Die Architektur des Knotens. Julia Jessen

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Название Die Architektur des Knotens
Автор произведения Julia Jessen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783956142468



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heimlichen Gedanken furchtbar laut. Aber sie finden keinen Weg nach draußen. Ich halte sie von ihm fern. Und das macht mich einsam. Zwischen all den Worten, die zwischen uns hin und her wandern, ist immer viel Schweigen.

      Mein Körper, mein Kopf sind ein Kokon, in dem all das Unsagbare zurückbleibt, erstarrt und sich verwandelt. In Ungeduld oder Wut und dann in Müdigkeit. Ich kann dabei zusehen, wie es geschieht, und ich weiß, dass es nicht gut ist. Ich weiß nur nicht, wo ich anfangen soll. Es ist wie eine Gewissheit, dass es nicht zu sagen ist. So wie es auch nicht zu hören sein wird. Weil es uns in Frage stellt. Und weil diese Fragen gefährlich sind und uns Angst machen. Und ich weiß nicht, warum das so sein muss. Warum wir uns so eingerichtet haben, dass wir uns davon nichts erzählen dürfen.

      Eines Abends hatte sich Jonas zu mir über den Tresen gelehnt und gesagt:

      »Yv, liebe Yv, ich bin eine Insel.«

      Und ich habe gesagt: »Nein Jonas, du bist einfach nur ein Idiot.«

      Das war es dann auch mit dem Kummer über die dicke Anja und den vielen Gin Tonics und mein Haarband trug ich nur noch mit dem Gedanken daran, dass er es mir abends abstreifen würde, um seine Hände durch meine Haare zu wühlen. Die Zeit gehörte uns. Sie gehorchte völlig anderen Gesetzmäßigkeiten.

      Und wir passten zusammen.

      Wir passen auch immer noch zusammen. Liebe. Die Gerüche unserer Körper sind zusammengeflossen. Ich weiß nicht mehr, welcher davon zu mir gehört. Unsere Sprache ist in der Schnittmenge von zwei Leben gelandet und dreht sich dort in gewohnten Kreisen und um die Abläufe der Tage. Zwei Menschen, zwei Kreise, eine Schnittmenge, in der wir uns treffen. Ich bin ein »Wir« geworden. Das ist mein Zuhause.

      Außerhalb dieser Schnittmenge bin ich unbeweglich geworden. Eine Menge Bewegungen sind nicht mehr möglich. Die Sprache, an die wir uns gewöhnt haben, hat keine Worte, die davon erzählen dürften.

      Es ist eine völlig andere Liebe jetzt. Sie fühlt sich anders an. Wir wissen das. Aber wir sagen es nicht. Wie soll man das auch sagen? Wenn man sich liebt. Es scheint sich auszuschließen.

      So wie wir hier jetzt liegen, wollte ich nie liegen. Ich dachte, so könnte ich gar nicht liegen. In diesem Panzer. Der Taubheit. Nicht wir. Und plötzlich schäme ich mich dafür, geglaubt zu haben, wir wären anders.

      Mika sitzt bei mir in der Küche. Die Kartoffeln kochen leise blubbernd vor sich hin. Das Geräusch macht mich wahnsinnig. John habe ich noch gar nicht gesehen.

      Als ich die Schüssel mit den Tomaten zum Schneidebrett trage, halte ich sie mit so merkwürdig ausgestreckten Armen, übereifrig irgendwie, so als wollte ich sie herzeigen. Warum tue ich das? Für wen? Niemand schaut mir zu. Ich steh hier, wie die Playmobilfrau mit dem Kuchen, denke ich. Wer will Essen von der guten Mutter? Tue ich so, als wäre ich eine gute Mutter? Bin ich eine? Ich kopiere eine gute Mutter. Offensichtlich kopiere ich eine Playmobilhausfrau.

      Keine Ahnung mehr, wo da ein »Ich« sein soll.

      Ich möchte wissen, was ich noch so alles kopiere. Manche Gesten meines Vaters haben sich in meine Muskulatur eingeschlichen, das hab ich schon öfter bemerkt, die Sprüche meiner Mutter kommen manchmal aus meinem Mund, so wie irgendwelche klugen Sätze, die ich aufgeschnappt habe, manchmal nistet sich auch eine fremdes Lächeln in meinen Mundwinkeln ein, eines, das ich im Fernsehehen oder sonst wo gesehen habe.

      Aber was ist eine gute Mutter, frage ich mich. Was ist Liebe? Familie? Für mich, meine ich? Wie habe ich mir das vorgestellt? So?

      All diese Bilder in meinem Kopf. Die Vorstellung, wie es zu sein hat. Ich weiß nicht, woher sie gekommen sind. Ich hab die Bilder nie wirklich in Frage gestellt, denke ich. Ich bin einfach mit ihnen groß geworden.

      Keine Ahnung, ob das meine Wünsche sind. Aber jetzt bin ich hier. Das ist nicht mehr zu ändern, denke ich.

      Wo verläuft die Trennungslinie zwischen mir und den Kindern, wo sind ihre Gedanken und Wünsche nicht mit meinen verwoben? Ihre ganze Anwesenheit ist ein Teil von mir, ständig anwesend, mit mir verwachsen, genau wie Jonas.

      Es ist ein Knoten, der sich um mich herum festgezurrt hat. Ich bin hineingewoben in dieses faserige Gewirr aus Liebe und Verantwortlichkeiten, ein verfilztes Netz aus Ansprüchen und Erwartungen, mit irgendwelchen eingezwängten Sehnsüchten dazwischen und immer weniger Träumen. Der Knoten hält mich. Das wollte ich doch. Verwachsen miteinander. Eins werden. Und jetzt erkenne ich mich nicht mehr. Ich bin eingebunden in diesen Knoten, ich kann mich nicht mehr bewegen, nicht ohne dass das ganze Konstrukt mitkommt. Ich bekomme keine Luft mehr, kann tatsächlich gerade nicht richtig einatmen und lege den Kopf in den Nacken.

      Die Kartoffeln kochen über. Das Zischen des Wassers auf der Herdplatte reißt mich raus.

      Luft strömt wieder in mich ein und für einen Moment überkommt mich ein kurzer, heftiger Drang, meine Hand in das sprudelnde Wasser zu stecken. Selbst wenn ich mich bewege, fühlt es sich an wie Stillstand.

      Ich gieße die Kartoffeln ab und stelle sie zum Abkühlen aufs Fensterbrett. Der Dampf lässt die Scheibe beschlagen. Mika will was reinmalen. Ich verbiete es ihm. Welchen Grund habe ich, ihm das zu verbieten? Weil es die Scheibe verschmiert? Ich versage auf ganzer Linie. Schlechte Mutter. Schlechtes Gewissen. Wieder Wut.

      Ich kann spüren, wie die Wut in mir feststeckt.

      Unwillig krabbelt Mika zurück auf den Küchenstuhl. Es tut mir leid. Die Haut der Tomaten ist zu weich und nachgiebig, sie bietet dem Messer keine Angriffsfläche, und als ich es endlich schaffe, sie mit dem Messer zu halbieren, quellen Saft und Kerne über meine Finger. Mein Zeigefinger presst sich auf die harte schmale Oberkante des Messers, ich kann spüren, wie die Kante eine Furche in die Haut meines Fingers drückt.

      Manchmal tue ich das, drücke mich gegen etwas, meine Oberschenkel gegen Tischkanten, meinen Daumennagel in den Zeigefinger, und dann spüre ich den Widerstand, den Druck, mich, dann schweigen wenigstens die Gedanken in meinem Kopf, schieben sich nicht mehr zwischen mich und die Welt. Der Schmerz ist unmittelbar. Dann weiß ich wieder, wo ich bin.

      Mikas weißes T-Shirt ist von oben bis unten mit Kakao bekleckert und meine Hände sind voll mit dem Tomatenzeugs, ich finde das Geschirrtuch nicht.

      »Mann Mika, du bist doch total nass jetzt.« Ich versuche, ihm den Löffel aus der Hand zu ziehen, weil er einfach immer weiter seinen Kakao löffelt und sich immer weiter bekleckert. »Jetzt leg den bitte weg und trink normal, verdammt noch mal.«

      Mika reißt seinen Arm weg und stößt dabei gegen meinen Kaffeebecher. Einatmen. Ausatmen. Ich stehe barfuß im Kaffee.

      Ich kann die Wut in mir hochbranden lassen, wie eine Sturmwelle an der Kaimauer, und dann lasse ich sie brechen und wieder zurückschäumen, ich kann das, wenn ich mich dabei nicht bewege. Hab ich gelernt. Einfach nur weiter im Kaffee stehen.

      Mika löffelt weiter, ich sage nichts, soll er sich vollkleckern, ist nicht seine Schuld. Ich bin das. Die Tote von heute Morgen. Weil ich aufgewacht bin mit einem Zettel am Zeh, auf dem stand: Ich will das so nicht mehr.

      Das stand auf dem Zettel. Das war laut und deutlich in meinem Kopf.

      Es war da, als ich aufgewacht bin, es blieb all die Minuten, während ich an Salate, an Jonas und die Bar gedacht habe, und es ist immer noch da.

      Der Gedanke ist wie eine tote Ratte im Garten, die man am besten schnell entfernt, weil die Viecher krank machen. Aber wohin soll ich mit diesem Gedanken?

      Ich kann ihn nicht zur Seite legen und abwarten. Abwarten, weil es ja immer irgendwann weitergeht. Dieser Gedanke ist anders als sonst. Er meint keinen Tag. Kein Erlebnis.

      Er meint das Ganze. Das, worin wir uns eingerichtet haben. Auch in dem Abwarten haben wir uns eingerichtet. Ich frage mich, ob das mein Leben ist. Ob das jetzt so bleibt. Für den Rest. Und wie ich das finde. Aber ich darf die Ratte nicht weiterdenken, denn wir sind vier Leute, die in diese Richtung gehen. Vier Menschen in unserer heilen Welt, die wir aufgebaut haben. Welches Recht habe ich, diese Welt zu erschüttern?

      Ich darf dem nicht folgen. Nicht mal gedanklich. Der