduldig, doch dann begann er plötzlich ganz laut zu wiehern. Will schreckte aus seinem Schlaf hoch und hielt sich die Ohren zu.

      „Achhh, sei doch still du dummer Gaul, warum musst du mich auch aus dem Schlaf reißen?“, fragte Will das Pferd mit einem beleidigten Unterton in seiner Stimme.

      „Hey, wen nennst du hier dummen Gaul!“ fuhr ihn Keron an, den Will bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bemerkt hatte. Will zuckte zusammen und drehte sich schnell zu Keron um. Sein erstauntes Gesicht über den unerwarteten Zwischenruf wich schnell einem breiten Grinsen und einem herzhaften Lachen. „Hahaha! War doch nicht so gemeint, aber dieses Pferd hat mich nun mal geweckt und das mag ich gar nicht. Tut mir leid, Brauner“, fügte er an Weher gewandt hinzu, ohne sein Grinsen zu verlieren.

      „Du musst wohl Keron sein oder liege ich da etwa falsch? Nicolas sagte mir, dass wir einen Neuzugang haben.“

      „Ja, der bin ich und ich vermute mal, dass du Will bist“, antwortete Keron dem immer noch grinsenden Will.

      „Der einzig Wahre, möchte ich hinzufügen“, sagte dieser und machte einen hochmütigen Adeligen nach, bevor er wieder zu lachen begann. „Komm, gehen wir in den Schankraum und unterhalten uns dort weiter. Vielleicht gibt uns der alte Bert einen Trunk aus.“ Während sie den Stall durchquerten und Will fröhlich vor sich hin summte, konnte Keron sich schließlich nicht mehr zurückhalten.

      „Du bist aber ein sehr fröhlicher Zeitgenosse, oder?“

      „Bin ich das?“, gab Will erstaunt über die Frage seines Kameraden zurück. Zum ersten Mal verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht und er wurde nachdenklich. Keron war schon dabei, im Geiste seine Entschuldigung zu formulieren, weil er Will auf keinen Fall zu nahe treten wollte. Doch bevor er etwas sagen konnte, fing Will, der die schuldbewusste Mimik seines neuen Reisegefährten zum Schreien komisch fand, wieder an zu lachen. „Ja das bin ich wohl, Key“, brachte er zwischen seinem Lachen heraus. Und dieses Mal schloss sich Keron ihm an, der begriff, dass sein neuer Freund ihn gerade hereingelegt hatte. Guter