Einmal Kuba und zurück. Petra Reinoso

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Название Einmal Kuba und zurück
Автор произведения Petra Reinoso
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991077299



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nur noch auf Arbeit und in der Schule. Inzwischen war ich 17 Jahre und im zweiten Lehrjahr und es war kurz vor Weihnachten. Meine Schwester sorgte dafür, soweit es ging, mich täglich abzuholen. Wenn es ihr nicht möglich war, fand ich immer einen Fluchtweg, das Betriebsgelände durch irgendwelche Hintertüren zu verlassen, was mich dann auf Umwegen nach Hause brachte. Bevor ich ging, sah ich Raul, wie er unten stand und auf mich wartete. Mein Herz raste ständig, wenn ich ihn sah, er machte mir Angst. Da ich bei der Post arbeitete, musste ich auch am 24. Dezember bis Mittag arbeiten. Weihnachten kehrt endlich mal für kurze Zeit Ruhe ein. Die Familie feierte zusammen, meine Eltern, meine Schwester, ihr Mann und ich. Keiner von uns hätte je gedacht, dass es an diesem Tag doch anders kommen würde. Ich verließ meine Arbeit gegen 12:00 Uhr. Ich ging den normalen Weg. Raul sah ich nirgends und ich vermutete auch gar nicht, ihn an diesem 24. Dezember anzutreffen. Plötzlich stand er aus dem Nichts vor mir. Er hatte mir wieder aufgelauert. Wie konnte ich auch nur denken, dass er nicht hier war. Ich war so erschrocken und zitterte vor Angst und vor Kälte. „Komm bitte mit zu mir nach Hause. Ich verspreche dir, ich werde dich nie mehr schlagen!“ „Das hast du schon tausendmal versprochen, ich komme nicht mit zu dir, ich will nach Hause und außerdem ist heute Weihnachten.“ „Bitte komm mit, ich liebe dich doch, ich will nur mit dir zusammen sein.“ Wie er mich dabei ansah. Er stand da und schaute mich mit einem traurigen und reuigen Blick an. Ich war hin und her gerissen. Das wirkte so ehrlich auf mich und ich sah wieder den Mann, den ich kennengelernt hatte, seine treuen und liebevollen Augen. Er streichelte mich im Gesicht und ich spürte seine schönen Hände, die so was Ergreifendes hatten und mich schon wieder fast zum Dahinschmelzen brachten. Er war wirklich sehr schön. Doch die Angst steckte immer noch in mir, Angst vor ihm, seinen Konsequenzen, Angst vor zu Hause. Ich überlegte sogar schon, wie ich das denn zu Hause erklären sollte, wenn ich jetzt doch mit ihm mitgehe. „Ich muss aber nach Hause, meine Familie wartet.“ Da muss er wohl gemerkt haben, dass er mich gleich wieder weich hatte. Der Bus kam, wir stiegen ein, ich stieg nicht wie gewohnt aus und so wir fuhren gemeinsam zu ihm. Er war das erste Mal wieder richtig normal zu mir, fürsorglich und liebevoll. Er hatte sogar schon etwas gekocht, so sicher war er sich anscheinend. Die meisten Kubaner waren nicht da, sodass wir die Wohnung für uns allein hatten. Es war bereits gegen 18 Uhr und auf einmal klopfte es in einer enormen Lautstärke gegen die Wohnungstür. Durch den Druck öffnete sie sich von selbst und noch bevor wir aufstehen konnten, standen bereits Maria und ihr Mann im Zimmer. „Du kommst jetzt sofort mit nach Hause!“, sagte sie. „Aber …“ „Halt deinen Mund, los jetzt raus hier!“ Ich stand wortlos auf und folgte den beiden ohne Widerrede. Wahrscheinlich war es die einzige Möglichkeit, mich ohne große Diskussionen dort rauszuholen. „Was hast du dir nur dabei gedacht? Kannst du dir vorstellen, was zu Hause los ist?“ „Aber ich kann nichts dafür, er stand einfach wieder da.“ Dann schwieg sie. In den nächsten Wochen und Monaten traf ich mich immer wieder mit Raul, aber ich versuchte, dies so heimlich wie nur möglich zu tun. Raul hatte immer wieder Probleme mit seiner Eifersucht, aber ich redete es mir schön. In der Zwischenzeit hatte ich mein Verhalten schon so ausgerichtet, um keine Anlässe für Streit zu geben. Ich hatte mich ihm vollständig angepasst. Er erzählte mir viel von seiner Heimat und seiner Familie und ich stellte mir immer wieder ein Leben mit ihm auf Kuba vor. Ein Leben in der Wärme unter Palmen, am Strand die Sonne genießen, glücklich und unbeschwert leben. Dann war es sicher auch mit ihm einfacher. So musste Liebe sein. Eine Liebe, die in Verzweiflung wurzelt.

      Kapitel 2

      Es war nun schon März. Im Sommer würde ich fertig sein mit meiner Ausbildung. Aber etwas war anders mit mir, meine Periode blieb aus. Das kam zwar immer wieder mal vor, aber dieses Mal dauerte es einfach zu lange. Raul ging mit mir zum Arzt. „Sie sind schwanger, möchten Sie eine Überweisung in die Klink zu einem Schwangerschaftsabbruch? Das müsste ich dann schnellstens wissen, da Sie bereits in der elften Woche sind. Sie sind ja noch jung.“ Was dachte der sich eigentlich? Schon wieder einer, der meinte, er müsse mir sagen, was ich zu tun hatte. „Ich muss die Nachricht erst mal verdauen, natürlich will ich nicht in eine Klinik. Ich möchte das Kind.“ Zum Glück war ich vor Kurzem 18 Jahre geworden und somit konnte mir niemand mehr reinreden. Raul konnte es kaum glauben, er war total erfreut über diese Nachricht und wir stellten uns das süße Baby vor, wie es wohl aussehen würde. „Ich weiß aber nicht, wie ich es meinen Eltern sagen soll, schließlich wohne ich noch zu Hause. Sie werden mich rausschmeißen. Mit einem Kind zu Hause zu wohnen, damit werden sie niemals einverstanden sein.“ „Dann wohnst du eben bei mir oder wir suchen uns eine Wohnung.“ „Es ist sehr schwer, eine Wohnung zu finden, es gibt kaum welche und wenn dann nur mit Beziehungen und Geld haben wir ja auch nicht, um eine Wohnung überhaupt erst mal einzurichten und bei dir im Wohnheim, niemals.“ „Es bleibt uns ja noch etwas Zeit, jetzt muss ich es erst mal meinen Eltern sagen.“ Ich fühlte mich wohl und war glücklich. Ich würde es meinen Eltern sagen aber nicht heute und auch nicht morgen. Auf jeden Fall würde ich das Kind bekommen. Dann würde alles anders mit Raul und mit meinen Eltern. Eines Abends sagte ich zu meiner Mutter: „Ich muss dir was sagen, ich bin schwanger.“ Sie schaute mich schockiert an und brachte kein Wort raus. Ihre Augen waren so starr und ihr Mund war zusammengekniffen. Diese Stille machte mich ganz nervös. Was war denn los mit ihr, wieso sagt sie nichts. „Was soll das? Dass du dir mit solchen Angelegenheiten einen Scherz erlaubst, hätte ich dir nicht zugetraut.“ „Das ist kein Scherz, ich bin wirklich schwanger.“ „Du nimmst doch die Pille, das kann gar nicht sein.“ „Ich habe sie eben vergessen, zu nehmen.“ Dass Raul sie mir weggenommen hatte, habe ich ihr lieber nicht erzählt. So langsam merkte ich, dass sie mir nun doch glaubte. „Du wirst es abtreiben, darüber bist du dir hoffentlich im Klaren. Wir gehen morgen zusammen zum Arzt und machen einen Termin.“ Ich sagte dazu gar nichts mehr, egal was sie vorhatte, ich würde das Kind bekommen. Der Arzt gab mir die Einweisung für eine Klinik für den nächsten Tag. Da ich keinen Ton mehr sagte, ließ mich meine Mutter alleine zur Klinik fahren. Ich verließ das Haus und fuhr erst gar nicht hin, denn ich wusste, dass ich keinen Abbruch machen würde. Am Abend als ich nach Hause kam, sagte sie: „Wieso bist du nicht in der Klinik?“ „Ich war da, aber die Ärzte haben gesagt, es ist schon zu spät für einen Abbruch.“ „Das glaube ich dir nicht, wäre ich doch bloß mitgefahren. Wir fahren morgen zusammen hin.“ „Nein, das werde ich nicht, es ist zu spät und ich will das Kind bekommen.“ „Dann sagst du es deinem Vater selbst, du wirst schon sehen, was er dazu sagt. Hier kannst du jedenfalls nicht wohnen bleiben mit einem Kind. Das kannst du alleine großziehen, denn dein Raul wird eines Tages nach Kuba zurückgehen und dann stehst du alleine da. Auf unsere Hilfe brauchst du gar nicht erst zu hoffen. Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen.“ Ich ließ sie reden und zum ersten Mal wurde mir klar, dass ich diese Entscheidung alleine treffen konnte. Keine Bevormundung von niemandem. In dieser Hinsicht waren sie machtlos, sie konnten es mir nicht verbieten. Das Erste und das Einzige, was sie mir nicht verbieten konnten und wo ich mich nicht wie sonst ergeben musste. Endlich keine Schläge mehr, sie hatten damit keine Macht mehr über mich, kein erzwungener Gehorsam mehr. Das befreite mich unheimlich. Mein kleines Baby unter meinem Herzen hatte mir diese Freiheit verschafft. Was für ein Schatz, so ungeplant hat es in mir seinen Platz eingenommen und mit so einer großen Wirkung. Mein Vater kam nach Hause, „Deine Tochter ist schwanger.“ Wieso plötzlich dieser Sinneswandel, ich dachte, ich sollte es ihm selber sagen, na ja auch gut. Jetzt war es raus, dann war nur noch abzuwarten, wie er reagiert. Ich war in meinem Zimmer, er kam rein. „Was habe ich da gehört? Mach doch, was du willst, aber suche dir eine Wohnung, hier bleibst du nicht mit einem Kind.“ Er winkte mit einer Handbewegung ab, wie er es immer tat, wenn er sein Gegenüber für blöd hält und ging wieder raus. Von meinen Arbeitskollegen und Freundinnen aus der Schule hörte ich nur Positives, sie teilten meine Freude und das gab mir sehr viel Mut. „Deine Eltern werden sich schon wieder beruhigen!“, sagten sie. „Warte es erst einmal ab, spätestens wenn das Baby da ist, dann können sie nicht mehr widerstehen, so ist es immer.“ Obwohl ich das zwar nicht ganz glauben konnte, hoffte ich es zumindest, denn schließlich war auch Maria schwanger. Ihr Baby sollte fünf Wochen vor meinem geboren werden und wenn sie dann die Erste war, hatte sich dann vielleicht die erste Freude über Enkelkinder wieder gelegt. Nun hatte ich einen Termin bei meinem Lehrausbilder. Ich machte mir Sorgen, dass ich vielleicht meinen Abschluss nicht mehr machen könnte. Das wäre eine Katastrophe, eine angefangene Ausbildung nicht zu beenden, ein Kind zu bekommen und irgendwann vielleicht ohne Berufsabschluss