Название | Die Architektur des Knotens |
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Автор произведения | Julia Jessen |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142468 |
Jonas sagt, er würde eh nicht verstehen, warum ich mir mit den Salaten so einen Stress mache, seine Mutter hätte garantiert auch einen Kartoffelsalat und einen Tomatensalat gemacht. Wie immer. Erst schiebt sie es dir zu, sagt er, und dann macht sie es trotzdem selbst. Das weißt du doch.
Die Jungs schnallen sich ab, obwohl wir noch nicht angehalten haben. »Wir sind eingeladen und sie hat darum gebeten«, sage ich. »Das macht man einfach nicht, dass man dann nichts mitbringt.« »Aha«, sagt er, so als wäre das nur eine spießige Vorstellung von mir. »Ich möchte auch nicht, dass wir eine Familie sind, die kommt und nichts mitbringt. Einer muss es also machen.«
»Dann mach es, wenn es dir wichtig ist«, sagt er. Dafür könnte ich ihn …
Kaum stehen wir, passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Die Jungs öffnen beide ihre Autotür und stürmen in Richtung Haustür, die sich in diesem Moment öffnet. Jonas’ Eltern stehen in der Tür, wie zwei Heilige in einem Adventskalendertürchen. Die Autotüren bleiben natürlich offen, Jonas stöhnt, steigt aus und knallt sie nacheinander zu. Im gleichen Augenblick stürmen die Jungs ins Haus, vorbei an Oma und Opa und dann fällt die Haustür hinter den Vieren mit lautem Knall ins Schloss. Das war’s dann, denke ich, ohne Zusammenhang.
Jonas und ich stehen allein in der Einfahrt, wie die Zuschauer einer seltsamen Rhythmus-Performance.
»Was war das denn jetzt?«, frage ich, weil ich gern noch ein bisschen mit ihm hier stehen möchte. Wir könnten uns auf den Kies setzen. Ich könnte meinen Kopf an seine Schulter lehnen.
Jonas zuckt mit den Schultern, er murmelt irgendwas vor sich hin und kramt seinen Schlüssel aus der Tasche. Ich nehme die Schüsseln und trotte hinter ihm her zum Haus.
»Kannst du dann bitte die Kiste aus dem Kofferraum mitnehmen?«
Jonas dreht sich zu mir um und fragt mich, welche Kiste ich meine.
Im Flur stellt er die Kiste ab, streckt sich und stöhnt dabei so laut, als wäre er den ganzen Weg zu Fuß gegangen. Mir fällt auf, dass er das oft macht bei seinen Eltern. Stöhnen und seufzen. Es führt immer dazu, dass Inge ihn fragt, wie es ihm geht, und ihm sagt, er solle sich hinsetzen. Inge taucht aus der Küche auf und küsst ihren Sohn zwei Mal und mitten auf den Mund.
»Na, du Lieber«, sagt sie. Dann küsst sie mich ebenfalls, auf die Wange, und schaut in die Schüsseln. »Ach, du Liebe, du hast Salate gemacht!« Als ob das eine Überraschung wäre, denke ich.
»Jetzt hab ich aber auch welche gemacht.« Sie legt tatsächlich beide Hände über den Mund und sieht mich erschrocken an. »Na ja, besser zu viel als zu wenig, oder? Das kriegen wir schon weg«, murmelt sie hinter ihren Händen und macht dabei einen kleinen sinnlosen Hüpfer.
Inge ist das, was man eine liebe Frau nennt. Sie gibt sich immer Mühe. Das ist allerdings genau das, was mich anstrengt, dieses sich Mühe geben, es gibt mir das Gefühl, ihr ständig helfen zu müssen, und dazu habe ich keine Lust.
Ich drücke ihr die beiden Schüsseln in die Hand und bleibe im Flur stehen.
Jonas fragt, ob er was helfen kann. Inge lacht und sagt: »Ja, du kannst dich in den Garten setzen und den Weg frei machen.«
Mein Blick wandert ziellos über die Wände, weil ich noch darüber nachdenke, ob sie damit meint, dass ich jetzt in der Küche helfen soll, und bleibt dann an einem Kalender hängen. 2015 steht da.
Eine Möwe fliegt durch einen blauen Himmel über ein blaues Meer, kaum erkennbar, was Luft und was Wasser ist. Solche Bilder sind nichts für mich.
Haben wir nicht 2016?
Haben sie vergessen, den abzunehmen, oder ist das mittlerweile egal? 2015 … 2016?
Macht das tatsächlich einen Unterschied? Ich komme zu dem Schluss, dass die Jahre ziemlich gleichförmig geworden sind. Sie unterscheiden sich in Kleinigkeiten, manchmal gibt es Neuigkeiten, aber im Großen und Ganzen tun sie das, was man von ihnen erwartet.
Wenn Weihnachten abgebaut ist, kann man auch gleich schon wieder Ostern aufbauen. Irgendwas ist immer los.
»Danke, dass du an den Champagner gedacht hast.« Jonas streicht mir kurz über den Rücken. Ich nicke. Er geht raus. Ich bleibe im Flur zurück.
»Hallo Jochen.«
Jonas Vater kommt die Treppe herunter und wedelt mit zwei Büchern, eines in jeder Hand.
»Hallo Gnädigste«, sagt er und küsst meine Hand. Ich mag Jonas’ Vater. In der curryfarbenen Cordhose mit dem grünen Pullover und den wirren grauen Haaren sieht er aus wie ein verstrahlter Physikprofessor. Jochen ist auch ein freundlicher Mensch. Jonas stammt von zwei wirklich freundlichen Menschen ab, denke ich.
Trotzdem ärgere ich mich über die Salate, die ich umsonst gemacht habe, und darüber, dass Jonas jetzt draußen auf der Terrasse sitzt und Inge mich tatsächlich in die Küche ruft und mir eine Tischdecke in die Hand drückt. Ich habe auch noch immer keinen geeigneten Platz für diesen lästigen Gedanken gefunden, der mir seit heute Morgen durch den Kopf wandert.
Mein Körper ist nervend unruhig. Ich stehe mit der gefalteten Tischdecke in der Hand einen Moment zu lange in der Küchentür.
»Bitte auf den Gartentisch.«
Ich nicke und gehe mit der Tischdecke nach draußen.
Die Jungs sind am Gartenteich und suchen nach Fröschen. Jonas sitzt seitlich auf einer Gartenliege und starrt auf sein Telefon.
Der Holztisch ist noch feucht vom morgendlichen Regen. Ich weiß gar nicht, was ich damit meine, dass ich »das so nicht will«.
»So« ist ein sehr kleines Wort, es hat nur zwei Buchstaben und kann in diesem Satz alles und nichts meinen. Ich mag mein Leben. Ich mag die Menschen darin. Ich weiß gar nicht, wie ich es anders machen sollte. Es fehlt nur so viel. Mir ist so vieles abhandengekommen. Es reicht einfach nicht. Der Gedanke hinterlässt eine ungute Spur, während er über alle anderen Gedanken des Tages rüberkriecht. Wie Schneckenschleim klebt er an allem, was geschieht, und beschmutzt es.
Ich werfe das Tischtuch in die Luft, halte es nur an zwei Zipfeln, es flattert hoch und ich sehe zu, wie es sich aufbläht. Ein Segel. Alles wird weiß, Jonas und die Kinder verschwinden dahinter.
In dem kurzen Moment zwischen Steigen und Fallen, in dem die Tischdecke jetzt schwebt, halte ich die Luft an. Dann sinkt sie herab und begräbt den feuchten Holztisch unter sich.
Alles weiß. Alles weg.
Mein Blick wandert über die leere weiße Fläche. Nichts drauf. Noch nicht. Ein weißes, leeres Blatt. Plötzlich landet ein Maikäfer. Dunkel, kein schönes Braun, mit seinen kleinen Füßchen kratzt er über den weißen Stoff. Fliegen die nicht eigentlich in der Dämmerung?
Er bewegt sich langsam, es hat etwas Unheilverkündendes, wie er sich über die weiße Fläche bewegt, wie eine dunkle Vorahnung. Ich bilde mir plötzlich ein, das Geräusch der Füße zu hören, das Kratzen, natürlich ist das eher unwahrscheinlich.
Er sitzt jetzt einfach nur da, in der Mitte der scheinbar unendlich weißen Weite und bewegt sich nicht mehr. Im Hintergrund, in der Unschärfe, sehe ich verschwommen die Farben von Inges Blumen. Verschwommenes Blau und Rot. Und viel zu viel Gelb.
Der dunkle Käfer ist mir unangenehm. Sein Verharren hat etwas Bedrohliches.
Ich halte die Schüssel mit dem Kartoffelsalat in den Händen und warte. Ich habe es, glaube ich, noch nicht mal gesehen, höchstens geahnt oder gespürt, die kleine Bewegung seiner Flügel, das leichte, unmerkliche Anheben, und in der Sekunde, in der ich denke, jetzt hebt er ab und fliegt weg, lasse ich die Schüssel auf ihn niedersinken. Ich stelle sie auf den Tisch. Mitten auf den Tisch. Mitten auf den Käfer. Meine Hände drücken die Schüssel immer weiter nach unten. Ich zerquetsche ihn. Den dunklen Botschafter. Es fühlt sich an, als hätte ich das Richtige getan. Meinen Gedanken zerquetscht.
Ich