dann ihr Baby bekam, fuhr ich fast jeden Tag zu ihr. Es war wunderbar, ihr bei allem zuzusehen. Ich habe dadurch alles lernen können, was ich mit einem Neugeborenen machen muss und wie ich es versorgen muss. An all diese aufkommenden Dinge hätte ich nie von selber gedacht. Das war mein wichtigster, unerwarteter und nützlichster Grundstein, den ich da mitbekam. Ich konnte es nun kaum noch erwarten, bis es endlich bei mir so weit war. Mein Baby war schon eine Woche überfällig und ließ immer noch auf sich warten. An diesem einen Tag im November musste ich am Morgen zu einer Untersuchung, um sicherzugehen, dass auch alles in Ordnung ist. Raul hatte Spätschicht. Er begleitete mich und ging dann am Mittag zur Arbeit. Da saß ich nun ganz allein in meiner kleinen Wohnung, als ich plötzlich Schmerzen bekam. Ich wusste nicht, was es sein könnte. Es war einfach nicht leicht für mich, dies einzuordnen, da ich auch nicht wusste, wie sich die Wehen anfühlen. Niemand war da, den ich hätte fragen können. Ich ging zu einer Telefonzelle und rief meine Mutter an. Was auch immer passiert sein mag, aber ich musste meine Mutter anrufen. Wen sonst sollte man in so einem Moment fragen, ich war wieder mal allein. Obwohl ich mir immer gewünscht hatte, mein Baby zu bekommen und irgendwann mal seinen Großeltern Bescheid zu geben. Aber nun musste ich leider zeigen, dass ich anscheinend doch Hilfe brauchte. Meine Schwester war bei ihr mit ihrem Sohn. „Maria, ich weiß nicht, was es ist, aber ich habe Schmerzen.“ Nach langem Frage- und Antwortspiel sagte sie: „Du hast Wehen, Schwester, das ist nichts anderes als Wehen. Setz dich in die Straßenbahn und komm her.“ „Gut, ich komme dann bis gleich.“ Ich ging gar nicht mehr nach Hause, sondern fuhr direkt zu meiner elterlichen Wohnung. Auf dem Weg dahin gingen mir noch so viele Dinge durch den Kopf. Ich konnte es kaum glauben, dass ich mit Wehen in einer Straßenbahn saß, die alle paar Minuten anhält, sozusagen im Rhythmus zu meinem nun drängenden Baby. Es war halb drei, als ich ankam. Meine Mutter begrüßte mich nur oberflächlich und Maria packte ihre Siebensachen zusammen und dann gingen wir gemeinsam zu ihr nach Haus. Da saß ich nun bis 20 Uhr, sie hatte die Ruhe weg und wollte mir es unbedingt ersparen, zu früh in die Klinik zu fahren. „Bevor du sie nicht alle halben Minute hast, brauchst du gar nicht erst losfahren.“ Ich verließ mich vollständig auf Maria, sie würde schon das Richtige tun. Wenigstens war ich nicht mehr allein. Meine Mutter fuhr mit mir dann gegen 20:00 Uhr mit dem Taxi in die Klinik ohne eine Tasche mit den nötigsten Sachen für mich und mein Baby. Aber darüber machte ich mir keine Gedanken. Dort angekommen wusste ich: Allein gehe ich da rein aber zu zweit komme ich wieder raus. Ein seltsames, aber schönes Gefühl. Ich drehte mich noch einmal um und sah, wie meine Mutter draußen stand und bleiben musste, und wurde immer ängstlicher. Ich wusste nicht, was jetzt alles auf mich zukam, mal abgesehen von den Schmerzen, die das Ganze mit sich bringt. Mein kleiner, süßer Sohn begrüßte mich dann nachts halb zwei und wurde mir direkt auf meinen Bauch gelegt. Er sah genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte mit seinen flauschigen, vielen, dunklen Haaren, seine Ohren waren leicht geknickt und auch mit feinen, dunklen Härchen besetzt. Er war einfach zuckersüß und schon da auch unter den Schwestern die Nummer eins. „Wie soll er denn heißen?“ Raul und ich waren uns nie einig über einen Namen für unser Kind. Ich wollte ihn gerne Ricardo nennen, da aber sein Bruder so hieß, war er überhaupt nicht damit einverstanden. Er bestand darauf, ihn Raul zu nennen, so wie es sich in Kuba für den ersten Sohn gehört. Ich wusste einfach, wenn meine Eltern diesen Namen hören, dass nun ihr Enkelkind so heißen würde, würden sie noch weniger mit ihrer neuen Rolle als Großeltern einverstanden sein und ihn mit irgendwelchen Spitznamen rufen, damit sie bloß nie den Namen aussprechen mussten. Ich wollte jedoch keinesfalls Streit mit Raul, dann hätte er vielleicht sogar nicht mal sein Kind akzeptiert. „Er heißt Raul und weil er noch so klein ist, ist er Raulito, das ist lediglich die Verkleinerungsform von Raul.“ Ich konnte nun mein Baby noch für eine ganze Weile im Tuch eingehüllt im Arm behalten. Das war etwas Wunderbares, Einzigartiges und Inniges. Meine Eltern erbarmten sich und riefen Raul in seiner Arbeitsstelle an, um ihm mitzuteilen, wo ich war. Er kam am nächsten Morgen und seine erste Frage war nach seinem Namen. Er war unglaublich stolz auf seinen Sohn, das machte mich sehr glücklich. Unser kleiner Kubanito. Meine Mutter kam mit Maria am Nachmittag. Nachdem nun auch sie den Namen erfahren hatte, schüttelte sie den Kopf. Ich spürte nur Ablehnung. Endlich kam der Tag, an dem ich mit Raulito nach Hause konnte. Ich war kaum zwei Stunden zu Hause, als mein Vater kam. Ich war fassungslos, was war denn in ihn gefahren, war das etwa ernsthaftes Interesse? Er wollte tatsächlich sein Enkelkind sehen. Er brachte mir sogar drei Bananen mit. „Wo hast du denn die Bananen aufgetrieben?“ Ich habe sie eben besorgt, du brauchst jetzt Vitamine.“ Es war dennoch ein unangenehmes Gefühl. Die ersten Wochen kam ich sehr gut zurecht, mein kleiner Raulito entwickelte sich prächtig. Wir waren nun zu dritt, auch wenn wir sehr wenig Platz hatten, genügte uns das. Raul machte allerdings seinem Machodasein alle Ehre. Ich versorgte nun unser Kind, Raul und den Haushalt – auch dann als ich nach einem Jahr wieder arbeiten musste. Sein Verhalten mir gegenüber änderte sich nicht. Es wurde sogar schlimmer, seine jähzornigen Anfälle, seine Aggressionen, seine Gewalt, seine Eifersucht. Er verbot mir einfach alles. Ich durfte nur anziehen, was er erlaubte. Ich hatte kaum noch Kontakt zur Außenwelt. Ich durfte nicht mehr zu Maria, auch mit Anna ließ er keine Treffen zu. Das sei alles schlechter Umgang für mich und die würden mich nur mit anderen Männern verkuppeln wollen. Ich hatte nur für ihn da zu sein und ich sollte bloß nicht auf die Idee kommen, mich trennen zu wollen. Das würde ich nicht überleben, er würde dann unser Kind nehmen und nach Kuba gehen. Immer mehr fühlte ich mich meiner Freiheit beraubt. Ich hatte nicht einmal die Freiheit, ihn zu lieben oder nicht, ich hatte ihn zu lieben. Die Wohnung verließ ich nur dann mit meinem Sohn, wenn er bei der Arbeit war und das auch nur unter großen Anstrengungen, dabei nicht aufzufliegen. Meistens war ich bei Maria, damit wenigstens auch unsere Kinder zusammen sein konnten. Sie war die Einzige, der ich einige Details über meine Beziehung anvertraute. „Warum schmeißt du ihn nicht einfach aus deiner Wohnung raus? Wie lange willst du das noch mitmachen, sieh dich doch mal an, du bist ja nur noch ein Schatten von dir selbst.“ „Was soll ich denn machen, ich habe ihm schon oft gesagt, dass ich so nicht mehr mit ihm weiter zusammenleben möchte. Da dreht er jedes Mal fast durch und droht mir wie immer, mir unser Kind wegzunehmen. Es gibt auch nicht immer Streit, manchmal kann er auch wieder ganz lieb sein.“ „Das reicht aber nicht aus. Du kannst dir das doch nicht jedes Mal damit entschuldigen.“ Ich sagte nur: „Wenn er dann in zwei Jahren nach Kuba muss, ist es dann sowieso vorbei.“ Maria redete auf mich ein, aber alles Reden nützte nichts. Ich hatte trotzdem noch die ungestillte Sehnsucht nach Geborgenheit und die Hoffnung, dass er sich doch irgendwann ändern würde. Selbst wenn ich ihn verlassen würde, dann wäre ich auch wieder allein und meine Eltern hätten mit all ihren Vorhersagen recht gehabt. Immer wieder fragte ich mich, wieso man denn nicht glücklich sein konnten, jetzt wo wir zusammenwohnten und eine Familie waren. Es müsste doch eine Möglichkeit geben, dass Raul zur Besinnung kommt und erkennt, dass das, was er macht, nur Schaden anrichtet. Keiner meiner Kollegen bekam etwas von alledem mit. Raul schlug mich nach wie vor grundlos in seinem Jähzorn und nie hatte ich es gewagt, mich dagegen zu wehren. Ich war ihm einfach unterlegen, kam gegen ihn und seinen Willen nicht an. Es gab kaum eine Stelle an meinem Körper, die nicht blau geschlagen oder blau von Bissspuren war. Kaum färbten sich die Flecke gelb und fingen an zu verblassen, hatte ich auch schon wieder neue Zeichen der Brutalität. Ich war mit dem besten Make-up ausgestattet, was ich auftreiben konnte, um die Schandmale wenigstens im Gesicht zu verkleistern. Die Angst beherrschte mich in vollem Umfang. Ich war abgemagert und sah auch sonst extrem mitgenommen aus. Ich war müde und kraftlos. Irgendwann wurde mir klar, dass ich denselben Mann hatte wie meine Mutter. Die einzigen Freiheitsmomente hatte ich, wenn ich arbeiten war. Das konnte er mir nicht verbieten. Da wir nicht verheiratet waren, musste ich arbeiten gehen. So lauteten die Gesetze in der DDR. Zur Arbeit schminkte ich mir die Lippen, um wenigstens etwas frischer auszusehen und bevor ich nach Hause ging, wusch ich es gründlichst wieder ab. Wenn es dann zwischendurch mal Tage gab, an denen er sich normal verhielt, schöpfte ich jedes Mal wieder Hoffnung, dass er sich vielleicht doch noch ändern würde. Seinem Sohn war er ein guter und liebevoller Vater. Kubaner sind sehr kinderlieb und das merkte man auch bei ihm. Ich war froh, dass Raulito von unseren Auseinandersetzungen nichts mitbekam. Nach zwei Jahren ging Raul für sechs Wochen Sonderurlaub nach Kuba. Ich sorgte in dieser Zeit schnellstens für eine neue Wohnung, glücklicherweise halfen mir meine Eltern dabei, da sie auch da wieder ihre guten Kontakte spielen ließen. Sie sahen für mich eine neue Wohnung als einzige Chance, um von Raul wegzukommen. Ich schaffte den Absprung noch während diesen sechs Wochen.