Einmal Kuba und zurück. Petra Reinoso

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Название Einmal Kuba und zurück
Автор произведения Petra Reinoso
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991077299



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sagte er. „Ja, aber der Termin ist Ende Oktober.“ „Im Mai haben Sie Abschlussprüfungen, ich denke, das dürfte dann kein Problem sein, Ihre Ausbildung noch vor der Geburt ihres Kindes abzuschließen.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen, zum Glück waren meine Sorgen unbegründet. Ich weiß auch nicht, aber vielleicht hatte er ja auch eine Tochter. Er merkte meine Freude und sagte: „Haben Sie sich etwa Sorgen gemacht? Wir lassen doch niemand im Regen stehen.“ „Danke, ich bin wirklich erleichtert.“ „Aber Sie müssen nun die Abteilung wechseln, der Paketdienst ist in Ihren Umständen nicht mehr zulässig.“ Was war ich froh, nicht mehr im Paketdienst arbeiten zu müssen. Wieder etwas, was ich meinem kleinen Baby zu verdanken hatte. Als ich nach Hause kam und es meinen Eltern erzählte, interessierte es sie überhaupt nicht. Aber für sie war ja auch meine Schwangerschaft verwerflich, wie sollte sie dann auch etwas interessieren, was nur im Geringsten damit zu tun hatte. In den nächsten Wochen und Monaten bekam ich das sehr deutlich zu spüren. Sie mieden es förmlich, mich anzusehen. Wenn mein Appetit auf Süßes mich wieder mal überkam und ich auf meinen Babybauch zeigte, wandten sie sich angewidert ab oder sagten: „Du wirst schon sehen, was du davon hast.“ Ich hätte mir so sehr gewünscht, mit meiner Mutter über mein Empfinden zu sprechen, dass sie auch mal über meinen Bauch streicheln möchte und dabei zusah, wie mein kleines süßes Schätzchen sich bemerkbar machte, oder dass es sie interessierte, wie sich mein Bauch so langsam nach vorne beult. Alle diese Freuden konnte ich nicht mit den zukünftigen Großeltern teilen. Ihre einzige Sorge war, so schnell wie möglich eine Wohnung für mich zu finden, noch bevor mein Baby auf die Welt kommt.

      Meine neuen Kolleginnen aus der Abteilung, in die ich gewechselt hatte, versorgten mich ständig mit Kuchen und jede von ihnen wollte immer wieder meinen Bauch anfassen. Sie brachten mir einfach alles, was ich brauchte, damit ich mich bloß nicht überanstrenge. Sie gaben mir Babysachen von ihren Kindern und sammelten schon für den Kinderwagen. Ich erzählte ihnen nichts von dem, was ich hingegen täglich zu Hause erlebte. Denn inzwischen hatte ich gelernt, zwei Persönlichkeiten zu entwickeln. Die eine Persönlichkeit, die ich zu Hause war, wenn Raul dabei war, und die andere Persönlichkeit, wenn er nicht dabei war. Mit Raul verbrachte ich so gut wie jeden Tag außer wenn er Nachtschicht hatte. Da wollte ich auf keinen Fall allein in seinem Wohnheim bleiben. Ihm passte das gar nicht, weil ihm dann die Kontrolle über mich fehlte. Wenn er Spätschicht hatte, brachte er mich dazu, die ganze Schicht vor seiner Firma zu stehen, bis er Feierabend hatte. Aus dem Fenster konnte er mich sehen. Mir wurde immer bewusster, dass ich in einem ganz engen Korsett gefangen war und niemandem davon erzählen konnte. Kein Mensch würde mir das je glauben. Ich war sicher, sie würden denken, dass ich schuld daran war, dass es so war, wie es war. Wenn ich zu Hause verprügelt wurde, dann war das ja auch meine Schuld und ich musste die Strafe dafür bekommen. Im Grunde genommen war ich fix und fertig, denn auch wenn ich zu Hause bei meinen Eltern war, fühlte ich mich nicht wohl. Raul ließ auch während meiner Schwangerschaft nicht von seinen Eifersuchtsszenen ab. Immer wieder fing er einen Streit wegen anderen Männern an. Er sagte immer: „Ich werde erst sehen, wenn das Kind auf der Welt ist, ob es von mir ist oder nicht.“ Diese Worte verletzten mich zutiefst, wo ich doch sein Kind unter meinem Herzen trug. Wie konnte ich nur an so einen Mann geraten und wieso ließ ich mir so viele Bosheiten gefallen? Ich wusste nicht mehr, wo ich hingehörte, meine Eltern wollten mich loswerden und bei Raul musste ich mich ständig aufs Neue beweisen, auf ihn einreden und ihn besänftigen, damit seine Gewalttätigkeiten mich nicht zu sehr verletzten, geschweige denn mein Baby trafen. Als ich dann bereits im sechsten Monat schwanger war, nahm mir mein Vater den Wohnungsschlüssel weg. „Du kommst ab sofort nur noch hier rein, wenn wir auch da sind, sonst schleppst du uns noch den Kubaner hier rein und der räumt uns vielleicht noch in aller Ruhe die Wohnung aus.“ „Aber warum? ich habe ihn noch nie mit nach Hause gebracht, er war noch nie hier. Ich bin doch viel früher als ihr von der Arbeit zu Hause.“ „Dann wartest du eben vor der Tür, bis einer von uns da ist.“ Das war ein Schock für mich, wie sehr sie sich in jeder Hinsicht gegen mich entschieden. Da war es geradezu ein Wunder, dass ich mich überhaupt noch zu Hause aufhalten durfte. Jeden Tag stand ich nun vor der Haustür und wartete auf meine Eltern, dass sie mir die Tür aufschlossen und mich mit hineinnahmen. Es war ein sehr warmer Sommertag, als ich wieder mal vor der Haustür wartete. Ich hatte ein wunderschönes schwarzes Kleid an, in der Mitte zwischen Brust und Bauch war ein regenbogenfarbenes, glitzerndes Karo. Unter diesem Karo streckte sich mein Fußball großer Bauch hervor. Ich sah meinen Vater von der Ferne kommen. Seine Augen waren zu kalten Schlitzen geformt und seine Lippen waren nur noch ein gerader Strich. So wie er eben immer aussah, wenn er wütend war. „Mach, dass du sofort ins Haus reinkommst!“ „Was habe ich denn jetzt schon wieder verbrochen? „Du sollst im Haus auf uns warten und nicht auf der Straße, wo jeder dich sehen kann. Es muss ja niemand sehen, dass du schwanger bist.“ Ich war volljährig, ich war schwanger aber anscheinend ohne einen Funken Selbstwertgefühl. Wo sollte das auch herkommen? Da mein Vater Tischlermeister war, pflegten meine Eltern sehr viele Beziehungen zu anderen nützlichen Leuten. Tut einer dem anderen einen Gefallen, so auch umgekehrt. So war es für sie dann doch nicht so schwer, durch ihre Beziehungen zu einer Wohnungsbaugesellschaft für mich eine Bleibe zu finden, wo andere jahrelang drauf warten mussten. Ich war im siebten Monat schwanger, als sie mir einen Wohnraum präsentierten. „Wir haben eine Wohnung für dich besorgt und schauen sie uns heute gemeinsam an.“ Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte, konnte es kaum glauben, sie machten also doch ernst. Damit war es dann wirklich gewiss, dass sie mich noch vor der Geburt meines Kindes loswerden mussten. Sie würden es gar nicht mitbekommen, wenn es dann so weit war und dann auch nicht bei mir sein oder mich in die Klinik bringen. Na ja, ich hatte ja Raul, mit wem sollte ich es auch sonst durchziehen? Ich sagte keinen Ton zu ihnen, ich fragte auch nicht nach der Wohnung, wo sie war, wie groß sie war oder wie sie aussah. Dass sie kein Bad haben würde, konnte ich mir ja selber denken, ich traute mich auch gar nicht, nach solch einem Luxus zu fragen. Wir fuhren nun zusammen zu dieser besagten Wohnung. Auf dem Weg dahin freute ich mich aber dann doch, endlich mein eigenes kleines Heim zu haben. Ich merkte nur, dass es ziemlich weit bis dorthin war. Von außen sah das Haus ganz ordentlich aus, meine Eltern hatten auch schon die Schlüssel. Die Wohnung war im Erdgeschoss und entpuppte sich als kaltes dunkles Loch. Sie war gerade mal 13 qm groß. Es gab keinen Flur, sondern beim Öffnen der Wohnungstür stand man direkt in der Küche, von welcher aus es in ein kleines Zimmer ging. Das war dann auch schon alles. Das WC befand sich außerhalb, neben der Haustür und der Platz darin reichte gerade für die WC-Schüssel. Ich war für den ersten Moment sehr erschrocken, aber es war nun auch egal, Hauptsache allein. Nur was sollte ich hineinstellen, viel Zeit hatte ich nicht mehr. In der Küche befand sich ein kleines gusseisernes Waschbecken und ein Kochherd und die Fenster sahen undicht aus. „Tja, so haben wir auch mal angefangen oder hast du etwa was anderes erwartet? Sei froh, dass du überhaupt eine Wohnung hast!“ „Ich habe ja gar nichts gesagt, wenn es denn sein muss, dann soll es so sein. Es reicht ja aus und baden kann ich ja dann in der Babybadewanne.“ Es herrschte eine eiskalte Stimmung, passend zu diesem Loch, in dem wir standen. Ich wollte es ja so und deshalb nahm ich es auch so an. „Du kannst sofort einziehen. Wir geben dir dein Bett, deinen Schrank, unseren alten Küchentisch, die Hocker dazu und unseren alten Kühlschrank mit. Wir wollten uns sowieso einen neuen kaufen und etwas altes Geschirr kannst du auch noch mitnehmen. Das ist immer hin besser als gar nichts. Wir wären froh gewesen, wenn wir damals auch so hätten anfangen können. Du wolltest dein Kind und nun sieh zu, wie du zurechtkommst.“ Ja, ja das mussten sie ja noch unbedingt erwähnen. Aber mit der angebotenen Grundausstattung würde es schon gehen. Es ging dann alles ganz schnell. Mein Vater organisierte den Transport der Möbel und zwei Tage später wohnte ich schon in dieser Wohnung. Ich fühlte mich unglaublich einsam. Raul war nun auch jeden Tag da und das nahm mir wenigstens hin und wieder das Gefühl der Einsamkeit. Wir wohnten nun zusammen. Er besorgte uns noch ein paar Kleinigkeiten, die man so in einem Haushalt braucht. Ich versuchte diese Wohnung einigermaßen gemütlich zu machen, obwohl das nicht einfach war, denn sie war kalt und feucht. Zwischen die Fenster legte ich alte Tücher, damit das Wasser, das reinlief, nicht für noch mehr Feuchtigkeit sorgte. Wir schliefen zusammen in einem Bett, was durch meinen Bauch gar nicht mehr so einfach und erholsam war, da es einfach an Platz fehlte. Schon bald ging ich nicht mehr arbeiten und so sorgte ich für den Haushalt und kochte uns jeden Tag kubanisches Essen. Raul bestand darauf. Ich war seine Köchin und seine Putzfrau. Wir lebten wie ein altes Ehepaar und ich musste immer zu Hause bleiben und auf ihn warten.