Название | Der tote Rottweiler |
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Автор произведения | Heike Brandt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948675721 |
„Mach das bloß nicht! Dann kriegst du überall Stoppeln! Gewöhn dich dran, es gibt Schlimmeres.“
Als Bobi vor der Kamera sitzt, versteht er sofort, warum Manuel erst gar nichts rausgebracht hat. Wahrscheinlich war dem auch einfach die Spucke weggeblieben so wie ihm jetzt. Sein Mund ist wie ausgetrocknet. Bobi schluckt, fährt mit der Zunge über die Lippen, zappelt wie früher in der Schule, wenn er sich nicht konzentrieren konnte. Dann fällt sein Blick auf Amal. Die lächelt ihn so aufmunternd an, dass er denkt, okay, ihr erzähl ich das. Und auf einmal ist die Spucke wieder da, und die Beine halten still.
„Also, ich bin Bobi. Eigentlich heiße ich Borislav, aber da, wo meine Eltern mich geholt haben, haben alle Bobi zu mir gesagt, und dabei ist es dann …“
„Wie, deine Eltern haben dich geholt?“, fragt Amal, ohne den Finger gehoben zu haben. „Hat dich auch der Storch gebracht?“
In ihrer Wange kringelt sich das Grübchen wie ein kleiner Strudel.
„Nö, das nicht. Aber meine Eltern haben mich adoptiert, als ich vier war. Aus einem Kinderheim in Bulgarien. Weil sie selber keine Kinder kriegen konnten. Im Waisenheim haben sie uns immer gesagt, eines Tages kommen eure Eltern und holen euch. Und für mich waren das dann Sofia und Xabier.“
„Wie – dann bist du Bulgare? Hast du bulgarisch gesprochen? Kannst du das immer noch?“, fragt Manuel erstaunt.
„Ach was. Ich bin Bobi, weiter nix. Bulgarisch hab ich vergessen, Sofia und Xabier haben Spanisch mit mir gesprochen, im Kindergarten hab ich Deutsch gelernt.“
„Weißt du was von deinen richtigen Eltern?“, fragt Manuel.
Er hat schon zum zweiten Mal den Finger nicht gehoben, und Natalie kommt mit dem Schwenken kaum hinterher.
„Ich weiß nix mehr, kann mich auch nicht mehr an das Heim erinnern. Ich bin total happy mit Xabier und Sofia.“
„Aber du hast doch zwei kleine Geschwister, oder?“, fragt Amal nach. „Haben deine Eltern doch noch Kinder gekriegt?“
„Nö, das sind Pflegekinder. Der Vater von Maja und Kevin sitzt im Knast, ihre Mutter ist völlig verpeilt. Kevin war erst in einer anderen Pflegefamilie, dann wollte er unbedingt zu uns.“
„Und, wie ist das für dich?“, fragt Amal.
„Ey, jetzt hör doch mal auf. Die Kleinen sind okay. Ich bin ihr großer Bruder, und gut“, fährt es aus Bobi heraus.
Amal schaut ihn sichtlich getroffen an, und Bobi ärgert sich sofort, dass er sie so angemacht hat.
„Äh, sorry. Kann ich jetzt weitermachen?“, schiebt er hinterher.
Niemand sagt etwas. Also macht er einfach weiter.
„Ich bin Bobi, bin siebzehn Jahre alt und gehe in die zehnte Klasse Realschule. Ich weiß noch nicht, was ich nach der Schule mache, vielleicht gehe ich nach Spanien. Keine Ahnung. Ich will nicht gleich wieder in so eine Anstalt wie Schule oder Betrieb oder so was.“
Manuel hebt die Hand:
„Und wovon willst du leben? Zahlen dir deine Eltern das?“
„Keine Ahnung. In Spanien hab ich Freunde, und da sind meine Großeltern. Mann, ich bin erst siebzehn, und da soll ich mich schon auf irgendeine Zukunft festlegen? Nö, mach ich nicht.“
Bobi zögert einen Moment, überlegt, ob er das wirklich sagen soll, aber dann denkt er, was soll’s, die anderen sind ja auch ehrlich gewesen.
„Eigentlich würde ich gerne Filme machen. Dokumentarfilme. Keine Ahnung, ob das geht, aber das würde ich wirklich gerne machen. Später mal.“
„Cool“, sagt Natalie. Und Amal guckt auch wieder freundlich.
„Ja. Äh … jetzt zu unserem Thema. Also ich … Ich finde auch, dass Frieden nur ohne Waffen geht. Was ich so sehe, in den Nachrichten, im Internet, im Fernsehen, die Bilder vom Krieg, die ganzen Leichen und so, Männer, die mit Knarren rumfuchteln, sogar kleine Jungs manchmal, das finde ich total gruselig. Warum haben die alle Waffen? Wo haben die die her? Wer Waffen hat, benutzt sie auch; wer angegriffen wird, schießt zurück, und so weiter. Ich glaube, wenn’s weniger oder am besten gar keine Waffen gäbe, wäre das anders. Keine Ahnung. Eigentlich würde ich am liebsten die Augen zumachen, so wie Maja beim Versteckspielen. Leider bin ich schon groß. Ich hab mit meinen Eltern über unser Projekt gesprochen. Die kannten den Spruch von früher und haben mir ´ne Menge erzählt von der Friedensbewegung, wo sie mitgemacht haben. Damals, in den Achtzigern, hatten alle Angst vorm Atomkrieg, da gab’s Blockaden gegen Raketenstützpunkte, riesige Demos und jede Menge action, irre Sachen haben die gemacht. Sogar ein Orchester hat Musik für den Frieden gemacht, bei Blockaden von Armeestützpunkten, richtige Konzerte haben die gegeben, vor Kasernen und so. Ich hab die mal gegoogelt – das Orchester gibt’s immer noch! Eh, und wisst ihr, wo die demnächst spielen? Hier bei uns, vor den Toren vom Werk! Da müssen wir hin!“
5
Julika ist verzweifelt. Bello ist und bleibt verschwunden, es gibt nach wie vor keine Spur von ihm. Ein Hund kann sich doch nicht einfach in Luft auflösen! Onkel Justus hat angerufen und noch einmal versichert, dass Bello nicht von einem Jäger erschossen wurde. Kein Kollege habe sich gemeldet, und die seien alle sehr zuverlässig. Julika hat stundenlang im Netz gesucht, um herauszufinden, ob Bello irgendwo zum Kauf angeboten wird, aber Fehlanzeige. Beim Tierarzt war sie auch noch mal, aber da weiß niemand was.
Eigentlich gibt es nur eine Möglichkeit: Bello hat sich verletzt und liegt irgendwo hilflos im Wald und wartet darauf, dass er gerettet wird. Wie lange kann ein verletzter Hund ohne Nahrung und Wasser überleben? Vielleicht ist er längst tot? Aber sie haben doch die Gegend rund ums Schützenhaus gründlich abgesucht, und das nicht nur einmal.
Trotzdem möchte Julika nach der Schule noch mal losziehen, aber das darf sie nicht. Denn ihr Opa hat Geburtstag, und da wird hingegangen. Zwar findet Julika diese Familienfeiern endlos öde, aber dass sie nicht teilnimmt, kommt überhaupt nicht in Frage. Selbst Christian muss mit. Er war zwar am Morgen noch nicht in der Schule, hat aber kein Fieber mehr und ist damit in den Augen seines Vaters gesund. Der Junge brauche sich ja nur ins Auto und dann an den Kaffeetisch zu setzen, die paar Schritte dazwischen werde er schon schaffen. Er selber habe ja auch noch mit dem Jetlag zu kämpfen, weil er erst am Morgen aus Mexiko zurückgekommen sei.
Diese Logik erschließt sich Julika zwar nicht, aber sie hat längst aufgegeben, die Entscheidungen ihres Vaters unter logischen Gesichtspunkten zu betrachten. Sie arrangiert sich auf ihre Weise.
Wenn sie schon mitmuss, wird sie mit dem Fahrrad fahren, verkündet sie ihren Eltern; die Stadt hat einen neuen Fahrradweg angelegt, der bis hinaus in den Vorort führt, wo die Großeltern wohnen. Den möchte sie ausprobieren.
Die Mutter findet, das sei viel zu weit fürs Fahrrad, der Vater zuckt die Achseln, kassiert aber ihre Kopfhörer, sie solle sich voll aufs Fahren konzentrieren. Widerspruch ist zwecklos, das weiß Julika, und Betteln ist längst unter ihrer Würde.
Sie macht, dass sie loskommt. Sonst fällt ihren Eltern noch ein, dass sie den Helm aufsetzen soll. Sie will aber ihren Kopf nicht einsperren.
Der neue Radweg verläuft nicht parallel zur Straße, sondern führt über eine eigene, breite Trasse durch den Wald und dann am Fluss entlang. Das Wasser glitzert, die Blätter schimmern im Sonnenlicht. Am Ufer steht reglos ein Fischreiher.
Julikas Rad rollt so leicht auf dem glatten Asphalt, dass sie immer schneller tritt, bis sie jeden Muskel spürt. Der Fahrtwind fährt ihr in die Haare und streicht sie nach hinten. Julika reckt ihr Gesicht in die Sonne und trampelt mit aller Kraft. Schneller, immer schneller. Wenn sie Flügel hätte, flöge sie hinauf in den Himmel.
Irgendwann biegt der Weg