Der tote Rottweiler. Heike Brandt

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Название Der tote Rottweiler
Автор произведения Heike Brandt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948675721



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die Tür auf und lächelt froh:

      „Besuch! Komm rein. Wird sich Uroma freuen, sie ist klar heute!“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich bin in der Küche.“

      Julika legt den Umschlag mit dem Geld auf die Kommode im Flur und geht weiter ins Wohnzimmer, wo seit einiger Zeit das Pflegebett von Uroma steht, an der Stelle, wo früher ihr Fernsehsessel stand. Auf dem Couchtisch steht ein Strauß Freesien, Uromas Lieblingsblumen, deren Duft das Zimmer füllt. Aber leider nicht ganz, ein unangenehmer Mief dringt doch irgendwie durch. Zum Glück gewöhnt sich Julika immer recht schnell daran. Nur beim Reinkommen ist es ziemlich heftig.

      Die Gardinen der Fenster zum Garten sind zur Seite gezogen, so dass Uromi das Blumenbeet, ihren geliebten Apfelbaum und das Vogelhäuschen sehen kann. Sie kennt alle Vogelarten und ihre Gesänge.

      Uromi hat den Kopf schon Richtung Tür gewandt, als Julika auf sie zugeht. Über das faltige, eingefallene Gesicht der alten Frau huscht ein vorsichtiges Lächeln. Ihre himmelblauen Augen gucken erst fragend, dann leuchten sie.

      „Julika“, sagt sie mit dünner Stimme. „Meine Kleine, wie schön, dass du kommst!“

      Julika ist erleichtert, dass Uromi sie erkannt hat und sie nicht lang und breit erklären muss, wer sie ist. Sie nimmt die faltige, mit braunen Flecken übersäte Hand in ihre, beugt sich zu der alten Frau hinunter und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. Weich fühlt sich die Haut an, aber auch ein bisschen wie Papier.

      „Was gibt’s Neues?“, fragt Uromi, hält Julikas Hand fest und blickt ihre Urenkelin erwartungsvoll an. Die Pupillen ihrer hellen Augen zittern ein bisschen.

      Julika angelt mit dem Fuß nach dem Stuhl hinter sich, setzt sich und erzählt, dass Bello verschwunden ist, dass Christian krank ist, dass das neue Schuljahr angebrochen ist, ihr vorletztes, und was ihr sonst noch einfällt. Nach einer Weile merkt sie, dass der aufgeräumte Ausdruck im Gesicht der alten Frau verschwindet. Sie guckt nur noch starr geradeaus in den Garten und hört oder versteht vermutlich nicht mehr, was Julika sagt. Julikas Hand aber, die hält sie ganz fest.

      So bleibt Julika ruhig sitzen, guckt sich im Zimmer um, betrachtet das Sammelsurium von Medikamenten und Pflegemitteln auf dem Nachttisch neben dem Bett, studiert ausführlich das große Bild vom Werksgelände, das Uropa vom Vorstand zu seiner Pensionierung bekommen hat, sein ganzer Stolz, und überlegt, welche Gebäude bis heute dazugekommen sind, mustert die gerahmten Fotos auf der Anrichte, die Bilder von Hochzeiten, Taufen, Firmenjubiläen, auf denen Uromi jung ist und älter und alt, aber immer voller Leben und fit.

      Wie mag das sein, wenn man krank im Bett liegt und nicht aufs Gesundwerden, sondern auf den Tod wartet?, überlegt Julika. Tut Uromi das überhaupt? Denkt sie ans Sterben, will sie überhaupt noch leben? Uromi hat nie über so etwas gesprochen, auch nicht, als sie klarer war, jedenfalls nicht in Julikas Beisein. Und nun liegt sie nur noch im Bett, Tag für Tag, angewiesen auf die Hilfe Darinas oder anderer. Was mag ihr da alles durch den Kopf gehen? Oder läuft da gar nichts mehr, weil sich das Gehirn schon aufs Abschalten einstellt?

      Uromi atmet tief und regelmäßig, die Augen sind ihr zugefallen, ihr Gesicht ist entspannt, auch der Druck ihrer Hand hat nachgelassen. Vorsichtig löst Julika ihre Hand heraus und legt den Arm der Uroma aufs Bett.

      „Schlaf schön“, flüstert Julika und geht hinaus.

       4

      Bobi fährt mit dem Fahrrad. Er weiß genau, wo der Schrebergarten von Natalie ist. In derselben Siedlung hatten seine Großeltern früher auch ein Grundstück. Nachdem sie das Restaurant aufgemacht hatten, konnten sie den Garten allerdings nicht mehr so pflegen, wie die Gartenordnung es verlangte, und gaben den „Strebergarten“ auf, wie Abuelo Victor ihre Parzelle nannte. Bobi ist sich nicht sicher, ob das an seinem schlechten Deutsch lag oder ob er das Wort mit Absicht gewählt hatte. Als Bobi jetzt auf den Weg zur Gartenanlage Unsere Scholle einbiegt, denkt er, es wird wohl Absicht gewesen sein.

      Das Gelände ist von einem hohen Zaun umgeben. Neben dem Eingang hängt ein Schild mit der Gartenordnung. Alle Gärten sind einheitlich groß und erstklassig gepflegt. Pro Grundstück gibt es einen oder zwei Bäume, Hecken und Beete mit Nutzpflanzen oder Blumen, die ordentlich in Reih und Glied stehen, kein fremdes Kraut dazwischen. Die kleinen Rasenflächen sind sorgfältig gemäht, die Wege geharkt, die Zäune dazwischen in Schuss. Doch, Strebergarten passt, denkt Bobi, als er auf die Parzelle von Natalie zuradelt. Zwei Fahrräder lehnen schon am Zaun, Manuels Moped steht daneben.

      Alle pünktlich da.

      Natalie führt die drei in ihrem Garten herum, auch der ist recht gepflegt, allerdings wächst hier mehr durcheinander als in anderen Gärten.

      „Wir stellen die Pflanzen so zusammen“, sagt Natalie, „dass Schädlinge abgehalten werden, ohne Chemie. Meine Mutter macht eine richtige Wissenschaft daraus“, lacht sie. „Aber es klappt! Könnt alles unbesorgt essen.“

      Amal bückt sich und zupft was aus einem Beet, das Bobi für Unkraut hält. Aber dann sieht er, dass eine Möhre dranhängt.

      „Meine Oma hat auch einen Garten“, sagt Amal, wischt die Erde von der Möhre und beißt rein. Als sie Bobis neugierigen Blick sieht, hält sie ihm die Möhre hin:

      „Abbeißen?“

      Ehe er sich versieht, hat er genickt und zugegriffen. Eigentlich mag er Möhren nicht besonders, aber Amals Lächeln ist stärker. Er beißt ab, kaut und verzieht das Gesicht. Zwischen seinen Zähnen knirscht Erde.

      „Na ja“, lacht Amal, als sie es bemerkt. „Naturkost!“

      Und Bobi lacht auch.

      Unter dem Apfelbaum liegen ein paar grüne Äpfel, die Natalie aufsammelt und auf den Holztisch vor der Hütte legt. „Den Tisch hat mein Vati selbst gebaut“, sagt Natalie und packt das Filmequipment aus, „die Hütte auch.“

      Da es ein bisschen windig ist, montiert sie einen Windkorb ans Mikrofon. Bobi prüft derweil das Licht. Am blauen Himmel stehen ein paar Wolken, also wählt er einen Schattenplatz neben der Hütte, damit die Lichtunterschiede nicht so groß sind, wenn die Sonne mal hinter einer Wolke verschwindet. An der hölzernen Hüttenwand ist auch der Hintergrund einigermaßen ruhig, deshalb stellt er den Stuhl, den Natalie aus der Hütte holt, dort hin und überlegt dabei schon, welche Bilder er für Zwischenschnitte aufnehmen könnte.

      Manuel und Amal schauen den beiden fasziniert, aber auch ein bisschen irritiert zu, weil sie nicht so recht wissen, was sie tun sollen.

      Natalie montiert das Mikro mit dem Windkorb an die Angel und schlägt vor, dass alle Fragen aus dem Off kommen sollen. Bobi nickt und schraubt die Kamera aufs Stativ.

      „Was?“, fragt Manuel.

      „Na ja, wer dran ist, setzt sich auf den Stuhl, und wer eine Frage hat, hebt den Finger, und ich halte das Mikro hin und los geht‘s. Ganz einfach.“

      „Ja“, sagt Bobi. „Dann muss ich nicht immer mit der Kamera hin und her.“

      „Aber ey, wenn wir nun stottern oder Scheiße reden? Mann, ich bin noch nie interviewt worden“, sagt Manuel, der sich nervös eine Zigarette anzündet. Inzwischen ist ihm die Sache etwas unheimlich.

      „Das wird doch hinterher montiert“, beruhigt ihn Bobi. „Alles kann wieder rausgeschnitten werden. Und wenn du dich verhaust, hörst du einfach auf und fängst noch mal von vorne an. Ich mach ein paar Bilder von der Umgebung, die können wir dazwischen packen, dann gibt’s keine Sprünge.“

      „Außerdem ist das doch erst mal nur für uns“, sagt Natalie leicht gereizt, weil sie endlich loslegen will. „Ob wir davon was für die Präsentation benutzen, wissen wir noch gar nicht. So ein Film entsteht doch erst im Schnitt.“

      „Natalie! Du weißt, wie das geht, aber wir doch nicht!“, versucht Amal zu vermitteln. „Also: Wir setzen uns auf den Stuhl, sagen, wer wir sind, warum wir das Projekt machen wollen und so, ja?“

      „Genau“, sagt