Ryloven. Manuel Tschmelak

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Название Ryloven
Автор произведения Manuel Tschmelak
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076872



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wich Dalion einer Gruppe von Betrunkenen aus, die gerade von einem Schankhaus ins nächste stolperten. Ihr Gestank machte Dalion krank. Mit seinen geschärften Sinnen roch er den Alkohol und ihren Schweiß noch viel stärker, als das normale Menschen tun würden. Doch mit den Jahren hatte er sich an seine Gabe schon so sehr gewöhnt, dass es ihm nicht mehr allzu viel ausmachte. Solange er nicht für längere Zeit in einem kleinen Raum mit ihnen sein musste, war ihr Geruch auszuhalten.

      Dalion ließ seine Gedanken zu den hell erleuchteten Ballsälen mit all den Leuten darin schweifen. Vor allem aber versuchte er an die Gerüche der verschiedenen Parfums, die sich miteinander vermischten, und an den Duft des Essens zu denken. Schnell verdrängte er diesen Teil seiner Erinnerungen wieder und schüttelte beiläufig den Kopf. „Das ist schon lange her“, dachte Dalion, „und nun leben wir in anderen Zeiten, in gefährlicheren.“

      Er bog in eine enge Gasse, in die kaum Licht kam. Allerdings reichte ihm aufgrund seiner geschärften Augen, schon das kleinste bisschen Licht, um im Dunkeln etwas sehen zu können. Kurz vor dem Ende der Gasse versperrte ihm ein Mann plötzlich den Weg. Er trug schmutzige Kleidung und roch eindeutig nach billigem Schnaps. Der Fremde hielt ein Messer in seinen von Schweiß bedeckten Händen und richtete es mit der Spitze voraus auf Dalions Brust. „Ach herrje, für so etwas habe ich nun wirklich keine Zeit.“

      Er besaß selber genug Messer an seinem Körper, doch die würde er sicher nicht brauchen. Dalion blieb ganz ruhig vor dem Mann stehen und wartete ab, was dieser tun würde. „Gib mir da’ Geld“, befahl ihm der Mann und versuchte offensichtlich gefährlich zu klingen, was ihm durch sein betrunkenes Lallen nicht wirklich glückte.

      „Gib mir da’ Geld“, wiederholte er noch einmal. „Sonst schneid i dir die Eingeweide raus.“ Durch sein betrunkenes Gerede hörte Dalion eindeutig den für diese Gegend des Königreiches typischen Akzent heraus.

      Dalion nahm eine Goldmünze aus seine Manteltasche, von der sich der Dieb eine ganze Kiste voller Schnapsflaschen hätte kaufen können und schnipste sie in die Luft. Verwundert sah der Mann der wertvollen Münze nach, wie sie in den Nachthimmel stieg und wandte seine Aufmerksamkeit so von Dalion ab. Dies war ein Fehler. Dalion fachte das Feuer in seinem Inneren an und fokussierte die Kraft, die in ihm aufstieg, in seine Beine. Kurz blitzten seine Augen gelb auf. Doch das konnte der Mann, der sein Messer etwas sinken gelassen hatte, nicht sehen, weil er immer noch auf die Münze starrte. Dalion brauchte nur einen Moment. Er machte einen Satz nach vorne und rammte dem vollkommen überrumpelten Dieb sein rechtes Knie in den Magen. Der Mann stieß ein Keuchen aus, als die Luft seinen Körper verließ, und brach auf dem dreckigen Boden zusammen. Lässig richtete sich Dalion wieder auf und öffnete seine rechte Hand. Er fing die herabfallende Münze wieder auf und steckte sie zurück in die Tasche seines Mantels. Er hörte auf sich auf seine Kraft zu konzentrieren, gab sie aber nicht völlig auf, um seine geschärften Sinne zu behalten. Danach setzte er seinen Weg fort, als wäre nichts gewesen und beachtete den Mann nicht weiter, der sich vor Schmerz auf dem Boden zu einem kleinen Häufchen zusammengerollt hatte. Dalion dachte darüber nach, wie es gewesen war, als er diese Kraft zum ersten Mal gespürt hatte.

      Es war Ende Herbst gewesen und es wurde immer kälter. Dalion war von seinem Vater in den Wald geschickt worden, um Feuerholz zu sammeln. Es war kurz nach seinem 14. Geburtstag. Dalion trieb sich öfters im Wald neben seiner Heimatstadt herum und es dauerte nicht lange, bis er genug Holz zusammen hatte. Als er gerade auf dem Rückweg zur Stadt war, hörte er im Dickicht neben dem Pfad ein Geräusch und blieb stehen. Die Arme voll Feuerholz stand er wie angewurzelt im Wald und lauschte. Just in dem Moment als er sich überzeugt hatte, dass er sich geirrt haben musste, glaubte er wieder ein Rascheln zu hören, aber er war sich einfach nicht sicher. Doch dann, plötzlich, rannte ein riesiges Wildschwein auf ihn zu. Der junge Dalion ließ das Holz fallen und lief so schnell er konnte davon. Die Wildschweine in der Gegend um seine Heimatstadt wurden von der Bevölkerung „Haroc“ genannt, was im regionalen Dialekt so viel wie Windschwein oder Schwein des Windes bedeutete. Zu Dalions Leidwesen trugen sie diese Bezeichnung, weil sie in der Lage waren, sehr schnell zu laufen. Schneller als jeder durchschnittliche Erwachsene es könnte. Natürlich wusste Dalion dies, allerdings hatte er kaum eine andere Wahl, weil er seine Kampfausbildung erst begonnen hatte und er ohnehin keine Waffe bei sich trug. Während er lief, spürte er wieder dieses merkwürdige, aber irgendwie vertraute Kribbeln in seinem Körper, aber dieses Mal war es stärker und umso näher der Haroc ihm kam, umso stärker wurde es. Dalion hörte nach diesem Erlebnis mehrere Beschreibungen für dieses Gefühl, weil es in vielen alten Liedern und Legenden beschrieben wurde. Die meisten Menschen beschrieben es wie ein Feuer in einem selbst, das einem Kraft gab. Doch für jemanden, der diese Kraft nicht selber erfahren hatte, war diese Vorstellung schwer nachzuvollziehen. An jenem Tage entfachte Dalion dieses Feuer in ihm und kurz bevor ihn der Haroc einholte, war er immer schneller geworden und konnte dieser Bestie entkommen. Er lief eine Weile, so schnell er konnte, durch den Wald und blieb erst bei einem kleinen See stehen, als er sicher war, dass der Haroc seine Jagd aufgegeben hatte.

      Dalion kniete sich am Rand des Sees hin und trank einen Schluck Wasser. Er atmete schwer und es war ihm unglaublich heiß. Er starrte in den See, bis sich die Wasseroberfläche vollkommen beruhigte und stellte mit Schrecken fest, dass sich seine Augenfarbe verändert hatte. Sein normales Kastanienbraun war verschwunden und nun hatte er strahlend gelbe Augen. Doch umso länger er am Ufer saß und sein Spiegelbild betrachtete, umso matter wurde das gelbe Leuchten seiner Augen und umso schwächer wurde auch dieses Gefühl von Kraft und Stärke. Es dauerte nicht lange bis er seine gewöhnliche Augenfarbe wieder hatte und sich nicht mehr besonders fühlte. Etwas enttäuscht macht er sich auf den Rückweg und sammelte erneut Holz, um jenes zu ersetzen, das er bei seiner Flucht fallengelassen hatte. „Ich werde bestimmt Ärger bekommen, wenn ich zu Hause ankomme, weil ich so lange weg war. Denn niemand wird mir glauben, dass ich von einem Haroc angegriffen worden war und entkam“, dachte Dalion damals missmutig.

      Ein paar Wochen nach seinem Abenteuer mit dem Windschwein konnte er seine Erlebnisse selber kaum mehr glauben. Er hatte natürlich oft anderen Leuten davon erzählt oder, um es genauer zu sagen, jedem, der es hören wollte. Aber die meisten glaubten ihm nicht und diejenigen, die gewillt waren ihm zu glauben, hatten genau so wenig eine Erklärung für seinen Anstieg an Schnelligkeit wie er. Aus Mangel an anderen Erklärungen hatte er daran geglaubt, dass es sein Wille zu überleben gewesen war, der ihm geholfen hatte, und dass ihm das Wasser einen Streich gespielt hatte. Doch als ein wandernder Geschichtenerzähler in seine Stadt kam, änderte sich alles für ihn. Der Mann erzählte viele Geschichten, doch eine gefiel dem jungen Dalion am besten. In der Geschichte ging es um ein Volk und die Leute aus diesem Volk hatten die Fähigkeit, nur durch ihren Willen ihre Körperkraft zu steigern oder unglaublich schnell zu rennen. Weiters fügte der Geschichtenerzähler hinzu, dass die Leute dieses Volkes besonders bunte und schöne Augen gehabt hätten. Nach dieser Geschichte war Dalion wie besessen davon, dass er diese Fähigkeiten auch besaß. Er versuchte immer wieder diese Kraft in sich zu wecken, aber es gelang ihm nicht bis zu jenem Tag, als … als …

      Dalion erwachte aus seinen tiefen Gedanken und erkannte, dass ihn seine Beine zu seinem Ziel getragen hatten. Er stand am Ende einer kleinen dunklen Gasse. Rechts neben ihm befand sich eine alte dreckige Holztür. Er öffnete die Tür und sie schwang knarrend auf. Dalion betrat den schmalen Flur auf der anderen Seite der Tür und hörte dank seiner verstärkten Sinne die Menschen, die sich im Schankraum vergnügten. Sein Ziel war allerdings nicht der Schankraum. „Wie gerne würde ich jetzt etwas trinken und ganz woanders sein“, dachte Dalion kopfschüttelnd und stieg die Holztreppe am Ende des Raumes hinauf. Auf halbem Weg blieb er stehen und lauschte. Er hörte, wie eine Tür ins Schloss fiel und dann Schritte, die sich schnell auf die Treppe zu bewegten. Die alten Holzstufen knarrten bei jedem Schritt der Person, die ihm von oben entgegen kam, ja schon fast entgegen rannte. Eine verstört wirkende junge Frau kam ihm von oben entgegen. Sie trug ein leeres Tablett und eine Schürze. Dalion vermutete, dass sie die Tochter des Wirtes sein könnte und wollte sie höflich grüßen, aber sie würdigte ihn keines Blickes. Als sie an ihm vorbei stürmte, konnte Dalion ihr Gesicht genauer erkennen. Es war an ihrem Gesicht abzulesen, dass sie einfach nur noch weg wollte. Ihre Kiefer waren fest aufeinandergepresst, sodass ihr Mund nur noch ein Strich war und ihre Augen sahen feucht und leicht gerötet aus. Dalion hatte diesen Ausdruck schon bei so vielen Leuten gesehen