Название | Der tote Rottweiler |
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Автор произведения | Heike Brandt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948675721 |
Er räuspert sich.
„Und dein Vater?“, fragt Natalie.
„Äh, mein Vater?“
Manuel streicht sich die Haare aus dem Gesicht.
„Na ja, was soll ich sagen. Ich hab keinen.“
Er lacht auf.
„Mich hat der Storch gebracht, hat mir meine Oma immer erzählt. Weil meine Mutter so gerne einen kleinen Jungen wollte und sich extra einen mit himmelblauen Augen bestellt hat.“
Doofe Geschichte, denkt Bobi. Totale Verarsche.
„Also, keine Ahnung, wer mein Vater ist. Aber ich brauche keinen, ich versteh mich echt gut mit meiner Mutter. Die lässt mich machen und stresst überhaupt nicht. Da muss ich sie nicht mit blöden Fragen stressen.“
Er blickt Natalie scharf an.
„Okay, sorry“, sagt Natalie und hebt eine Hand.
„Na ja, und was das Thema betrifft. Ich denk darüber nach, warum Leute andere erschießen, aber jetzt nicht im Krieg, sondern im Frieden. Polizisten, Gangs, Amokschützen, sowas. Weil, mein Cousin, in dem seiner Schule war so’n Amokschütze gewesen, und mein Cousin, der hat das alles voll mitgekriegt, 14 war der da. Voll krass, was der mir erzählt hat, echt voll krass.“
Er macht eine Pause und fügt dann hinzu:
„Ey, dem sein bester Freund ist erschossen worden, einfach so, weil dieser Arsch die Knarre von seinem Papa klauen konnte. Das geht doch gar nicht! Mein Cousin, der war zwar nicht verletzt, also am Körper, aber den lässt das nicht mehr los, auch wenn’s schon lange her ist. Er hat immer noch Alpträume. Bloß weil der Typ so ´ne Scheißknarre hatte.“
Er schweigt, kneift die Lippen zusammen und macht kurz die Augen zu.
„Eh, der kann noch nicht mal einen Film sehen, in dem geschossen wird. Kriegt er Panikattacken!“, sagt er dann noch.
Die anderen rühren sich nicht. So was erlebt haben sie noch nicht, aber an ihrer Schule gibt es in regelmäßigen Abständen Amokalarm – als Übung. Mit Sirene und in Deckung gehen und allem, was dazugehört. Gruselig. Weil’s so unwirklich ist, und gleichzeitig irgendwie nah dran. Passiert ja auch in echt.
Nach einem Moment steht Manuel auf, winkt Natalie zu und sagt wieder so locker wie sonst:
„Jetzt du. Ich nehm deine Angel und fisch dir die Worte aus dem Mund.“
Natalie lächelt und drückt ihm den Stab in die Hand, zeigt ihm, wie er ihn halten soll, und hängt ihm das Aufnahmegerät um.
Dann nimmt sie auf dem Stuhl Platz. Schlägt die Beine übereinander, winkelt die Arme an, faltet die Hände im Schoß. Lange, feine Finger. Die blonden Haare frisch gestylt, bürstenkurz auf der einen Seite, schulterlang auf der anderen. Das Gesicht rosa-rosig, die Nase platt, als hätte einer mit dem Finger draufgedrückt. Sie schminkt sich nicht, dennoch sind ihre Lippen knallrot.
„Ich heiße Natalie, bin sechzehn Jahre alt und gehe in die zehnte Klasse Realschule. Meine Eltern haben in der DDR gelebt, in Thüringen, aber nach der Wende hat ihr Betrieb dichtgemacht. Arbeit futsch, alles futsch. Da haben sie rübergemacht, hierher. Hier im Werk gab’s Arbeit, meine Mutti hat in der Kantine angefangen, mein Vati als Lagerarbeiter. Vati ist inzwischen Pförtner, Mutti schafft immer noch in der Kantine.“
Sie legt den Kopf in den Nacken und streicht sich mit der Hand über den Hals, bevor sie fortfährt:
„Irgendwie stimmt das schon, was Patrick gesagt hat. Ich meine, dass wir hier alle von der Waffenherstellung leben, ich doch auch. Und nicht schlecht. Das hatte ich so noch gar nicht gesehen.“
Sie guckt direkt in die Kamera.
„Muss ich drüber nachdenken. Ja.“
Und schweigt.
Bobi schwenkt die Kamera zu Amal, weil sie so angespannt guckt, und fängt ein gedankenverlorenes Nicken ein.
Manuel sagt:
„Später. Mach erst mal weiter.“
Bobi richtet die Kamera wieder auf Natalie.
„Äh, ja. Also. Ich habe eine große Schwester, die lebt in Stuttgart und arbeitet als Erzieherin. Sie hat ein Kind gekriegt, und dann hat sie gesagt, na, dann kann sie ja gleich lernen, wie das geht. Finde ich gut, aber ich will erst mal keine Kinder, ich will eine Ausbildung als Gärtnerin machen oder auf einem Bio-Bauernhof Landwirtschaft lernen, irgend sowas, ich will auf alle Fälle was mit Natur machen und draußen arbeiten. Und das Projekt will ich nicht nur wegen Krieg machen, das auch, klar, aber das mit der Natur finde ich auch wichtig. Ich finde, die Menschen haben nicht das Recht, die Umwelt zu zerstören, nur damit sie bequemer leben können und immer reicher werden. Ich finde, Tiere und Pflanzen haben auch ein Recht zu leben. Ich möchte im Einklang mit der Natur sein.“
Amal hebt die Hand, und Manuel schwenkt die Angel zu ihr.
„Okay, verstehe ich“, sagt sie. „Aber was hat das mit Frieden schaffen ohne Waffen zu tun?“
Natalie legt die Finger übereinander, so dass sie ein Zelt bilden, und drückt sie gegeneinander.
„Also, ich finde, Frieden und Waffen, das ist ein totaler Widerspruch. Und als ich den Satz Frieden schaffen ohne Waffen gelesen hab, dachte ich, genau das ist es, so muss das sein, Waffen müssen weg. Meine Schwester sagt immer, man kann nicht Kinder schlagen, damit sie anständige Menschen werden. Ist doch richtig, oder?“
Sie hält einen Moment inne, blickt allen ins Gesicht, als erwarte sie Zustimmung. Und es nicken auch alle, selbst Bobi hinter der Kamera. Sie fährt fort:
„Und ja, mit der Natur, da ist das auch so. Wenn man die schützen will, darf man das nicht mit Gewalt tun. Ich will Frieden mit der Natur. Und keinen Krieg. Aber genau das machen Jäger mit ihren Waffen.“
Ihre blaugrünen Augen blitzen zornig, sie gerät immer mehr in Fahrt, spricht schnell und hektisch.
„Ich glaub, Jäger sind sowas wie Soldaten. Ich hab mir mal eine Website für Jagdwaffen angeguckt, und da sieht man ganz genau, dass Jagd irgendwie dasselbe ist wie Krieg: Jäger wollen den Feind – sie sagen, das Wild – aufspüren, töten; sie wollen sich beweisen, stärker sein, Herr über Leben und Tod sein – so was eben. Müsst ihr mal gucken. Widerlich ist das, so … so … großkotzig! Also ich bin gegen Krieg, gegen die Jagd, ich bin gegen Waffen. Ich finde, das hängt irgendwie zusammen. Krieg abschaffen ist schwer. Aber vielleicht kann man ja mit der Jagd anfangen? Keine Ahnung, wie man das durchsetzen kann. Da hängt so viel dran. Ist echt ein Riesending.“
Sie legt die Hände an die Wangen, die sich rot gefärbt haben, und guckt für einen Moment ganz verloren. Dann steht sie auf, nimmt Manuel die Angel ab und nickt Bobi zu. Er ist dran.
Schon puckert sein Herz wie wild, und er bekommt Schwitzefinger. Hinter der Kamera ist deutlich entspannter als vor der Kamera, schießt ihm durch den Kopf. Jetzt chill mal, sagt er sich, hören dir doch nur drei Leute aus deiner Klasse zu, und die haben gerade selber was erzählt. Er holt tief Luft, guckt noch mal aufs Display der Kamera, prüft, ob sie richtig ausgerichtet ist, drückt auf den Auslöser und setzt sich auf den Stuhl.
Bobi ist nicht besonders groß und ziemlich dünn, er selbst findet sich ein bisschen mickrig. Er hat dunkle Augen, eine unauffällige Nase, zwei kleine Pickel direkt daneben, seine Haut ist eher blass, das Haar dunkelbraun, lockig und