Название | Die Architektur des Knotens |
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Автор произведения | Julia Jessen |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142468 |
»Ja, Taufen sind wunderschön«, sagt Andrea und lächelt vor sich hin.
»Unsere Kinder sind nicht getauft«, sagt Jonas, »aus gutem Grund.« Jetzt kommt ein Vortrag, denke ich.
Andrea fragt: »Wieso?«, und ich lehne mich zurück.
Jonas sucht nach seinem Glas. »Wo ist mein Glas, Mama, das stand hier doch eben noch?«
Er lehnt sich auf eine Art zurück, die mir missfällt. Breitbeinig und in der Gewissheit, dass er die besseren Argumente auf seiner Seite hat. Das Gespräch ist im Grunde schon beendet, bevor es angefangen hat, denke ich.
»Entschuldige, das habe ich schon abgeräumt … ich dachte, du bist fertig«, sagt Inge.
Jonas gießt den Rest aus der Champagnerflasche in Mikas grünen Becher.
Inge zieht die Schultern hoch. »Jonas, ich bitte dich, trink das doch nicht aus dem Plastikbecher, ich hol dir ein Glas.« Sie ist aufgestanden.
»Lass, Mama, ich trink das jetzt hier draus.«
»Das ist aber Mikas Becher«, sage ich. Ordnende Hände, denke ich.
»Ich denke, Rituale sind wichtig, sie festigen die Gesinnung«, sagt Frank plötzlich.
Jonas lacht laut auf. »Was ist denn mit dir los, Frank? Bist du besoffen oder was? Wo hast du das denn wieder gelesen?«
»Nee, ernsthaft, es ist ein Versprechen, ein Schwur und so was wirkt total auf die eigene Psyche zurück.«
»Aha«, Jonas leert den grünen Becher mit einem Schluck und gießt dann Weißwein rein.
»Jetzt nimm doch bitte das Glas, Jonas!«, ruft Inge.
»Es ist einfach nur ein Ritual«, sagt Andrea, »so wie eine Hochzeit eben. Und das macht doch schon was mit einem, oder?«, fährt sie fort, »es macht einem den Moment bewusster. Man trifft eine klare Entscheidung …«
»Es war richtig, den Käfer zu töten«, denkt es laut in mir.
» … man teilt es laut mit, das macht es verbindlicher, oder?«
Sie streichelt dabei die ganze Zeit Franks Bein, ich beobachte das unter dem Tisch, weil ich zurückgelehnt sitze, und als sie den Satz beendet hat, küsst sie ihn. Mir fällt auf, dass Jonas und ich beide zurückgelehnt sitzen. Auch das missfällt mir. Ich setze mich aufrecht hin. »Was macht das verbindlicher? Welche Entscheidung? Versteh ich nicht.« Jonas Stimme stachelt. Ich weiß, dass er darauf steht, Leute herauszufordern. Seine Augen sind wach und fixieren Andrea. Um seinen Mund herum flackert dieses amüsierte Lächeln, mit dem er abwartet. Er weiß sowieso schon, was er sagen wird. Er wartet nur ab. Mir ist das zu anstrengend, ich möchte hier einfach nur in der Sonne sitzen. Ich lehne mich wieder zurück. Es war ein Ritual, den Käfer zu töten, eine Entscheidung, denke ich.
»Hochzeit verstehe ich ja, das Versprechen, das man sich gibt und so, klar, aber Taufe? Wollen sie das Kind in Gottes Hände geben? Wirklich? Wozu denn bitte?«
»Na ja, allgemeiner vielleicht«, sagte Andrea, »man bittet doch um Schutz. Man will das Kind vielleicht unter irgendeinen Schutz stellen, es beschützt wissen, irgendwie so vielleicht«, ihr Blick schwingt hilfesuchend in Franks Richtung.
»Also, ich finde das richtig schön, so eine Taufe«, sagt Inge und stellt ein neues Glas vor Jonas.
»Ich hab doch gesagt, ich brauch das nicht, Mama.«
»Lass sie doch«, sagt Jochen, »sie läuft halt gern hin und her.« Er zieht kurz die Schultern hoch und lässt sie dann wieder fallen.
»Ich laufe überhaupt nicht gern hin und her, Jochen, ich sorge nur dafür, dass alle ein Glas haben.« Inge setzt sich mit verschränkten Armen hin. Jochen legt den Arm um sie.
Inges Arme bleiben verschränkt.
Es kommt mir plötzlich so vor, als würde alles nach einem unsichtbaren Plan ablaufen.
Ein festgelegter Fahrplan. Inges Hand auf Jochens Hand. Jochens Arm auf Inge.
Unbeweglichkeit. Dunkle Käfer zerdrücken, kurz bevor sie abheben. Andreas Blick. Der Witz, den sie dann erzählt. Die ganze Reaktionskette. Ich kann sie sehen.
Ich bin gar nicht gut drauf heute.
»Im Flur hängt übrigens der Kalender von 2015.« Das musste ich jetzt sagen.
»Ja, Inge gefällt das Bild«, sagt Jochen und drückt Inges Hand. Inge ringt sich ein leichtes Lächeln ab.
Offensichtlich bin ich wirklich in keinem sehr guten Zustand in letzter Zeit. Ständig habe ich das Bedürfnis, Essen in mich reinzustopfen. Umso weniger Worte aus meinem Mund kommen, desto größer ist mein Bedürfnis, meinen Mund mit Essen voll zu machen, etwas zu schmecken, nein, eigentlich schmecke ich gar nichts. Die Menschen strengen mich an, mich eingeschlossen, und dann möchte ich trinken. Sobald ich irgendwo bin, will ich was trinken, damit dieses Geplapper in meinem Kopf aufhört. Zwischen den Menschen, die um mich herum reden, der angestrengten Suche nach etwas Sinnvollem, das ich erwidern könnte, und meinen lauten Gedanken, die alles kommentieren und ständig auf mich einreden, in diesem ganzen Durcheinander sitze ich wie in einem Vakuum aus Stille, in einer fürchterlichen Spannung, die mir den Nacken hochkriecht und von der ich Kopfschmerzen bekomme.
Ich will jetzt nach Hause und packen.
Der Gedanke in meinem Kopf wiederholt sich ständig. Dass ich noch packen muss. »Wenn du nach Hause kommst, packst du erst mal«, denke ich.
Mein Körper ist so unruhig.
Es ist wie ein innerer Irrsinn. Manchmal sage ich zu mir selbst: »Ja, ist gut jetzt. Ruhe jetzt.« Wenn ich nicht wüsste, dass ich relativ normal bin, würde ich denken, ich bin verrückt.
Jochen ist aufgestanden und legt Frank die Hand auf die Schulter: »Los komm, Frank, Würstchen auf den Grill.« Das ist Jochens Art, Gäste in die Familie zu integrieren. Auch das habe ich vorausgesehen.
Frank steht auf, nicht ohne dass Andrea ihn schon wieder küsst. Das hat aber wirklich schon was Zwanghaftes, denke ich.
»Oh, ich hab noch was im Auto vergessen, du liebes bisschen, ich hab doch Nachtisch gemacht.« Andrea springt auf und macht sich auf den Weg zum Auto.
Jonas starrt auf sein Handy und liest irgendwas. Suchbegriff Taufsprüche, sehe ich.
»Lass die beiden doch in Ruhe«, sage ich zu ihm.
»Nee, ich google das jetzt mal. Das nervt mich, wenn Frank immer so nachgeplappertes Zeug von sich gibt. Der hat das einfach nur irgendwo gelesen.«
»Na und. Ist doch egal. Die heiraten bald, da schaltet sich eben manchmal das Gehirn ab.« Wahrscheinlich versuche ich, mit ihm gemeinsam über etwas zu lachen.
Aber Jonas schüttelt mit dem Kopf und starrt weiter auf sein Telefon. »Mein Gehirn war an, als ich dich geheiratet habe«, sagt er, »definitiv an«, und dabei liest er weiter.
Er guckt einmal kurz hoch und sieht mich an, als hätte ich eben was Dummes gesagt.
Hab ich das?
»Guck mal hier! So was. Das meine ich.«
Er liest immer noch vor sich hin. »Ich kann so nichts sehen«, sage ich.
Andrea kommt zurück und stellt eine halbgeschmolzene Schokoladencreme auf den Tisch. Noch eine Schüssel. Vier verschiedene Nachspeisen.
Jonas liest laut:
»Das Wasser in der Taufe steht als Zeichen für Gottes ›Ja‹. Das ›Jasagen‹ Gottes, der Segen Gottes geschieht im Sakrament der Taufe mit dem Element des Wassers. Dazu kommt der Heilige Geist – wie schon bei der Taufe von Jesus der Heilige Geist in Form einer Taube am Himmel sichtbar war. In der Taufe sagt Gott uneingeschränkt ›Ja‹ zu dem Menschen, der getauft wird, heute also ganz deutlich zu Emily. ›Ja, du bist meine geliebte