Название | Die Architektur des Knotens |
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Автор произведения | Julia Jessen |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142468 |
Andrea ist mit der Frischhaltefolie auf ihrer Schüssel beschäftigt. »Wer ist Emily?«
»Yv, das ist doch scheißegal. Irgendjemand halt. Da steht: Gott sagt uneingeschränkt ja zu dem Menschen, der getauft wird! Also zu dieser Emily. Was soll das heißen? Egal, was sie tut, sie ist uneingeschränkt angenommen? Warum? Was heißt das bitte? Außerdem hat niemand Emily gefragt. Vielleicht will sie das ja gar nicht. Muss sich ein Erwachsener nicht entscheiden zur Taufe? Ich frag mich, warum liebt er nicht alle Kinder uneingeschränkt? Von Anfang an. Sind doch seine Geschöpfe. Was ist mit unseren Kindern? Was können die dafür, dass wir sie nicht getauft haben, lehnt er die ab? Macht doch keinen Sinn. Also, so was ärgert mich, schon allein weil es so durchschaubar ist. Das ist nichts anderes als eine Zwangsheirat mit Gott. Nicht mal. Zwangsheirat mit der Kirche ist das. Darum geht’s. Man zahlt und bekommt den Schutz Gottes. Exklusiv offensichtlich. Du zahlst dann Kirchensteuer, das ist alles. Sven geht doch gar nicht in die Kirche, der glaubt doch auch an nichts. Ich versteh nicht, was das soll. Mir wäre das unmöglich, diese Sätze nachzuplappern, ohne daran zu glauben. Das ist mir völlig unbegreiflich.«
Ich betrachte Jonas eine Weile von der Seite. Seine dunkelblonden Haare, Mika hat die gleichen Haare, Jonas fährt sich mit den Fingern durchs Haar, sind jetzt völlig durcheinander die Haare, macht Mika auch schon so. Wir übernehmen diese Bewegungen einfach und das ganze Gefühl, das damit einhergeht. Ist doch die Frage, ob das wirklich zu uns gehört, oder etwa nicht … Adam und Eva haben die Schuld ja auch einfach weitervererbt, da kann man nichts gegen machen, denke ich. Alles Erbsünde, denke ich.
Frank kommt mit einer Platte Würstchen an den Tisch.
»Taufe ist einfach nur Zwangsheirat mit der Kirche, Frank. Du musst hier mal die Texte lesen und dann musst du das mal wirklich denken, was da steht. Es ist einfach Schwachsinn. Gott bleibt bei ihr bis ans Ende ihres Lebens und darüber hinaus.«
Jonas kämmt sich schon wieder mit allen fünf Fingern durch die Haare. Er macht das fahrig, nebenbei. Mir gefällt die Bewegung.
»Also kommt sie sogar in den Himmel. Das macht einfach keinen Sinn. Ich versteh nicht, warum man seine Kinder heutzutage taufen lässt. Das widerspricht jedem klaren, logischen Gedanken.«
Sein Gequatsche fängt jetzt an, mich zu ärgern.
Es ärgert mich, dass seine Gedanken immer schon fertig sind. Abgeschlossen. Man kommt nicht dazwischen. Ich komm nicht dazwischen. Er kann einem die Sätze mit einer unwilligen Handbewegung direkt vom Mund wegwischen.
Ich kenne das. Es ärgert mich trotzdem.
Frank hat die Würstchen abgestellt, steht aber immer noch, weil das Fleisch wartet, wie er sagt. Die Grillzange baumelt unentschlossen in seiner Hand.
»Es geht eher um das Ritual, Jonas. Die Leute lieben Rituale. Man will sein Kind schützen. Das hat nichts mit klaren und schon gar nichts mit logischen Gedanken zu tun. Das müsstest du doch am besten wissen, du hast doch zwei. Das ist wie auf Holz klopfen.«
»Ich klopfe nicht auf Holz«, sagt Jonas.
»Klar klopfst du auf Holz«, sage ich.
»Ist doch nicht, dass ich das nicht verstehe, ich will meine Kinder auch beschützen, aber mein Verstand sagt mir doch, dass ich das nicht tue, indem ich monatlich Geld an die Kirche überweise. Ich bitte euch.«
»Ja, aber das ist doch nicht alles!« Andrea sieht jetzt ein bisschen aufgeregt aus, finde ich. »Das sieht doch die Kirche auch nicht so. Die will doch das Kind in eine Gemeinschaft aufnehmen und mit einem Glauben versorgen. Das gibt doch auch Halt.«
Jonas lächelt. »Glaubst du an Gott, Andrea?«
»Ja, nee, weiß ich nicht, nicht an einen alten Mann im Himmel natürlich … aber schon an irgendwas.«
»An was denn genau?« Ich sehe das Zucken in seinen Mundwinkeln. Ich frage mich, ob er sich all seiner Antworten wirklich so sicher ist. Ob er sie manchmal überprüft und überdenkt oder ob er sie einfach nur aus der Schublade zieht und zum Besten gibt. Wahrscheinlich tue ich ihm unrecht.
Er breitet seine Gedanken mit großen Gesten über dem Tisch aus. Ich verstehe, was er sagt, aber die Gedanken, die ich dazu habe, zerfallen in zwei Teile, in ein »einerseits« und ein »andererseits«, dann zerfallen sie weiter und zerfallen in immer kleinere Teile. Ich weiß nicht, wann das passiert ist, dass meine Gedanken sich so von mir abwenden, ich auf ihre Rückseite starre und meine Antworten alle aussehen wie Fragen.
»An … die … an eine Kraft … was Größeres halt«, sagt Andrea. Etwas unwillig. Das höre ich.
»Und glaubst du, diese Kraft nimmt dein Kind über den Tod hinaus uneingeschränkt an.«
»Ja, wenn man es bildlich nimmt, kann ich mir etwas in die Richtung vorstellen. Oder möchte es mir vorstellen. Die Kraft der Gedanken, weißt du. So wie Frank das eben gesagt hat …«
Ihr Blick sucht schon wieder nach Frank, aber der ist mit schaukelnder Grillzange zurück zum Grill gegangen.
» … so ein Ritual macht was mit einem, also mit den Eltern meine ich, man lebt dann auch anders.«
»Man lebt dann anders, Andrea?«
Ich habe Jonas in den Oberschenkel gekniffen, aber er redet trotzdem weiter, als hätte ich das nicht getan.
»Ich sollte Taufpate bei Sven sein«, sagt er angriffslustig und stützt sich mit beiden Ellenbogen auf dem Tisch ab, »da hätte ich das Versprechen abgeben müssen, dass ich Ella im christlichen Glaube miterziehe. Hab ich abgelehnt.« Er lehnt sich zurück. »Ich müsste es ja nur sagen, hat Sven gesagt. Genau das mach ich eben nicht, verstehst du.«
Ich erinnere mich an das fast zweistündige Telefonat mit Sven. Ich habe Jonas gesagt, dass ich es unmöglich finde, dass er das abgelehnt hat. Gleichzeitig war ich irgendwie stolz auf ihn. Das habe ich oft. Widersprüchliche Gefühle zu etwas. Meistens ist es mein Gefühl, das mit den Erwartungen der anderen kollidiert und dann einen seltsamen, unkenntlichen Klumpen zurücklässt. Ich bekomme schon wieder Kopfschmerzen. Es fühlt sich an, als würden meine Umrisse verschwimmen, wenn diese Kopfschmerzen kommen.
»Du hast geheiratet«, sage ich. »Ist auch ein Ritual.« Die Worte kommen überraschend und unpassend scharf aus meinem Mund.
»Das ist doch was völlig anderes als eine Taufe, Yv.« Verstehe nicht, warum er jetzt lächelt.
»Finde ich nicht. Wir haben uns ein fast kirchliches Versprechen gegeben, in guten und in schlechten Tagen, bis dass der Tod uns scheidet. Und die Worte ›für immer‹ sind auch einige Male gefallen.«
»Ja und?« Er sieht mich ratlos an. »Was ist damit? Das ist doch ein Versprechen, das wir uns gegeben haben. Und nicht Gott.«
»Ja, aber trotzdem …«, ich fange an zu stottern und weiß auch eigentlich nicht mehr so genau, worauf ich hinauswollte. »Das entspringt ja auch einem Wunsch nach Schutz oder so was Ähnlichem. Bis in alle Ewigkeit … dieses: nur Du! entspringt ja nun auch nicht gerade einem klaren und logischen Gedanken, wenn man sich die Statistiken mal so anschaut.«
»Wir haben nicht in der Kirche geheiratet, außerdem haben wir unsere Eheversprechen selbst geschrieben, das ist was völlig anderes, Yv.« Er soll aufhören, am Ende des Satzes ständig Yv zu sagen. Das gefällt mir nicht. Es ist überheblich.
»Sehe ich anders«, sage ich, »die ganze Idee von der ewigen Liebe, der uneingeschränkten Liebe, einer, die immer gleich bleibt, einer von nichts zu beschädigenden Liebe, die alles gut macht, das ist auch eine sehr … romantische Idee. Und wenn du schon sagst, die Menschen haben sich Gott ausgedacht, dann … also, die romantische Liebe mit all ihren Regeln und Geboten haben sie sich doch auch ausgedacht.«
Meine Worte rennen gegen ihn an, wie Fäuste, die gegen seine Brust trommeln. Ich will ihm Schmerz zufügen, damit er aufhört, so wasserdicht zu sein. Das, was ich eigentlich meine, liegt irgendwo unter diesem Riesenhaufen Wortgerümpel verschüttet, den ich spreche. Ich sage