Название | Ryloven |
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Автор произведения | Manuel Tschmelak |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991076872 |
„Geschichte?“, gab Keron verwundet zurück.
„Na ja, du musst doch eine Geschichte haben, jeder hat doch eine. Zum Beispiel würde mich interessieren, wie es dazu kam, dass du jetzt hier bei mir sitzt“, versuchte Will nachzubohren, damit Keron ihm etwas erzählte. Also begann Keron ihm von seinen Reisen mit Sir Francis zu berichten. Doch schon bald unterbrach Will ihn.
„Ist das nicht der Mann, der gestern auf offener Straße erstochen wurde?“ Schweigen breitete sich über die zwei aus, denn Keron wollte nicht über die Geschehnisse des gestrigen Tages reden und Will erkannte, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte, woraufhin er lieber nicht weiter nachfragte.
„Aha, ist ja auch nicht so wichtig“, sagte Will und wechselte das Thema. „Nicolas hat mir gesagt, dass er erst gegen Abend wiederkommen wird, deshalb schlage ich vor, dass wir uns die Stadt etwas genauer anschauen gehen“, versuchte Will etwas unbeholfen das Gespräch zu beenden. Keron nickte zustimmend und so machten sich die beiden auf in die Stadt. Keron konnte es nicht genau erklären, aber seit dem ersten Moment konnte er Will gut leiden und er hatte so ein Gefühl, dass sie schon bald gute Freunde werden würden.
Als Keron den Gasthof verließ und auf die Straße hinaustrat, musste er zuerst einige Male blinzeln, weil sich seine Augen an das trübere Licht im Gasthof gewöhnt hatten. Mittlerweile herrschte bereits geschäftiges Treiben auf den Straßen der Stadt. Sie beschlossen die Richtung zum Markt- und Handelsviertel der Stadt einzuschlagen. In dieser Gegend von Reduna, die sie gerade durchquerten, lagen hauptsächlich Wohnhäuser von einfachen Bürgern, wenn man von den einzelnen Schenken und Gasthöfen einmal absah. Links und rechts an den Seiten standen Steinhäuser, die nicht mehr als zwei Stockwerke besaßen. Es war ein sehr einfacher architektonischer Stil ohne unnötige Verzierungen, abgesehen von wenigen einfachen Mustern an den Eingängen. Vor jedem Fenster gab es braune oder grüne Fensterläden und vor manchen waren Schnüre gespannt, um dort Wäsche zum Trocknen aufhängen zu können.
Erst jetzt bemerkte Keron, wie groß Will wirklich war. Seine erste Schätzung hatte sich als richtig erwiesen, denn Will war ungefähr einen Kopf größer als er und seine Arme und Beine waren auch dementsprechend lang. Sein Gang hatte etwas Federndes an sich und er strahlte eine gewisse Kameradschaft aus, die Keron noch nie verspürt hatte und die er sich nicht wirklich erklären konnte. Plötzlich blieb Will vor Keron stehen.
„Hörst du das?“, fragte er ihn. Und wirklich. Wenn Keron ganz genau hinhörte, konnte er viele Stimmen von Menschen ausmachen, die miteinander redeten.
„Wir müssen schon nah am Marktplatz von Reduna sein“, stellte Keron fest. Will nickte nur und wies seinem Freund, ihm in eine Seitengasse zu folgen. Dort kletterte er auf drei übereinandergestapelte Kisten und sprang hoch, um sich mit den Händen an der Kante des niedrigen Daches festzuhalten und hinaufzuziehen. Will machte dies mit so einer Schnelligkeit und Selbstverständlichkeit, dass Keron nur über seinen neuen Freund staunen konnte und er schwor sich, Will bei der nächsten Gelegenheit zu fragen, wo er so etwas gelernt hatte. Kurz darauf konnte Keron ihn nicht mehr sehen, doch dann tauchte sein Kopf wieder auf und er rief zu Keron herab.
„Komm endlich rauf. Du musst das sehen.“ Keron stieg auf die drei großen Kisten, die unter seinem Gewicht etwas nachgaben, aber zum Glück nicht zusammenbrachen. Nach einem kurzen Moment des Zweifels wagte er den Sprung zur oberen Kante des Hauses und versuchte sich hochzuziehen, allerdings hatte er nicht genug Kraft in den Armen. Doch mit der Hilfe von Will schaffte er es schließlich hinauf. Oben auf dem kleinen Dach angekommen, kletterten sie weiter auf das Dach des Hauses nebenan. Dort zeigte Will ihm eine Leiter, die sie benutzten, um auf nächsthöhere Gebäude zu gelangen. Und wieder erkletterte Will die Leiter, ohne Probleme dabei zu haben. Doch als Keron hinaufklettern wollte, schaffte er es nicht die Leiter so schnell und flink zu erklimmen wie sein Freund. Er beneidete Will um dessen Geschicklichkeit.
Will hatte wirklich recht damit gehabt, dass es sich lohnen würde, auf das Dach zu klettern, denn von dort oben hatten sie eine wunderbare Aussicht auf den unter ihnen liegenden Marktplatz und die verschiedenen Leute, die dort Handel trieben. Es war einfach großartig. Keron erkannte Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen des Reiches und vor allem die Menschen der östlichen Region von Ryloven fielen ihm wegen ihrer besonders bunten Kleider gleich auf. Nachdem sie einige Zeit an der Kante des Daches gestanden und dem Treiben unter ihnen schweigend zugesehen hatten, wurde Kerons Neugierde einfach zu groß. „Will?“
„Hmmm“, kam es nur als Antwort zurück.
„Du hast mich doch vorher nach meiner Geschichte gefragt, aber du hast noch gar nichts von dir erzählt. Ich würde gerne wissen, woher du so gut auf Dächer klettern kannst?“
„Soso, das wüsstest du gerne, was?“, sagte er und grinste dabei, ohne den Blick von den Leuten zu nehmen. „Du musst dazu erst einmal wissen, dass ich in einer ähnlich großen Stadt wie Reduna als Waise aufgewachsen bin. Die meiste Zeit des Tages habe ich damit verbracht, auf der Straße zu sein, auf Häuser zu klettern, mir geheime Schlupfwinkel zu suchen und am Leben zu bleiben“, fügte er mit einem Schmunzeln hinzu. „Die beste Zeit des Jahres war die, wenn die Gaukler ihr Können auf den Plätzen öffentlich zeigten. Ich bin dann einige Tage nicht ins Waisenhaus zurückgekehrt, sondern habe mit den Gauklern gelebt und einiges von ihnen gelernt. Zum Beispiel habe ich von einem Mann namens Haster das Messerwerfen gelernt und ein paar andere Leute haben mich im Bestehlen von Menschen unterrichtet. Im Nachhinein kann ich es nicht gut heißen, was ich damals getan habe, aber zu meiner Entschuldigung muss man hinzufügen, dass ich es nicht besser wusste und das Gauklerleben wirkte so aufregend. Allerdings bedauere ich die Erfahrungen nicht, die ich gemacht habe, denn ohne sie hätte ich Nicolas nie getroffen.“ Keron unterbrach ihn nicht, um eine Zwischenfrage zu stellen, da er die Geschichte unbedingt hören wollte. Er ließ Will also einfach weiterreden und hörte gespannt zu.
„Es war eines Tages ziemlich genau um die Mittagsstunde, als ich versuchte einen Apfel von einem der Händler zu stehlen. Doch noch bevor ich den Apfel auch nur berührt hatte, wurde mein Arm plötzlich von einer Hand gepackt und aufgehalten. Ich dachte schon eine der Stadtwachen hätte mich erwischt und es wäre aus mit mir. Aber als ich hochschaute, erblickte ich das erste Mal Nicolas Tirion, der mir direkt in die Augen sah und langsam den Kopf schüttelte. Er nahm mich etwas zur Seite und als sich sein Griff lockerte, riss ich mich los und rannte so schnell ich konnte durch die Menge auf die andere Seite des Platzes. Ich versteckte mich in einem meiner geheimen Schlupfwinkel, der ganz in der Nähe war und ruhte mich aus. Mein Herz klopfte wie wild und ich war froh, dass ich gerade noch so entkommen war. Allerdings wie heißt es so schön, man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben.“ Will lachte über seine eigene Geschichte, doch Keron war zu gefesselt, um sich ihm anzuschließen. Nachdem Will sich wieder gefangen hatte, bat Keron ihn, er solle doch bitte weiter erzählen und dies tat Will dann auch.
„Am nächsten Tag kam Nicolas im Waisenhaus vorbei und schlug der Frau, die das Waisenhaus leitete vor mich mitzunehmen und mich zu unterweisen. Zuerst habe ich mich gegen diese Vorstellung gewehrt und ich konnte mir auch nicht erklären, wie mich dieser Mann wiedergefunden hatte. Aber da er wohl irgendetwas in mir gesehen hatte und ich das Leben im Waisenhaus und auf der Straße schon ziemlich satthatte, entschied ich mich mit diesem Mann mitzugehen. Was ich bis heute nie bereut habe.“ Für einen kurzen Moment hatte Keron den Eindruck, dass sich Wills Miene verdunkelte. Doch dann war der Moment auch schon wieder vorbei.
„So, nun kennst du meine Geschichte und ich möchte betonen, dass ich um einiges mehr erzählt habe als du. Aber lassen wir es derweilen gut sein. Los, lass uns wieder nach unten steigen und schauen, was die Händler so zu verkaufen haben.“
Und bevor Keron etwas einwenden konnte, hatte Will sich umgedreht und war bereits halb die Leiter hinuntergeklettert. Schnell folgte ihm Keron und schon bald befanden sie sich mitten im Getümmel des Marktes. Mit großen Augen bestaunten sie die wunderlichsten Dinge, die es an den einzelnen Ständen zu kaufen gab. Es gab dort fast jede erdenkliche Ware, die Keron sich vorstellen konnte. An einem Stand begutachtete er wunderschöne gewebte Teppiche, an anderen Ständen wurden Waffen, Helme und Brustpanzer verkauft,