Einmal Kuba und zurück. Petra Reinoso

Читать онлайн.
Название Einmal Kuba und zurück
Автор произведения Petra Reinoso
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991077299



Скачать книгу

auch wenn ich nur nach Kuba, in das sogenannte sozialistische Ausland ausreisen wollte. Ich hätte ja schließlich von Kuba aus in die ganze Welt reisen können und somit auch in das feindliche, kapitalistische Ausland. Mit dem Tag meiner Antragstellung auf Ausreise wurde mein Arbeitgeber informiert und damit wurde ich sofort degradiert. Meinen gemütlichen Bürostuhl in einer kaufmännischen Abteilung musste ich nun gegen den Paketdienst eintauschen. Ab sofort durfte ich wieder die Pakete vom Fließband nehmen und verteilen und Postautos ein- und ausladen. Alles das, was ich während meiner Ausbildung zwar machen musste, aber immer gehasst hatte, da wir in einer großen unbeheizten Halle arbeiteten und zudem war dies noch ein harter Job: acht Stunden am Tag schwere Pakete schleppen und voll beladene Postkarren durch die Gegend ziehen. Auch da musste ich mich wieder fügen und tun, was man mir auftrug. Von Diskretion hielt hier niemand was, jeder wusste Bescheid, warum ich nun wieder im Paketdienst war, was wiederum einige der Kollegen dazu trieb, über mich zu tratschen. Ich blieb von keinem Gerücht verschont, so bunt und fantasievoll gestalteten sie ihren Tratsch. Wenigstens war es ihnen so nicht langweilig. Zum Glück konnte ich mich aber auf meine, mir erhalten gebliebene Kontaktfreudigkeit verlassen. So gab es ein paar Kolleginnen, mit denen ich mich schnell anfreundete und die mich sogar auch beneideten, den DDR-Staat endlich verlassen zu können. Was man jedoch nie vorher genau wissen konnte, war das Datum der Ausreise. Es konnte lange dauern und es konnte auch ganz schnell gehen. Das Ausreiseamt schickte mich auch wirklich überall hin, um mich und meinen Sohn abzumelden, frei zu kaufen, um Bescheinigung betteln und Leumundszeugnisse einholen. Ich lernte dabei Behörden in der DDR kennen, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren, geschweige denn wofür es sie überhaupt gab. Jeder Einzelne von denen, die ach so gönnerhaft hinter ihrem Schreibtisch hockten, würdigte mich nur mit Verachtung. Das ließen sie mich auch spüren und kosteten dies in vollen Zügen aus. Immer wieder bestellen sie mich umsonst hin, ließen mich ewig warten und im Dunkeln tappen. Kein Einziger wollte mir sagen, wann ich denn mit einer Ausreise rechnen könnte. Für Kuba war das jedoch alles kein Problem, denn auf der kubanischen Botschaft würde ich mein Einreisevisum problemlos bekommen, sobald die Ausreise genehmigt war.

      Der Zeitpunkt der endgültigen Rückreise von Raul rückte immer näher. Seine Zeit in der DDR war abgelaufen und eine Verlängerung gab es nicht mehr und war im Grunde genommen auch nicht mehr nötig. Dennoch war uns klar, dass er wohl vor mir nach Kuba fliegen würde. Wir beschlossen auch, alles, was wir besaßen, mit nach Kuba zu nehmen. So bestellten wir einen Container, der einen Monat vor Rauls Abreise zu packen war, damit er noch verschifft werden konnte, denn schließlich hatte er einen langen Weg auf dem Ozean vor sich und sollte wenigstens ungefähr zeitgleich mit uns in Kuba sein. Wir organisierten das alles so, dass sobald unsere Einrichtung im Container verstaut war, meine Freundin Sonja, die auch mit einem Kubaner zusammen war, in unsere Wohnung zog. Sie wollte ohnehin aus ihrer feuchten Wohnung raus und da es auf legalem Wege Jahre dauerte, bis jemand in der DDR eine Wohnung bekam, nahm ich sie als Untermieterin zu mir und wenn ich dann nach Kuba ginge, würde der Mietvertrag auf sie umgeschrieben. Das war zwar nicht legal, aber erfüllte den Zweck für uns alle, denn auch zu befürchten hatte sie dadurch später nichts. Auf die Straße konnte man sie schließlich nicht so einfach setzen. Ihr Freund war schon einige Monate wieder in Kuba, nur hatten sie es nicht geschafft, bei all dem Papierkrieg vorher zu heiraten. Sie versuchten es jedoch im Nachhinein, was sich sehr schwierig gestaltete.

      Es war eine sehr anstrengende Zeit, denn Raul forderte auch dann noch immer sein Recht als Ehemann und als sich bei mir immer noch keine Tür auftat und er nun bald zurückmusste, ließ er seinen Zorn wie immer an mir aus. Nun war es so weit, an einem Sommertag im August brachte ich Raul nach Berlin zum Flughafen. In diesem Moment spürte ich eine nicht enden wollende Traurigkeit. Plötzlich war es so weit, er musste weg und Raulito und ich mussten zurückbleiben im Ungewissen. Unser Zuhause schwamm in einem Container auf dem Ozean und keiner von uns wusste, wann wir uns wiedersehen würden. Ich wollte nun auch so schnell wie möglich weg und wäre am liebsten gleich mitgeflogen. Raulito war inzwischen vier Jahre alt. Für ihn war sein Papa jetzt mal schnell weg und ich sagte ihm, dass wir ihn bald wiedersehen würden. Raul hatte ihm seine Heimat immer im schönsten Licht beschrieben. „Raulito, Kuba ist ein schönes Land. Dort ist es immer warm, die Sonne scheint den ganzen Tag, du kannst im Meer baden und immer draußen spielen, deine Großeltern und deine Cousins und Cousinen freuen sich auch schon auf dich.“ Er erzählte ihm dies alles und Raulito freute sich so sehr darauf. Ich war froh darüber, denn das machte ihn glücklich und wenn ich auch nicht wusste, in was für eine ungewisse Zeit ich ging, so wusste ich doch, dass das, was Raul ihm erzählte, die Wahrheit war. Denn so viel hatte ich inzwischen von der Kinderliebe der Kubaner mitbekommen. Daran gab es keinen Zweifel. Das Flugzeug hob ab und nun war Raul weg. Ich steuerte nur noch auf unsere Ausreise hin. Es vergingen Monate und mit Sonja konnte ich sehr gut zusammenleben. Wir halfen uns, wo wir konnten, und verbrachten viel Zeit zusammen, sogar Weihnachten machten wir uns ein schönes gemütliches Fest mit allem, was dazugehört. Leider blieb es mir nicht erspart, meinen kleinen Sohn und mich noch mal mit Wintersachen einzukleiden. Dass es nun doch noch so lange dauern würde und auch noch einen Winter, damit hatten wir nicht gerechnet. Unsere Möbel waren auch inzwischen auf Kuba eingetroffen und bei seinen Eltern verstaut. Maria besuchte ich jetzt auch wieder regelmäßig und ab und zu meine Eltern. Es war stark spürbar, dass die Tage gezählt waren, an denen wir uns noch sehen konnten. Sie wollten mich zwar allesamt dazu überreden, die Ausreise zurückzuziehen, aber sie schafften es nicht. Ich war nun fest entschlossen, ich wollte mit Raulito zu Raul und seiner Familie nach Kuba. Alle meine Vorstellungen über dieses Land, in dem unsere Beziehung sich endlich erholt, sollten doch wahr werden. Das war es doch, was mich die ganzen Jahre zu Raul hat halten lassen. Obwohl auch mich immer wieder, wenn ich bei Maria war, eine Wehmut überkam, denn die Vorstellung ganz weit weg zu sein, war auch mir manchmal etwas zu viel. Dieses absolut Endgültige war mir zu diesem Zeitpunkt nicht ganz bewusst. Denn niemand wusste, ob ich jemals als Republikfeind zurückkommen könnte, denn die erzwungene Einbürgerung meines Vaters war auf einmal wieder gegenwärtig.

      Raul und ich schrieben uns regelmäßig Briefe, sodass wir fast jede Woche voneinander Post bekamen. In seinen Briefen fiel nie ein böses Wort und er verging fast vor Sehnsucht nach uns. Es beschlich ihn auch die Angst, dass wir vielleicht doch nicht mehr kommen würden. Dennoch konnte ich ihm nicht meinen Missmut über unsere Ausreise zum Ausdruck bringen, denn die Briefe wurden gelesen und wenn ich etwas Negatives über die DDR geschrieben hätte, dann hätte Raul meine Briefe nie bekommen. An einem Tag im Februar war es endlich so weit. Ich bekam einen Brief, der mich aufforderte, auf dem Amt zu erscheinen. Endlich bekam ich unsere lang ersehnte Ausreisegenehmigung. Innerhalb von 14 Tagen hatte ich die DDR zu verlassen. Verglichen mit anderen Ausreisenden hatte ich eher noch viel Zeit, denn es gab Leute, die in 24 Stunden weg sein mussten. Aber trotzdem waren auch die 14 Tage nicht viel bei der weiten Reise, da ich noch nach Berlin auf die kubanische Botschaft musste, um das Einreisevisum für uns zu bekommen, was nicht ohne Termin ging, und die Flüge mussten auch noch gebucht werden. Nach dieser langen Zeit des Wartens waren diese zwei Wochen für mich die traurigste Zeit. Die Zeit des Abschiedes, denn unsere Tickets waren One-Way-Tickets.

      Ich musste Raul ein Telegramm schicken in der Hoffnung, dass er es auch erhält, denn für einen Brief, der vier Wochen unterwegs war, hätte die Zeit nicht mehr gereicht. Raulito war überglücklich mit der Freude, bald seinen Papa wiederzusehen. Überall erzählte er: „Wir gehen nach Kuba zu meinem Papa.“ Es war so schön, ihn so glücklich zu sehen, aber ich wusste dennoch, dass er sich sicher nicht vorstellen konnte, wie weit wir weggingen. Unser Gepäck musste ich so zusammenstellen, dass wir die 40 kg nicht überschritten. In der Zwischenzeit hatte sich aber schon wieder so viel an Kleidung angesammelt, dass ich einiges zurücklassen musste. Es war der 22. Februar 1986, der Tag, an dem wir abflogen. Bei meinen Eltern hatte ich mich am Abend zuvor verabschiedet. Meine Mutter war so traurig, dass sie fasst kein Wort herausbrachte. Sie wusste, es gab an dieser Entscheidung nichts mehr zu ändern. Das schien sie fasst ohnmächtig werden zu lassen. In ihren Augen las ich: Eine Mutter bleibt immer die Mutter und ich werde immer ihr Kind bleiben, ganz egal was auch passiert war. Sie tat mir so unendlich leid, sie konnte sich meinem Vater nie widersetzen und nun, wo ich für immer wegging, hoffte ich, dass meine Schwester sich ihrer annahm. Sie sagte: „Wann geht euer Zug morgen früh nach Berlin zum Flughafen?“ „Wir müssen den Zug um acht nehmen, da wir sonst den Flieger am Nachmittag nicht schaffen, wenn