Название | Die Architektur des Knotens |
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Автор произведения | Julia Jessen |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142468 |
»Das ist ja Schwachsinn, was du da redest, Yv, das entspringt doch einem Gefühl, das mit der Liebe.«
»Und? Der Glaube an eine höhere Macht doch auch.« Meine Stimme rutscht etwas zu hoch.
»Häh?« Jonas schüttelt den Kopf.
Inge guckt mich die ganze Zeit an, aber ich tue so, als würde ich es nicht bemerken. Ich habe das Gefühl, als würde mich jemand umarmen und mir dabei langsam die Luft abdrücken.
»Und ihr habt eure Eheversprechen wirklich selbst geschrieben?«, fragt Andrea jetzt und ihre ausladenden Handbewegungen durchbrechen das Gespräch und sind auf die Art überschwänglich, wie Leute es tun, die dem Gespräch eine andere Richtung geben wollen.
»Das finde ich ja so toll.«
»Ja, haben wir«, sagt Jonas. »Wir wollten Raum und Zeit, Liebe und Leid … irgendwie so war das, oder Yv? … egal, das wollten wir alles miteinander teilen, so schön kitschig waren wir.« Er lächelt mir zu. »Und haltet ihr euch denn daran? Teilt ihr alles?« Andrea drängt weiter in diese Richtung.
»Das tun wir, finde ich.« Jonas wirft mir einen kurzen Blick zu.
War das eine Frage? An mich? Ich kann hören, dass Jonas bereit ist, ihr zu folgen und seinen Vortrag zu beenden. Ich nicht.
»Ja«, sage ich, »klar. Wenn ich irgendwann mal am Samstag zeitunglesend im Bett sitze, während Jonas in der Küche Zürcher Geschnetzeltes macht, unterschreibe ich das. Aber ich meinte ja eben nur, dass Heiraten und das An-die-ewige-Liebe-glauben … das sich Binden mit all den Versprechen … also da sind doch Parallelen, oder nicht … auch das mit der Keuschheit übrigens! Oder der … ähm Exklusivität, wie immer man das jetzt nennen will!«
Ich bin ganz beschwingt von dem guten Argument, das mir da gerade eingefallen ist.
»Keuschheit? In unserer Ehe?« Jonas lacht pikiert.
»Ja, ist doch eigentlich ein Keuschheitsgelübde, was ich da abgelegt habe, dass ich mit niemandem schlafe, außer mit dir. Zölibat fast. Als wärest du Gott.«
In meinem Kopf macht das sehr viel Sinn gerade.
»Ja, aber das will man doch so. Man will doch gar keinen anderen«, sagt Inge, während sie eine Serviette faltet, glatt streicht und wieder auseinanderfaltet, glatt streicht, ich beobachte das sehr genau.
»Ach Quatsch, Mama, das ist ja nun auch Blödsinn.«
»Ich finde schon, dass das so ist. Also bei mir ist das so«, sagt Inge. Jonas muss lachen, dann dreht er sich zu mir. »Zölibat also, Yv?«
»Hör mal auf, ständig meinen Namen zu sagen, bitte. Ich sag ja nur, dass du auch nicht gefeit bist vor … dem Ritualzauber. Keiner von uns ist das.«
Er hebt die Hände in die Luft, beschwichtigend wahrscheinlich, als wäre ich aufgebracht. Ich bin doch nicht aufgebracht!
Frank kommt mit dem Fleisch. »Hab ich schon erzählt, dass Andrea und ich vielleicht kirchlich heiraten wollen?«
Andrea grinst nach unten auf ihren Teller. Jonas zuckt mit den Schultern.
»Macht, was ihr wollt.«
»Ja, sowieso«, sagt Frank.
Los, küsst euch, denke ich.
Sie küssen sich.
Na also, geht doch, kommentiere ich das laut in Gedanken und bitte mich danach selbst, endlich still zu sein und nicht so schlecht über Jonas und meine Freunde zu denken.
»Was ist mehr wert, Mama? Ein Mensch oder ein Frosch?« Mika steht vor mir und weint, sein kleines Gesicht ist ganz verzerrt vor Anstrengung, schwarze Schmutzstreifen ziehen sich von den Augen bis runter zum Kinn. Vorsichtig wische ich mit dem Daumen die Tränen unter den Augen weg. Sein Mund ist leicht geöffnet. Apfelsaftatem rieche ich.
»Beides gleich, weißt du doch«, sage ich.
»Wie bitte?« Jochen verschluckt sich fast. »Ein Mensch natürlich!«, sagt er laut und deutlich in Mikas Richtung. Kann er ja nicht wissen, dass ich gerade gestern ein hochphilosophisches Gespräch mit meinen Jungs über Lebewesen hatte, nachdem sie Tausendfüßlern mit einer Nagelschere die Beine abgeschnitten und Ameisen in Cola ertränkt haben.
»Ich meine ja nur, dass sie … man kann den Wert ja nicht wirklich bemessen … Für Menschen ist ein Mensch natürlich mehr wert, Mika, ich würde immer erst einen Menschen retten, bevor ich einen Frosch rette, das ist ja klar. Aber beide sind Lebewesen. Grundsätzlich ist keines mehr oder weniger wert als das andere … vor Gott meine ich … den es so gesehen nicht gibt, also …«
Oh, ich sehe schon, betretenes Schweigen. Was hab ich jetzt wieder gesagt?
Inge legt ihre Hand auf meine (alle sollen aufhören, ihre Hände auf irgendjemanden zu legen, überall diese Beschwichtigungsgesten, ich möchte schreien).
»Ich finde nicht, dass du mit einem Vierjährigen so sprechen solltest. Das ist viel zu komplizi… das ist zu komplex, ja?«
»Ich weiß aber, was Mama meint. Deshalb habe ich John gerettet. Und deshalb eben nicht den Frosch!«, sagt mein Mika und heult dabei weiter. Ich möchte nicht mitmachen bei dem Händezirkus. Ich will nicht beschwichtigend nach unten gedrückt werden.
»Das hat eine Vorgeschichte, Inge«, sage ich. Ich sage das sehr freundlich, um von meiner Hand abzulenken, die ich unter ihrer wegziehe. »Worum geht es überhaupt, Mika?« Jonas hat die einzig richtige Frage gestellt.
»Ja, worum geht’s denn?«, frage ich überflüssigerweise auch noch mal.
»Ich habe einen Frosch ermördert. Aber nur (er schluchzt immer noch) Aber nur … (schluchzen) Aber nur, weil …«
»Warum, Mikki?« … (meine Nerven) … »nur, weil er John angreifen wollte.«
John tippt sich an die Stirn. »Genaaaau. Der Frosch wollte mich doch nicht angreifen. Du wolltest einfach den Stein draufhauen!«
»Er wollte dich beißen«, schreit Mika.
»Blödsinn. Du wolltest ihn töten!«
»Wollt ich nicht.«
»Doch!«
»Gar nicht.«
»Doch!«
(meine Nerven)
»Frösche beißen nicht, Mika«, sage ich.
»Der Frosch hatte Zähne! Ich lüge nicht!«
John lacht sich kaputt. »Du hast mich gefragt, ob du den Stein draufhauen sollst. Hast du oder nicht?«
»Hab ich nicht!«
»Doooch, das hast du! Hast du. Hast du.«
»Jungs, es reicht jetzt. Ist der Frosch wenigstens richtig tot oder quält der sich jetzt irgendwo?«
»Er ist tot, weil Mika ihn erschlagen hat, und jetzt ist Mikas Leben weniger wert als ein Frosch. Weil er ein Mörder ist.« John zuckt kurz mit den Schultern. »Ist so.«
»Hast du ihm das erzählt, John?« Jonas zieht John zu sich rüber. »Ja, das hat er gesagt«, ruft Mika, »dass das Leben vom Frosch jetzt mehr wert ist als meins.«
Jonas flüstert John was ins Ohr. Und ich halte den schluchzenden Mika im Arm, der immer neue Schluchzer aus sich rauspresst, weil sein Leid Inge immer dazu bringt, Süßigkeiten auf den Tisch zu stellen und ihn dann damit zu füttern.
Ich möchte Mika gern sagen, dass ich verstehe, dass er den Frosch getötet hat, dass ich heute einen Maikäfer getötet habe … warum? Weil ich musste. Weil er mich angegriffen hat. Ich möchte ihm sagen, dass wir so was manchmal machen. Dass er für mich immer mehr wert sein wird als ein Frosch, mehr wert als alles, egal, was er tut, dass er einmalig und wertvoll und ein wunderbares Geschöpf ist. Und dass er uneingeschränkt angenommen