Название | Die Architektur des Knotens |
---|---|
Автор произведения | Julia Jessen |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142468 |
Der Tisch steht schief, an den Stühlen fehlen Beine. Das meiste ist zerbrochen.
Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll. Hat sie die Sachen in den Garten geschmissen?
Durch das kleine Fenster? Mit Kunst kenne ich mich nicht aus.
Was tut sie da in ihrem Garten? Vielleicht ist es ja auch gar nicht ihr Garten. Ich frage mich, woran sie denkt, denn offenbar denkt sie doch an etwas … vielleicht an etwas, das gerade geschehen ist? Etwas, das zu dem Müll im Garten geführt hat? Oder an etwas, das vor ihr liegt, das sie anzuziehen scheint? Vielleicht steht sie unter Schock? So sieht sie allerdings nicht aus. Vielleicht wartet sie auf jemanden … Ich möchte unbedingt wissen, woran sie denkt. Was tut sie da? Es fühlt sich an wie ein Rätsel, das ich lösen muss. Ich muss es verstehen. Der Kopf der Frau ist leicht nach links geneigt, ihr Blick geht eher nach oben als geradeaus, aber ich kann ihren Gesichtsausdruck nicht zuordnen. Was für ein Zustand soll das sein? Sie ist nicht traurig, nicht fröhlich, weder gelöst noch angespannt, auch nicht verträumt. Nichts davon. Sie ist leer. Und auch das ist falsch.
Ich starre so angestrengt auf das Bild, dass ich nicht mitbekomme, dass der Galerist offensichtlich schon eine Weile hinter mir steht. »Tolles Bild, oder?« Seine Stimme bricht so rasant in meine Stille ein, dass ich ihn vor lauter Schreck einfach ignoriere. Starre weiter in das Gesicht der Frau und wünschte, er würde weggehen. Ich sollte was sagen. Wenigstens mit dem Kopf nicken. Ich muss jetzt was sagen. Kann nicht rumstehen und nichts sagen. Bin unhöflich. Ich habe nichts zu sagen und halte mich mit dem Blick am Gesicht der Frau fest.
Ich finde auch, dass »toll« kein angemessenes Wort für dieses Bild ist.
»Toll« ist ein quirliger Nachmittag mit Kuchen oder ein buntes Fest mit Luftballons, ein Wort, das man benutzt wenn Kinder eine Schnecke malen. Zu diesem Bild passt es jedenfalls nicht.
»Da bin ich mir nicht sicher«, sage ich dann.
Der Mann, der hinter mir steht, sieht aus wie der Typ Mann, mit dem ich mich nicht auskenne. Wie jemand, der Drogen nimmt (wie komme ich bloß auf so was?) oder wenigstens genommen hat, einer, der als Jugendlicher Autorennen gefahren ist, so einer (was lässt mich das denken?). Die Lippen sind es. Schmal und fest. Sie haben etwas Schonungsloses, der Zug um seinen Mund etwas Abgründiges. Er trägt einen schmalen Schnurrbart, seine dunkelblonden Haare sind streng zurückgekämmt und seine blauen Augen werden zu schmalen Schlitzen, als er lächelt.
Wir stehen ein bisschen seltsam voreinander, er zuckt mit den Schultern und lächelt noch mal, so als hätte ich etwas nicht verstanden. Mein Gesicht ist heiß.
»Ich wollte mir nur mal kurz das Bild ansehen«, sage ich, »von draußen sieht man es so schlecht.« Er macht »Mmh« und verschwindet hinter dem Tresen.
Ich bleibe vor dem Bild stehen und denke, wahrscheinlich wird sie ihrer Hand hinterhergehen. Wie eine Schlafwandlerin vielleicht.
»Sie sagen mir, wenn ich Ihnen helfen kann, ja?« Es klingt als würde er genau das Gegenteil meinen. Ich nicke und gehe dann einfach raus.
Ich will das Bild haben.
3900,– Euro hab ich gelesen. Das wird also nichts.
»Kann ich helfen?«, fragt eine unsichtbare Stimme, als ich halbherzig versuche, ein Kleid von der Stange zu zerren, dessen Kleiderbügel sich mit mehreren anderen verhakt hat. Ich bin frustriert. Zwei Kleider sind schon auf den Boden gerutscht.
»Ja, wenn du tot umfällst«, denkt es laut in mir. Und dass ich gemein und ungerecht bin, denke ich gleich hinterher.
Eine zwanzigjährige Verkäuferin mit pinken Haaren, höchstens zwanzig, nähert sich und gibt mir das rosa Kleid, an dem ich zerre, in einer anderen Größe. Ich kann mich nicht erinnern, danach gefragt zu haben. Sie muss mich beobachtet haben. Es hat einen tiefen Ausschnitt und ist schmal geschnitten, ganz schlicht. Eigentlich ein schönes Kleid. Es hängt wie ein Fremdkörper auf dem Bügel an meinem ausgestreckten Arm. Das Mädchen dreht sich um und verschwindet wieder.
Ich geh in die Umkleidekabine und schlüpf rein. Es endet kurz unter dem Knie und alles, was bei mir nach dem Knie kommt, sieht ganz okay aus. Ziehe die Stiefel aus und stehe barfuß in einem rosa Kleid vor dem Spiegel.
Ich hab keine Ahnung, was man auf einer Taufe tragen sollte.
Ich mag Kleider nicht besonders. Jetzt habe ich es mir aber in den Kopf gesetzt, dass ich auf der Taufe ein Kleid tragen werde. Ich mag Jeans und Hemden. Kleider enden für mich meistens auf der falschen Höhe. Man sieht einen ungünstigen Ausschnitt vom Bein, bei mir ist das definitiv der Fall. Ich bin kräftig. Damit meine ich nicht dick. Meine Arme und Beine sind muskulös, als würde ich Tennis spielen oder schwimmen. Was ich nicht tue. Ich bin einfach so. Meine Stimme ist dunkel und direkt. Und laut. Ich weiß das, aber ich kann es nicht ändern. Jonas macht sich darüber lustig, dass ich nicht flüstern kann. Nach Johns Geburt, John, der nie einschlafen wollte, hat Jonas mir abends verboten zu reden. »Sei still, Herrgott, du weckst ihn noch auf.«
Ich stehe mir gegenüber. Im Spiegel. Es muss seltsam aussehen, wie ich mich anstarre. Ich denke, nichts ist weiter weg von einer Elfe als das.
Ich habe eine Schwäche für Elfen.
Sie beobachtet mich, seit ich aus der Umkleidekabine raus bin.
»Wissen Sie, was Sie dazu tragen müssen?« Ohne abzuwarten, steckt mir das pinke Mädchen einen Blumenkranz ins Haar. Kleine, bunte Plastikblumen und Perlen, hinten irgendwas mit Tüll. »Flowercrown. Voll in gerade.«
Das Bild im Spiegel löst eine seltsame Qual aus. Da steht eine verkleidetet Frau und starrt sich selbst an. Mit Blumen im Haar.
Ich frage mich, wozu? Wozu soll ich mir einen Blumenkranz ins Haar stecken?
Was ändert das? Sie kann sich das gern selbst ins Haar stecken. Bei ihr wäre es ein Versprechen, oder eine Hoffnung, wenn man es zynisch betrachten möchte. Bei mir ist es einfach nur albern.
Ich nehme das Ding von meinem Kopf und gebe es ihr zurück.
Ich bin ganz ruhig. In meiner Vorstellung waren hysterische Frauen immer welche, die schreien und mit den Armen um sich schlagen. Vielleicht stimmt das gar nicht.
»Och schade, ich finde, Sie sehen damit aus wie eine Elfe«, sagt sie. Hat sie das eben wirklich gesagt? Ja. Damit hat sie mich natürlich voll am Arsch. Keine Ahnung, warum ich immer eine Elfe sein wollte, aber das wollte ich. Immer schon. Wahrscheinlich weil ich mich eher wie ein Trampeltier fühle. »Du musst Ballett machen!«, hat meine Mutter immer gesagt, »dann kriegst du Eleganz.« Ballett hab ich nie gemacht.
Ich kaufe die Flowercrown trotzdem nicht, dafür aber das Kleid. Es ist ein gutes Rosa, finde ich. Es besteht nicht darauf, rosa zu sein. Es ist ein indirektes Rosa. Ein passives Rosa. Kein klares Bekenntnis. Zu gar nichts. Wahrscheinlich ist es passend.
Als ich wieder an der Galerie vorbeihaste, sehe ich den Galeristen von hinten. Er hat die Hände in die Hüften gestemmt und unterhält sich mit einer Frau, die unter jedem Arm einen Hund trägt.
Ich möchte mein rosa Kleid anziehen und mich danebenstellen. Passiv aggressiv. Also noch mal anders. Ich möchte ein Leben haben, in dem es Sinn macht, ein rosa Kleid anzuziehen und sich danebenzustellen. So rum.
Ich bin doch da! Oder etwa nicht? Bin ich doch. Warum will ich mir ein Kleid anziehen und mich danebenstellen. Neben Bilder. Neben Galeristen. Neben mich. Was soll denn das?
Freitag fahren wir los. Zu Sven und Mille, zu Ellas Taufe, nach Kopenhagen.
Ich freue mich darauf. Ich freue mich hauptsächlich darauf, wegzufahren. Mit Jonas und den Jungs. Keine Ahnung, ob ich das rosa Kleid anziehen werde.
3
ICH WACHE AUF UND FINDE, dass ich in einer merkwürdigen Position liege.
So gerade und steif, so wie eine Tote. Wie eine Tote, die man mit einem Zettel am Zeh aus einem Kühlregal gezogen hat,